Falken ohne Flügel

Nach den Nato-Manövern an den Grenzen zu Jugoslawien ist der Westen ratlos: Die Unabhängigkeit der serbischen Provinz will keiner, den alten Autonomie-Status auch nicht

In Belgrad hat manch einer vor dem scheinbar unvermeidlichen Gang der Dinge schon kapituliert. "Wenn sie uns tatsächlich bombardieren wollen, dann hoffentlich in der Halbzeit", gab ein junger Serbe dem Reporter der Woche vor einigen Tagen resigniert zu verstehen. An ein Einlenken des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic in der Kosovo-Krise glaube er nach den Nato-Manövern über Albanien und Mazedonien nicht.

Und das, obwohl Milosevic bei seinem Moskau-Besuch am Anfang vergangener Woche zugesichert hatte, den Großteil der mit dem Nato-Einsatz verbundenen Forderungen der Balkan-Kontaktgruppe zu erfüllen. Auf Druck seines russischen Amtskollegen Boris Jelzin stimmte Milosevic zu, "die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung nicht fortzuführen". Außerdem sei Jugoslawien bereit, die Probleme im Kosovo mit politischen Mitteln zu lösen und dabei die Gleichberechtigung aller Provinzbewohner zugrunde zu legen.

Die Regierungen der westlichen Kontaktgruppenstaaten (USA, Großbritannien, BRD, Frankreich, Italien) reagierten auf die vermeintlichen Vermittlungskünste Jelzins zunächst mit skeptischer Erleichterung. Während Jelzin sich als wichtiger Mittelsmann zur Nato und ideeller Wahrer der russischen Einflußsphäre auf dem Balkan innenpolitisch profilieren konnte, bringt das Treffen ihres Maklers Jelzin mit Milosevic dem Westen vor allem eines: Zeit. Denn nach dem Nato-Schaufliegen an den Grenzen Jugoslawiens wissen auch die europäischen Regierungschefs nicht weiter. In ihrem Agieren vom Namen des Manövers - "entschlossener Falke" - weit entfernt, pickte die Kontaktgruppe auf der Suche nach einer politischen Lösung für den Kosovo eher herum wie ein blindes Huhn.

Dabei verstrickt sie sich immer mehr in ihre eigenen Widersprüche. So soll nach bisherigen Verlautbarungen aus den Staatskanzleien von Washington bis London der künftige Status der südserbischen Provinz zwischen einer "weitgehenden Autonomie" und "umfassenden Selbstbestimmungsrechten für die albanische Bevölkerung" liegen - bei gleichzeitiger Wahrung der staatlichen Integrität Jugoslawiens. Nur, für die innerjugoslawischen Verhandlungen ist dem Westen der albanische Counterpart zu Milosevic abhanden gekommen. Der selbsternannte Verhandlungsführer der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, hat seine Bedeutung spätestens mit der Aufforderung der Befreiungsbewegung Kosovo (UCK) an die albanischen

Männer verloren, sich bewaffnet gegen die serbischen Einheiten zur Wehr zu setzen.

An der Person Rugova läßt sich denn auch die ganze Widersprüchlichkeit der westlichen Kosovo-Strategie festmachen. Über Jahre hatten sie den "Kosovo-Gandhi" mit leeren Versprechungen über die Herstellung des von der Tito-Verfassung garantierten Autonomie-Status hingehalten. Vergangene Woche, da Milosevic wegen des militärischen Drucks erstmals bereit zu sein schien, diesen Status wieder anzuerkennen, stand Rugova mit der alten Forderung nach Autonomie für den Kosovo allein. Denn das von den Separatisten der UCK verkündete Ziel ist die staatliche Unabhängigkeit, von der nach den Vertreibungen der letzten Wochen im Kosovo so schnell keiner mehr abrücken wird.

Aber Rugova hat die politische Entwicklung schnell nachvollzogen: In einem Gespräch im Spiegel dieser Woche sprach auch er sich nunmehr für die Bildung eines eigenständigen Staates der Kosovo-Albaner aus. Zuvor hatte die UCK in einem Statement Rugova und seine sogenannte Exilregierung als "fiktive Institutionen" bezeichnet und gesagt, die Kosovo-Albaner sollten sich von betrügerischer Politik distanzieren. Die Exilregierung hat mittlerweile auch zur Errichtung von sogenannten Selbstverteidigungszentren aufgerufen. Damit ist sie auch auf einen miliärischen Kurs eingeschwenkt.

Allein, nicht nur Jelzin unterstützt den jugoslawischen Präsidenten in seinem Festhalten an der staatlichen Integrität Jugoslawiens, auch die westlichen Mächte in der Kontaktgruppe fürchten ein Ausufern des Konflikts auf den ganzen Balkan, sollte der Kosovo tatsächlich in die Unabhängigkeit entlassen werden. Zudem würde mit einem direkten Nato-Eingreifen zugunsten der UCK völkerrechtlich ein Präzedenzfall geschaffen: Bewaffnete Sezessionisten aller Länder würden sich zur jeweiligen Verdoppelung staatlicher Strukturen künftig geradezu ermuntert fühlen. Ohne auf die Grenzübertritte albanischer Kämpfer und Waffenschmuggel entlang der mazedonischen Grenze zum Kosovo einzugehen, verhielten sich die europäischen Außen- und Verteidigungsminister in der vergangenen Woche zunächst so, als hielte sich der Kosovo-Konflikt weiterhin innerhalb der serbischen Grenzen.

Doch weit gefehlt: In Albanien, dem Hauptrückzugs- und Rekrutierungsgebiet der UCK, gewinnen langsam die Kräfte Oberhand, die für einen Zusammenschluß aller albanisch besiedelten Gebiete auf dem Balkan eintreten - für ein Großalbanien einschließlich des Kosovo, rund einem Viertel Mazedoniens und der südlichen Teile Montenegros. Am Wochenende preschte dann Bundesaußenminister Klaus Kinkel vor: Die Nato erwäge, nun auch Bodentruppen nach Albanien und Mazedonien zu schicken.

Trotz des geschickten Lavierens zwischen Jelzin und den Westmächten könnte Milosevic ein Punkt zum Verhängnis werden: Gegenüber der Kernforderung der Kontaktgruppe - dem Rückzug der jugoslawischen Bundesarmee aus der umkämpften Provinz - blieb er hart. Die jugoslawischen Truppen würden solange im Kosovo bleiben, bis die Grenzen zu Albanien und Mazedonien gesichert seien. In Moskau ließ sich Milosevic diese Gangart von Jelzin absegnen.

Darin dürfte sich die russische Unterstützung für den jugoslawischen Präsidenten aber auch schon erschöpft haben. Zwar bekräftigte Jelzin erneut, daß er einem Uno-Mandat für Nato-Angriffe auf serbische Ziele im Weltsicherheitsrat die Zustimmung verweigern würde. Die Regierungen in den westlichen Ländern jedoch stört das wenig. Unmißverständlich machten sie klar, notfalls auch ohne Mandat des Sicherheitsrates Ziele in Serbien zu bombardieren. Von der vielbeschworenen "slawischen Freundschaft" zwischen Jugoslawien und Rußland ist so nicht mehr als ein feuchter Händedruck geblieben. Selbst zum slawischen Bruderkuß mochten die Potentaten nicht mehr die Lippen spitzen.