Holocaust-Mahnmal

Sieg vorm Tor

Der Berliner Senat hat letzte Woche - im Einvernehmen mit dem Kanzler - entschieden, sich nicht zu entscheiden. Damit bleibt die seit zehn Jahren währende Diskussion um ein Holocaust-Mahnmal in der deutschen Hauptstadt weiter ohne Ergebnis.

Mehr noch: Der Senat hat es grundsätzlich abgelehnt, irgendeinen zeitlichen Rahmen für die künftige Entscheidung anzugeben. Damit ist der für nächstes Frühjahr vorgesehene Spatenstich für das Denkmal gecancelt. Ausdrücklich heruntergestuft wurde auch der Entwurf von Serra/Eisenman, auf den sich bereits der Bundeskanzler und der Initiatorenkreis um Lea Rosh bisher verständigt hatten.

Er sei nur "ein Entwurf unter anderen", meint der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen lapidar. Vielleicht, so ergänzt er kryptisch, müsse man einen "neuen Versuch oder etwas völlig anderes" ausprobieren. Auf die Frage, ob dies nun die erneute Ausschreibung eines künstlerischen Wettbewerbs bedeute, will Diepgen nicht einmal dies dementieren. Damit ist alles wieder so offen wie am Anfang der Debatte vor einem Jahrzehnt.

Diepgen die Schuld an der Berliner "Unfähigkeit zu trauern" zuzuschieben, wäre allerdings falsch. Die Hauptverantwortung trägt nicht er, sondern der SPD-Kanzlerkandidat Schröder. Die Gegnerschaft Diepgens zum Mahnmal war seit langem bekannt. Innerhalb der CDU hätte er sich gegen den Willen der Parteispitze nicht durchsetzen können. Der Kanzler kam erst in Zugzwang, als sein sozialdemokratischer Herausforderer das Holocaust-Gedenken zum Wahlkampfthema erniedrigte. Schröders Kulturbeauftragter Michael Naumann plädierte im gleichen Atemzug gegen das Mahnmal und für das Stadtschloß.

Das gefällt den Preußen-Nostalgikern, die die schwarz-rot-goldene Hauptstadt der Bundesrepublik nach dem Ebenbild der schwarz-weiß-roten des Kaiserreichs gestalten wollen. Und Naumanns Vergleich mit der Gigantomanie des Hitler-Architekten Speer war geschmacklos.

Nach seinem Vorstoß wurde auch das Diskussionsklima rauher: Ein Kommentator der Welt warf den Denkmals-Befürwortern "Gutmensch-Terror" vor; ein anderer warnte vor "Dauerflagellation". Im Tagesspiegel wurde das Wort vom "Denkmalskrampf" geprägt, in der Woche Lea Rosh als "Chefantreiberin" geschmäht. Schröder und Naumann ließen die hitzige Debatte, die sie angestoßen hatten, laufen. War das Dummheit oder wahltaktisches Kalkül?

Wahltaktisches Kalkül war es jedenfalls, das auch die Berliner SPD auf Linie zwang. Noch in der Vorwoche hatte es so ausgesehen, als ob sie im Senat eine Kraftprobe für den Entwurf von Eisenman anstrengen und vielleicht sogar gewinnen würde. Jetzt hat sie sich Diepgens Vorgaben gefügt - wohl weniger der Berliner Koalitionstreue wegen als mit Rücksicht auf die Wahlchancen ihres eigenen Kanzlerkandidaten. Mag sein, daß mit dieser stromlinienförmigen Geschlossenheit die SPD bei den Bundestagswahlen als Sieger durchs Ziel geht.

Doch es wäre auch ein Sieg über die eigenen besseren Traditionen: Willy Brandt hatte, dem gesunden Volksempfinden zum Trotz, mit dem Kniefall in Warschau Scham und Reue über die deutschen Verbrechen demonstriert.

Dagegen war eine "Aktion Widerstand" gebildet worden, die von der NPD bis hin zu Teilen der Union reichte - mit Franz-Josef Strauß als Einpeitscher und heimlichem Dirigenten. An diese Tradition knüpft der Niedersachse an.