Totengräber aus Versehen

Der Exilkubaner Luis Posada Carriles outet sich als Verantwortlicher der Bombenserie auf Kuba

Die Serie von Sprengstoffanschlägen auf kubanische Hotels und Tourismuseinrichtungen Mitte letzten Jahres scheint geklärt. Nicht die Polizei ist dem Verantwortlichen hinter den Kulissen auf die Spur gekommen, sondern die New York Times (NYT). Die Tageszeitung spürte eine der bekanntesten Figuren der militanten kubanischen Exilgemeinde auf und erhielt ein umfangreiches Interview. Luis Posada Carriles heißt der Mann, der Mitte Juli den NYT-Lesern erklärte, er sei für die Bombenserie verantwortlich

"Wir wollten einen großen Skandal verursachen, damit die Touristen nicht mehr (nach Kuba) kommen", sagte Posada. Für den gewünschten Skandal hat der 70jährige Sprengstoffexperte zweifellos gesorgt: Die elf Sprengsätze, die in kubanischen Tourismusanlagen zwischen April und September 1997 explodierten, sorgten für Unruhe in der Bevölkerung und für Urlaubsstornierungen. Auch im Ausland wurde über die Stabilität des Regimes diskutiert. Wichtiger noch waren dem manischen Kommunistenhasser Zweifel in der kubanischen Führung, ob die Anschläge nicht von innen - aus dem Apparat oder der Opposition - kommen könnten. Das Signal für eine "Revolution" gegen Castro will der von der CIA ausgebildete Guerillaexperte in Kuba geben. "Es gibt zahlreiche Wege, eine Revolution zu machen, und ich habe einige beschritten. Aber sie (die Kubaner) brauchen etwas, um das Feuer zu entfachen, und das ist mein Ziel", gab Posada unumwunden zu. Menschenleben spielten dabei keine Rolle: Der Tod eines italienischen Touristen im Hotel Copacabana durch eine Bombe sei ein bedauerlicher Unfall. Für Posada saß "der Italiener zur falschen Zeit am falschen Ort"

Vor allem für die Funktionäre der wichtigsten exilkubanischen Organisation, der Cuban American National Foundation (CANF), kam überraschend, daß Posadas sich selbst geoutet hat und Details über seine Aktivitäten wie über seine Geldgeber preisgab. Aber auch die Regierungen in Washington und San Salvador sind davon betroffen

Posada war den Verantwortlichen in der CIA, der "Firma", schon frühzeitig aufgefallen. Im Februar 1961 verließ er Kuba, um sogleich für die Invasion in der Schweinebucht anzuheuern. Der damals 33jährige hatte ebenso wie sein damaliger Waffenbruder Jorge Mas Canosa, der im November verstorbene Vorsitzende der CANF, Glück. Sein Kommando kam nicht zum Einsatz, da das Schiff den Bestimmungsort nicht erreichte

Zurück in den USA meldete er sich gemeinsam mit Mas Canosa bei der Offiziersanwärterschule in Fort Benning an, wo er eine militärische Ausbildung erhielt. Die beiden quittierten den Dienst, als klar wurde, daß keine zweite Invasion zustande kommen würde

Während Mas Canosa sich dem Aufbau seiner eigenen Firma widmete, ohne den Kontakt zu extremistischen Zirkeln in Miami zu verlieren, ging Posada zur CIA, wo er eine Spezialausbildung absolvierte: "Sie brachten uns alles bei - sie lehrten uns, mit Sprengstoff umzugehen, wie man tötet, bombt, trainierten uns für Sabotageakte", so Posada. Er versorgte CIA wie FBI mit Informationen über die Aktivitäten der Miamikubaner. Und Posada erhielt von der CIA den Auftrag, "ein Trainingscamp für Guerillaoperationen gegen Castro einzurichten". Das geht zumindest aus den Berichten des Untersuchungsausschusses zum Mord an Präsident John F. Kennedy hervor

Mit den Aktivitäten Posadas schien die "Firma" sehr zufrieden gewesen sein: Ein Bericht aus dem Jahre 1966 stuft ihn als "in allen Belangen exzellent" ein. Doch bald begann Posada, der CIA-Kontrolle zu entgleiten. Er meldete nicht mehr alle seine Aktivitäten an die "Firma", ließ sich auf "geheime Sabotageaktionen" ein, die nicht mit der CIA koordiniert wurden, und verkehrte mit zwielichtigen Gestalten, wie im CIA-Bericht von 1968 zu lesen ist. Weil der Agent der "Firma" zu eigenständig geworden war, wurde er wohl an den venezolanischen Geheimdienst vermittelt, wo er sich in leitender Funktion um die Guerillabekämpfung kümmerte

Doch sein wichtigstes Ziel, den Sturz der Regierung Castro, verlor Posada nie aus den Augen. Ende der sechziger Jahre holte er den Exilkubaner Orlando Bosch nach Venezuela, um von dort aus Sabotageaktionen gen Kuba zu starten. Eine dieser Aktionen, an der Posada selbst nicht beteiligt gewesen sein will, war die Sprengung eines kubanischen Zivilflugzeuges der Cubana de Aviaci-n kurz nach dem Start vom Flughafen Bridgetown auf Barbados. Bei dem Anschlag vom 6. Oktober 1976 kamen alle 73 Insassen ums Leben; Posada und Bosch gerieten in den Fokus der venezolanischen Ermittler und landeten hinter Gittern

Obgleich Posada nie für den Anschlag verurteilt wurde, verbrachte er neun Jahre im Gefängnis, bis ihm 1985 durch die Hilfe Mas Canosas die Flucht in einer Priesterrobe gelang. Posada setzte sich nach El Salvador ab, wo Felix Rodr'guez, ebenfalls Exilkubaner und CIA-Agent, auf ihn wartete. Posada wurde erneut von der US-Regierung gebraucht und fand Anstellung bei dem Reagan-Vertrauten Oliver North. Diesmal sollte er den nicaraguanischen Contras zuarbeiten, deren Versorgung mit Waffen im Rahmen des von Ronald Reagan initiierten "Kreuzzugs gegen den Kommunismus" sicherstellen. Das ganze flog mit der Iran-Contra-Affäre auf, die Oliver North den Job kostete

Davon hatte die Öffentlichkeit bis zu dem NYT-Interview nichts erfahren. "Wie man sehen kann, belästigen FBI und CIA mich nicht, und ich verhalte mich neutral zu ihnen. Wenn ich helfen kann, tue ich es", schilderte Posada sein Verhältnis zu den Organisationen, die zahlreichen Hinweisen auf Posada als Verantwortlichen für die jüngste Anschlagserie in Kuba nicht nachgegangen waren

In Bedrängnis hat Posada allerdings mit seinen Aussagen die CANF gebracht: Sie bzw. ihr verstorbener Präsident Jorge Mas Canosa sollen zahlreiche Terrorakte finanziert haben. "Jorge kontrollierte alles. Wenn immer ich Geld benötigte, sagte er: 'Gebt ihm 5 000 Dollar, gebt ihm 10 000 Dollar, gebt ihm 15 000 Dollar', und sie schickten es mir", sagte Posada. Auf die Frage, ob er ähnlich wie bei Sinn Féin und IRA der militärische Arm der CANF sei, antwortete er lachend : "Es sieht so aus" - womit er die CANF in arge Schwierigkeiten bringen könnte

Die 1981 auf den Rat von Ronald Reagan als "Stimme der Exilgemeinde" gegründete Organisation hat sich laut Satzung darauf festgelegt, Fidel Castro ausschließlich mit politischen Mitteln zu bekämpfen. Das brachte ihr nicht nur Spenden in Millionenhöhe, sondern auch den Ruf als erfolgreichste US-Lobbyorganisation

Einfluß und Ansehen der CANF könnten wie Butter in der Sonne schmelzen, sollten Ermittlungen gegen die Foundation wegen Verstosses gegen das Logan-Gesetz aufgenommen werden. Dieses Gesetz stellt es unter Strafe, wenn von den USA aus konspirative Aktivitäten wie Entführung und Mord geplant werden. Zudem droht der CANF der Verlust ihres gemeinnützigen Status und damit der Steuerbefreiung. Nach Erscheinen der Artikel in der NYT wurden diverse Dementis verfaßt, und hektische Betriebsamkeit hielt im Direktorium Einzug. Für den ältesten Sohn Mas Canosas, Jorge Mas Santos, ist die ganze Angelegenheit "ein Versuch von seiten gewisser Personen, die das Embargo liften und meine Familie und die CANF angreifen wollen". Zwar hat Posada einige Tage nach der Veröffentlichung der NYT zentrale Aussagen über die Finanzierung und die Rolle Mas Canosas dementiert. Die NYT-Redaktion blieb jedoch bei ihrer Darstellung; schließlich sei das gesamte Interview auf Tonband dokumentiert, und umfangreiche Recherchen hätten die Geschichte abgesichert

Washington hat mittlerweile die Küste Floridas als "Sicherheitszone" deklariert: Der Transit von und nach Kuba wird nun penibel kontrolliert. Anscheinend will die Clinton-Administration am Entspannnungskurs festhalten und erstmals Maßnahmen zur Unterbindung terroristischer Aktivitäten gegen die Regierung Castro durchsetzen. Für die Kongreßabgeordnete Lincoln Di‡z-Balart hat Clinton damit "dem Exil in Miami den Krieg erklärt"

Sollte sich Posada Carriles im Interview um Kopf und Kragen geredet und einen tieferen Einblick in die Hintergründe seiner Aktivitäten gegeben haben, als er ursprünglich wollte, könnte der Castro-Hasser zum Totengräber der Organisation werden, die beinahe zwanzig Jahren die Kubapolitik der USA mit bestimmte