Sasha Waltz, Tänzerin und Choreographin, gehört zum zukünftigten Intendantenteam der Schaubühne

Schwanensee muß warten

Die Tänzerin und Choreographin Sasha Waltz, geboren 1963 in Karlsruhe, gehört zum Viererteam, das ab Herbst 2000 die Schaubühne am Lehniner Platz übernehmen soll. Sie kam 1993 auf Einladung des Künstlerhauses Bethanien nach Berlin, gründete hier ihre Compagnie "Sasha Waltz & Guests" und etablierte die Sophiensäle in Mitte als Spielort für freie Gruppen. Von dort aus gingen ihre Inszenierungen auf Tourneen in alle Welt. Mit "Allee der Kosmonauten" wurden "Sasha Waltz & Guests" 1997 als einzige Tanzproduktion zum Theatertreffen eingeladen. Über die Oster-Feiertage ist nun in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ihre "Travelogue"-Trilogie, entstanden 1993 bis 1995, zu sehen, in Berlin zum ersten- und letztenmal in Serie.

Sie werden zu Ostern mit Ihrer "Travelogue"-Trilogie (1993-1995) in Berlin gastieren, jedoch an der Volksbühne und nicht, wie man eigentlich erwarten würde, an der Schaubühne.

Das ist eine ganz alte Geschichte. Wir wollten das Gastspiel schon im letzten Jahr machen, aber dann wurde ich schwanger, und da ich in allen drei Stücken tanze, ging das einfach nicht. So haben wir uns auf den nächstmöglichen Zeitpunkt geeinigt, und das war Ostern 1998, denn da ist die Volksbühne auf Tournee.

In "Allee der Kosmonauten" (1996) und "Zweiland" (1997) haben Sie sich auf die Choreographie beschränkt und nicht selbst getanzt. Weshalb?

Ich habe für "Allee der Kosmonauten" eine neue, recht junge Gruppe zusammengestellt. Am Anfang habe ich noch mitgetanzt und dabei gemerkt, daß ich meine Aufmerksamkeit eigentlich konstant auf das ganze Geschehen richten muß, was natürlich so nicht ging. Ich war zum einen die Tanzpartnerin, zum anderen die Regisseurin, die endgültig entscheidet - das gab wahnsinnige Probleme, auch Autoritätskonflikte. Ab dann habe ich nur noch choreographiert. Für mich war es eine Art Befreiung.

Sie waren immer viel auf Tournee, die "Travelogue"-Trilogie gab es von Atlanta bis Moskau, von Montreal bis Barcelona.

Ich fand die Reisen immer sehr stimulierend, sie haben meine Arbeit stark beeinflußt und inspiriert. Natürlich ist es ziemlich anstrengend, wenn man wochenlang und mit vielen unterschiedlichen Produktionen unterwegs ist.

Ist das der Grund, weshalb Sie sich nun fest an ein Haus binden wollen?

Nein. Wir werden weiterhin auf Tournee gehen, aber nicht mehr so oft. Entscheidend ist, daß ich jetzt in meiner Arbeit einen Punkt erreicht habe, an dem ich mit einem festen Ensemble kontinuierlich an einem Ort arbeiten möchte. Ich möchte auch aus der kleinen Off-Szene herauskommen und ein gemischtes Publikum ansprechen.

Was wird aus den Sophiensälen, Ihrem bisherigen Stammhaus?

Die bleiben mein Zentrum, das ist klar, mit dem Studio darin als Produktionsort. Ausschlaggebend ist jedoch, daß ich bis 2000 fünf Jahre da gearbeitet haben werde. Für meine künstlerische Entwicklung brauche ich dann etwas Neues. Man ist in diesem Raum extrem limitiert. Das ist auch spannend. Die Einfachheit ist ein Teil meiner Arbeit. Die Atmosphäre ist wichtig, das Nicht-Stoffliche, das ich hier liebe. Aber bestimmte Sachen kann ich nicht mehr realisieren. Beim letzten Mal habe ich von meinem Lichttechniker dauernd gehört, wir haben nicht genug Kanäle, usw. Ich möchte einfach, daß die Dinge so aussehen, wie ich sie mir vorstelle.

Dann ist die Schaubühne mit ihren enormen technischen Möglichkeiten für Sie doch ideal.

Absolut.

Wie weit sind die Vertragsverhandlungen?

Zur Zeit ist das alles noch nicht ausgegoren. Wir sind einfach im Gespräch über unsere Vorstellungen. Bestimmte Dinge sind schon klar, aber längst nicht alle.

Wie kam das Angebot zustande?

Thomas Ostermeier (Chef der "Baracke" des Deutschen Theaters) war von unserer "Zweiland"-Aufführung total begeistert und hat uns angesprochen. Dann hat sich der Kontakt - schnell und intensiv - entwickelt. Der Vorschlag in Sachen Schaubühne ging von ihm aus, er hat auch die beiden anderen, Tom Kühnel und Robert Schuster, gefragt. Die sind in Frankfurt, wir in Berlin. Das ergibt drei sehr unterschiedliche Gruppen, und alle stecken bis zum Hals in der Arbeit. Wir entwickeln jetzt gemeinsam ein Konzept. Das werden wir später bekanntgeben. Der Druck durch die Medien ist aber jetzt schon tierisch.

Haben Sie ein bißchen Bauchweh?

Nein, überhaupt nicht. Dabei ist die Schaubühne doch ein Theatertempel und kein Tanzhaus. Ich finde, sie ist eigentlich ein wunderbares Haus für Tanz, und es ist überraschend, daß sie nicht schon viel früher dafür genutzt wurde. Die Sichtlinien für das Publikum sind immer gut. Es gibt kein Portal, das bei meiner Arbeit extrem störend ist. Und man sieht den Boden sehr gut. Der ganze Moderne Tanz bezieht sich stark auf den Boden.

"Was soll ich in der Fabrik?", hat Pina Bausch gefragt, als man ihr die Tanzabteilung des Wuppertaler Stadttheaters anbot.

Ich glaube, es ist ein sehr großer Unterschied, ob man an ein Stadttheater geht und unter einem Intendanten arbeitet, dann ist die Situation tatsächlich wie in einer Fabrik, oder ob man - wie wir an der Schaubühne - einen anderen Weg versucht. Ich habe bisher alle Angebote von Stadttheatern abgelehnt. Dort gibt es außerdem scharf getrennte Sparten mit unterschiedlicher Gewichtung - wenn irgendwo gespart wird, dann beim Tanz. Für die Schaubühne planen wir eine völlig andere Situation. Ich habe von Anfang an auf der Gleichberechtigung der einzelnen Sparten bestanden. Wir vier sind gleichberechtigt: Es gibt niemanden, der anordnet, wann und wieviel gespielt wird. Jeder bestimmt selbst. Das ist unsere Idee von gleichberechtigter Partnerschaft.

So fing die Schaubühne ja auch an.

Darauf werden wir uns definitiv beziehen. Wir wollen, wie damals auch, bestimmte Strukturen radikal verändern. Ich glaube an die Gleichberechtigung aller Beteiligten, daß jeder eine eigene Motivation hat, mitzuarbeiten, egal, ob er Kostüme macht, Kabel verlegt oder an der Kasse steht. Ich glaube nicht an Hierarchien.

Die "mehrköpfigen Intendanten" (vier am Schillertheater, fünf am Berliner Ensemble) waren aber nie so recht erfolgreich, und die 1968er-Mitbestimmungsmodelle ebensowenig.

Gleichberechtigung meint wirklich alle, die am Haus arbeiten, und eine hohe Durchlässigkeit - damit man weiß, wofür man arbeitet, und warum. Das halte ich für extrem wichtig. Die Sophiensäle, meine Compagnie funktionieren so. Das bedeutet, daß meine Mitarbeiter sehr selbständig sind, und daß ich darauf vertrauen kann, daß sie die richtigen Entscheidungen fällen.

Das Vertrauen muß ein Stadttheater-Intendant auch haben.

Die Motivation ist aber ganz anders. Bei unseren Gastspielen haben wir oft erlebt, daß die Mitarbeiter des örtlichen Theaters wenig Engagement zeigten, lange Wege bevorzugten Ö Wir haben uns dann meist selbst geholfen, weil das schneller ging.

Wie stellen Sie sich Ihr künftiges Ensemble vor?

Auf jeden Fall zehn feste Tänzer und die Möglichkeit, Gäste zu engagieren. Mein jetziges Ensemble ist der Kern, dazu werde ich mir innerhalb der nächsten zwei Jahre die fehlenden Tänzer suchen.

Tanztheater und Ballett haben meist wenig gemeinsam. Können Sie sich trotzdem vorstellen, einmal "Schwanensee" zu choreographieren?

Irgendwann mache ich vielleicht eine neue Interpretation von "Schwanensee". Im Moment interessieren mich jedoch ganz andere Dinge. Solange ich richtige Themen habe, über die ich etwas erzählen will, habe ich nicht das starke Bedürfnis nach "Schwanensee".

Travelogue I - Twenty to Eight: 10. und 11. April; Travelogue II - Tears break fast: 10. und 11. April; Travelogue III - All Ways Six Steps: 12. und 13. April. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte