Keine Allianz fürs Leben

Der Versicherungskonzern will in einer internationalen Kommission Entschädigungen für jüdische Klienten regeln. Den Überlebenden NS-Opfern ist die Regelung zu unverbindlich

"Wer sich Allianz versichert, schließt vom ersten Augenblick / ein festes Bündnis mit dem Glück" - daß man mit ihr in allen Lebenslagen gut fährt, will die Allianz auch heute noch vermitteln. Von 1933 bis 1945 konnten sich darauf jedoch nur Kunden mit Ariernachweis verlassen. Und Angehörige jüdischer Versicherungsnehmer sahen von ihrem eingezahlten Vermögen auch Jahrzehnte nach der Shoah keinen Pfennig wieder. Nun haben die letzten der überlebenden Anspruchsberechtigten erstmals die Chance, wenigstens einen Teil ihres Erbes zu erhalten.

Denn vergangene Woche einigten sich mehrere europäische Versicherungskonzerne, unter ihnen die Schweizer Winterthur, Basler Leben und die französische Axa, mit dem World Jewish Congress (WJC) in einer gemeinsame Absichtserklärung, eine Kommission zur Regelung der offenen Entschädigungsansprüche von Holocaust-Opfern zu bilden. Mit der Allianz AG ist auch Europas größter Versicherungskonzern dabei. Aufgabe der Kommission soll es sein, die Höhe der noch ausstehenden Zahlungen aus Versicherungs- und Rentenansprüchen von Holocaust-Opfern festzulegen. Die Konzerne möchten damit einer gerichtlichen Entscheidung zuvorkommen. Die Kläger, die vor US-Gerichten ihre Forderungen nach Auszahlung von Versicherungspolicen ermordeter Angehöriger erstreiten wollen, sind mit dieser Lösung jedoch nicht zufrieden.

Angesichts des Drucks gegen Schweizer Banken, die vor drei Wochen mit jüdischen Klägern in den USA einen Vergleich eingehen mußten, sahen sich auch die europäischen Versicherungen gezwungen, möglichst schnell einen Schlußstrich unter die Image-schädlichen Klagen zu ziehen. Im Frühsommer hatte der New Yorker Finanzchef Alan Hevesi im Auftrag mehrerer US-Bundesstaaten einen Boykottplan gegen die Schweizer Wirtschaft angekündigt, dem die Banken durch Entschädigungszahlungen in Höhe von 1,25 Milliarden gerade noch entgehen konnten.

Nicht betroffen von dieser Einigung waren die Klagen gegen verschiedene europäische Versicherungsgesellschaften. Nun versuchen mehrere Firmen, zu außergerichtlichen Regelungen zu gelangen, um Prozesse und Imageverlust zu vermeiden (JungleWorld, Nr. 29/98).

Um eine gemeinsame Kommission einzurichten, erklärten sich die Allianz und andere Versicherungskonzerne bereit, 250 000 Dollar in einen gemeinsamen Fonds einzuzahlen. Dieses Geld ist als Etat für eine Kommission bestimmt, die sich aus Vertretern der Versicherungsgesellschaften, jüdischer Organisationen und der US-amerikanischen Versicherungsaufsicht zusammensetzen soll. Ihre Aufgabe wird es sein, als noch offen angesehene Grundsatzfragen zu klären sowie die Höhe der Entschädigung im Einzelfall festzulegen. Allianz-Pressesprecher Reiner Wolf stellt für die Zeit danach baldige Zahlungen in Aussicht: Zunächst sei es wichtig zu sichten, welche Versicherungspolicen tatsächlich noch bestünden und welche "noch nicht bereits entschädigt wurden". Danach solle ein Verfahren zur Auszahlung festgelegt werden. "Wir hoffen aber, daß schon im Oktober erste Zahlungen laufen können."

Innerhalb der nächsten zwei Jahre will die Kommission zu Ergebnissen kommen. "Wir haben diesen Weg eingeschlagen, weil wir denken, daß die Auszahlung auf diese Weise viel schneller geschehen kann, als wenn irgendein Rechtsweg gegangen würde. Deswegen hoffen wir auch, daß die Sammelklagen sich bald erledigt haben werden", erklärte Wolf gegenüber Jungle World. Die Kommission sei also eher im Interesse der Opfer als der Klageweg. Staatliche Sanktionsmaßnahmen gegen europäische Versicherer, wie von verschiedenen US-Bundesstaaten angedroht, müßte die Allianz dabei ebenfalls nicht mehr befürchten. Bereits "vor Jahren" habe der Konzern begonnen, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzten, seine Archive geöffnet und - allerdings erst Anfang 1997 - eine Anzeigenkampagne und eine Hotline geschaltet. Bis heute, so Pressesprecher Wolf, hätten sich darauf rund 1 200 Menschen gemeldet. Allerdings seien lediglich 18 Personen anspruchsberechtigt gewesen, zehn von ihnen hätten das Entschädigungsangebot der Allianz angenommen. "Riesige Stückzahlen an offenen Dingen" gebe es offenbar nicht, kann der Allianz- sprecher gelassen feststellen.

Im Zweifel entscheide sich die Allianz jedoch "immer für die Betroffenen". Um der laut Wolf in den USA entstandenen Haltung entgegenzutreten, man solle nun "den ganzen Holocaust entschädigen", verweist der Pressesprecher wie gehabt auf die Gesetzgebung der Bundesrepublik zur sogenannten Wiedergutmachung - auf dieser Grundlage sei bereits der Großteil der Entschädigungsansprüche vom Staat übernommen worden.

Der Münchner Rechtsanwalt Michael Witti, der gemeinsam mit dem New Yorker Anwalt Edward Fagan jüdische NS-Opfer gegenüber den Konzernen vertritt, forderte die Versicherungen hingegen auf, dem Beispiel der Assicurazioni Generali zu folgen. Der italienische Konzern hatte sich in den letzten Wochen mit den Anwälten von Shoah-Überlebenden auf die Zahlung von 100 Millionen Dollar geeinigt. Mit dieser klaren, verbindlichen Regelung können die Anwälte der Kläger mehr anfangen, da die Zahlungen nicht immer weiter hinausgezögert werden können, bis eines Tages keiner der Anspruchsberechtigten mehr am Leben ist. Die Absichtserklärung zur Kommissionsbildung lasse den beteiligten Versicherungen hingegen noch viel Freiraum, bedauert Anwalt Fagan. Es gebe außerdem keine Möglichkeit, sie zur Einhaltung der Absprachen zu verpflichten.

Die Anwälte setzen daher weiterhin auf den Weg der Klage vor US-Gerichten. Sie schließen sich damit noch anhängigen Klagen gegen die Deutsche und die Dresdner Bank, die österreichische Creditanstalt und die deutsche Degussa AG an (JungleWorld, Nr. 34/98).

Die überlebenden Zwangsarbeiter können immer noch nicht auf eine schnelle Entschädigung hoffen. Niemand will für die Lohnnachzahlungen zuständig sein. Deutlicher, als es Bundeskanzler Kohl kürzlich formuliert hat, läßt sich die Haltung der Regierung nicht auf den Punkt bringen: Die Entschädigungskasse des Bundes werde endgültig nicht mehr geöffnet, da die Forderungen "verjährt" seien.

Daraufhin schlug Regierungssprecher Peter Hauser bundesdeutschen Firmen vergangene Woche vor, in einen bereits bestehenden Bundesfonds einzuzahlen. So könnten die Firmen den Forderungen Überlebender nachkommen und gleichzeitig versuchen, drohende Klagen zu verhindern. Nachdem vor einigen Wochen mit Volkswagen einer der Konzerne, die ihren Aufschwung Zwangsarbeitern verdanken, zugesagt hatte, einen Entschädigungsfonds für frühere Zwangsbeschäftigte zu gründen, sieht sich der Bund von seiner Verantwortungslast befreit.

"Das ist ein Doppelspiel, das hier gespielt wird", stellt Alfred Hausser, Sprecher der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime, fest. Die Regierung entziehe sich ihrer Verantwortung und leugne, daß auch der Staat aus der Beschäftigung von Zwangsarbeitern Profit geschlagen habe.

Eine rein symbolische Beteiligung der Bundesregierung an einem Entschädigungsfonds ist für Klaus von Münchhausen, Prozeßbevollmächtigter von ehemaligen Zwangsarbeitern, die unter anderem bei VW eingesetzt wurden, eindeutig zu wenig. Er fordert eine von Bund und Industrie zu gleichen Teilen getragene Stiftung, deren Aufgabe die Nachzahlung der Löhne der Zwangsarbeiter sein soll.

Damit solle sich der Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches seiner Verantwortung gegenüber denjenigen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern stellen, die während des Nationalsozialismus bei der SS, der Wehrmacht, der Reichsbahn und den Kommunen zwangsbeschäftigt waren. Diese haben, so Münchhausen gegenüber der Jungle World, "keine Lust, sich 50 Jahre danach noch einmal vorführen zu lassen". Diese Woche wird Münchhausen im Namen von 330 Jüdinnen, die in Auschwitz in einer Munitionsfabrik der Weichsel-Metall-Union aus Froendenberg zu Arbeitseinsätzen gezwungen wurden, Entschädigungsansprüche gegenüber dem Bundesfinanzministerium anmelden. Sollten diese abgewiesen werden, wollen die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen gemeinsam vor Gericht ziehen.