Köder für die Kommunisten

Sjuganows Partei hofft auf Regierungsverantwortung in Rußland

Gennadij Sjuganow hat einen undankbaren Job. Tagein, tagaus wiederholt der Chef der Kommunistischen Partei Rußlands, der Präsident des Landes, Boris Jelzin, habe keine Ahnung von Wirtschaftspolitik, sei ein Trunkenbold und völlig am Ende und habe das Vertrauen des Auslandes in die Russische Föderation verspielt. Aber fast alle in Rußland sind bereits zu dem gleichen Ergebnis gekommen, auch ohne es von Sjuganow souffliert zu bekommen.

In den letzten Wochen schien es, der Kommunistenchef füge sich selbst und seiner Partei den größten Schaden zu, indem er die Anschuldigungen beständig wiederholte. Selbst wenn man an-nimmt, daß das politische Gedächtnis der meisten Wähler nicht sonderlich weit reicht, so können sich doch die meisten daran erinnern, was vor gerade mal fünf Monaten passierte: Damals zogen die kommunistischen Duma-Abgeordneten vor dem Präsidenten den Kopf ein, als dieser über Nacht Sergeij Kirijenko zum Premierminister machen wollte.

Wenn sie seinen Plänen nicht zustimmten, hatte Jelzin gedroht, werde er die Duma auflösen und neu wählen lassen. Dadurch hätten die Abgeordneten nicht nur alle ihre Privilegien verloren, sondern auch um ihre Wiederwahl fürchten müssen; denn die Wahlprognosen für die Kommunistische Partei waren alles andere als rosig. So wurde denn Kirijenko mit den Stimmen der KP ins Amt gehoben, deren Bestechlichkeit seitdem gleichsam als amtlich geprüft gilt.

Doch nun wittern Sjuganow und seine Parteifreunde Morgenluft. Denn Boris Nikolaijewitsch gilt seit kurzem als angezählt. In der vergangenen Woche gab es kaum eine Zeitung, kaum einen Radio- oder Fernsehsender in Moskau, der nicht über Jelzins Rücktritt spekuliert oder ihn sogar vorausgesagt hätte. Diesmal hatte der Präsident selbst den Grundstein gelegt, indem er ausgerechnet Kirijenkos Amtsvorgänger Viktor Tschernomyrdin zum geschäftsführenden Premier ernannt hatte - denselben 60jährigen alten Hasen der Moskauer Politszene, den er in diesem Frühjahr erst durch Kirijenko ersetzt hatte.

Die offizielle Begründung war damals unverblümt: Der ehemalige Chef von Rußlands Gasmonopolisten Gazprom solle sich auf seine eigenen Präsidentschaftsambitionen konzentrieren. Jelzin war Tschernomyrdins Macht zu groß geworden.

Daß er ihn jetzt erneut ins Amt gehoben hat, könnte der Beginn von Jelzins geordnetem Rückzug sein: Tritt der Präsident zurück, übernimmt automatisch der amtierende Premierminister geschäftsführend sein Amt. Und das durfte nicht der 36jährige Kirijenko sein, der nicht nur als zu jung, sondern auch als zu unabhängig von den Interessen der sogenannten Oligarchen gilt, der Handvoll einflußreicher Geschäftsleuten, die über ihre Bank-, Rohstoff- und Medienholdings Druck und Einfluß auf die offizielle Politik ausüben.

Und dieses Szenario könnte die Chance der Kommunisten sein. Denn sollte Jelzin wirklich zurücktreten wollen, fehlt ihm vor allem eins: Sicherheit. Die Sicherheit nämlich, nicht wegen Hochverrats vor Gericht gestellt zu werden. Seit Monaten läuft gegen den Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren, "Impeachment" genannt, das kaum Aussicht auf Erfolg hat.

Solange Jelzin im Amt ist, gibt ihm die Verfassung so weitgehende Rechte, daß er den Parlamentariern auf jeder Stufe des Verfahrens Steine in den Weg legen kann. Doch was passiert, wenn ihn sein Amt nicht mehr schützt? Sollte er wegen der Vorwürfe, die im Impeachment-Verfahren gegen ihn erhoben werden - u.a. habe er unrechtmäßig die Sowjetunion aufgelöst und den Tschetschenienkrieg begonnen - vor Gericht gestellt werden, könnte eine lange Gefängnisstrafe die Folge sein. Auch ist nicht klar, welche finanziellen Ansprüche er gegenüber dem Staat hat: Wer bezahlt dem Präsidenten seine Rente?

All diese Dinge lassen sich klären, wenn die Kommunisten mitspielen. Denn mit ihren und den Stimmen anderer kleiner Fraktionen in der Duma wären sie in der Lage, dem Präsidenten Straffreiheit zuzusichern und ein gutes Auskommen auf Staatskosten. Im Gegenzug müßten Jelzin und die Regierung Tschernomyrdin zustimmen, viele der begonnenen sogenannten Reformprogramme einzustampfen und den Kurs der wirtschaftlichen Liberalisierung weitgehend aufzugeben.

Aber das wäre Jelzins Sündenfall in den Augen westlicher Investoren und Regierungen, die es sich jahrelang viel Steuergeld haben kosten lassen, Freund Boris im rechten - das heißt für ihn kritischen - Moment mit Milliardenkrediten unter die Arme zu greifen. Also zögert Jelzin. Doch genau diese Milliarden haben mit dafür gesorgt, den Firmenbossen die Macht zu verschaffen, die es ihnen jetzt ermöglicht haben soll, Kirijenko aus dem Amt zu jagen, weil dieser ihr Spiel nicht bedingungslos mitspielen wollte. Nun wollen sie auch von Boris Jelzin nichts mehr wissen.

Wieviel Macht die Milliardäre tatsächlich haben, darüber wird viel spekuliert. Am deutlichsten wurde der Ex-Vize-Premier Boris Nemzow, der von Tschernomyrdin aufgefordert worden war, in der Regierung zu bleiben, aber zurücktrat, weil er sicher war, daß die Reformen nicht in seinem Sinne weitergeführt würden: Boris Beresowskij, den angeblich mächtigsten der Oligarchen, nannte er in mehreren Interviews einen "modernen Rasputin".

Und auch die Kommunisten benutzen die Finanzmagnaten neben Boris Jelzin gern als ein weiteres, ähnlich verhaßtes Feindbild: Beresowskij und Partner repräsentierten das "gegen das Volk gerichtete oligarchische Regime".

Nun sind sie dabei, sich mit eben diesem Regime darüber zu einigen, wie Rußlands Zukunft aussehen soll. Wenn sie Pech haben, wird für sie nichts weiter dabei herausspringen als zwei oder drei untergeordnete Kabinettsposten. Doch daß sie günstig zu haben sind, haben die Kommunisten bereits im März unter Beweis gestellt.