Gorbatschow mit Kopfwickel

Präsident Mohammad Khatami gilt als führender Vertreter der "Perestroika" im Iran. Eine Säkularisation ist nicht von ihm zu erwarten, sein Ziel bleibt die islamische Zivilgesellschaft

"Wenn die Lage sich nicht ändert, werden wir den Frauen helfen, ihre Schleier abzulegen und die Rückkehr der USA fordern", verkündeten demonstrierende Studenten Anfang vergangener Woche in der iranischen Hauptstadt Teheran. Sie protestierten damit gegen den Versuch, gesetzlich festzulegen, daß Frauen künftig nicht mehr von männlichen Ärzten behandelt werden dürfen.

Neben den "verwestlichten" Mittelschichten gehören vor allem islamische Studentengruppen zur Basis des im Mai vergangenen Jahres gewählten Präsidenten Mohammad Khatami. Zwischen ihnen und Gegnern des Präsidenten war es im Mai bei Demonstrationen zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen.

Der Machtkampf zwischen der traditionalistischen und der modernistischen Fraktion wird seit der Wahl Khatamis im Mai 1997 mehr oder weniger offen ausgetragen. Die Traditionalisten verteidigen den absoluten Machtanspruch der Geistlichkeit gegen die behutsamen Versuche Khatamis, das Land zu öffnen.

Khatamis Anhänger, zu denen nicht nur Innenminister und Kultusminister gehören, sondern auch der populäre Teheraner Bürgermeister Gholam Hussein Karbaschi, der qua Amt am Kabinettstisch sitzt, haben im Mai eine ausdrücklich dem Modernismus verschriebene Partei gegründet und wollen den weniger traditionellen Geistlichen und den islamischen Intellektuellen mehr Spielraum verschaffen.

Der Islam, so die Auffassung dieser Fraktion, stehe nicht im Widerspruch zum Kapitalismus, daher müsse die Rolle des Staates in der Wirtschaft eingeschränkt werden.Säkularität steht dabei nicht auf dem Programm: Die Befolgung islamischer Gesetze zu gewährleisten soll weiterhin die Aufgabe des Staates bleiben. Sein Ziel beschrieb Khatami vielmehr als "islamische Zivilgesellschaft", die von der wirtschaftlichen Aktivität des privaten Sektors abhänge.

Zur Kraftprobe zwischen beiden Flügeln ist das Verfahren gegen Bürgermeister Karbaschi (Jungle World, Nr. 17/98) geworden, der im April festgenommen und erst zwölf Tage später auf Intervention Khatamis freigelassen worden war. Gegen ihn wird seit dem 7. Juni vor einem Sondergericht ein Prozeß wegen "Mißbrauchs öffentlicher Mittel" und "schlechter Amtsführung" geführt. Karbaschi hatte zu Prozeßbeginn alle gegen ihn erhobenen Anklagepunkte zurückgewiesen und sie als Lügen bezeichnet.

Die französische Wochenzeitung Courrier International spricht inzwischen hoffnungsvoll von einer "Perestroika im Iran" und vergleicht Khatami mit Michail Gorbatschow. Auch Außenminister Klaus Kinkel hält einen "vorsichtigen Neubeginn" in den bilateralen Beziehungen für möglich, wie er am vergangenen Donnerstag nach einer Unterredung mit seinem iranischen Amtskollegen Kamal Kharrasi erklärte.

Als Beispiel gilt Kinkel dabei der Fall Helmut Hofer. Der Deutsche war im April zum Tode verurteilt worden, weil er eine Beziehung zu einer islamischen Frau gehabt haben soll. Inzwischen ist eine Prüfung des Urteils angekündigt worden. Daß auch das Todesurteil gegen Mortesa Firuzi, den ehemaligen Chefredakteur der Iran News (Jungle World, Nr.20/98), kassiert worden ist - wie dpa berichtete - , wurde bisher in Teheran nicht bestätigt.

Ebenfalls am Donnerstag gab der iranische Schriftstellerverband im Exil jedoch bekannt, daß die als Vorzeige-Reformzeitung geltende Djamee im Iran verboten wurde. Das Blatt war erst vor sechs Monaten ins Leben gerufen worden. Drei weitere Publikationen, Gosaresche Ruzo, Pandschanbeha und die Sportzeitschrift Keyhane Warseschi, wurde laut Mitteilung des Verbandes verwarnt.

Neben Traditionalisten und Modernisten gibt es noch eine dritte islamische Kraft: Die Volksmudjahedin, die, zunächst maoistisch ausgerichtet, vom Irak aus agieren. Seit der Annäherung zwischen Iran und Irak stehen die islamischen Kämpfer allerdings vor dem Problem, daß ihre Offensiven die irakisch-iranischen Beziehungen belasten. Wie zuletzt Anfang Juni, reagiert die iranische Armee auf Anschläge der Mudjahedin, mit Angriffen auf deren Stützpunkte auf irakischem Territorium.

Innerhalb des Iran formieren sich weitere Kräfte, denen Khatamis "Perestroika" nicht weit genug geht. So legten Mitte Mai 5 000 Arbeiter einer Textilfabrik in der Provinz Mazandaran die Arbeit nieder. Als nach drei Tagen die Polizei den Streik mit Gewalt beenden wollte, kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen mehrere Arbeiter verletzt wurden. Mit dem Einsatz scharfer Munition wurden auch in Kermanschah am 15. und 16. Mai Proteste gegen die wachsende Armut und die miserablen Zustände in den Krankenhäusern sowie gegen Frauendiskriminierung und Steinigungen niedergeschlagen.

Nachdem am 28. Mai Stahlarbeiter in Ispahan einen Streik für Lohnerhöhungen begannen, legten die Beschäftigten einer Lastwagenproduktion in Täbriz am 7. Juni die Arbeit nieder, tags darauf traten auch die Arbeiter einer Teppichproduktion in Kermanschah sowie der Iran-Pulin-Fabrik und eines Textilunternehmens in Rascht in den Ausstand.