Seidler bei Antimilitaristen

Kontrovers

Wenn Volker Rühe noch einen Beweis gebraucht hat, daß die besseren Antifaschisten in Wahrheit auf seiner Soldliste stehen, dann haben ihn die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär nun geliefert. Zusammen mit der Fachhochschule und dem Filmmuseum Potsdam haben sie - was zu loben ist - die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht in Jugoslawien 1941 - 1944" in die brandenburgische Landeshauptstadt geholt. Wie der Titel verrät, steht die Ausstellung den Verdiensten der Nazi-Armee eher skeptisch gegenüber.

So einseitig wollten es die Organisatoren bei den begleitenden Veranstaltungen nicht zugehen lassen. "Diskussion" sollte her, möglichst "kontrovers" sollte es zugehen, erklärte eine Sprecherin der Böll-Stiftung. Man machte sich also auf die Suche nach passenden Diskutanten.

An einem trüben Samstagnachmittag im Januar traf man sich wohl in irgendeiner Potsdamer Teestube.

"Ludwig Baumann", schlug jemand vor, "von der Bundesvereinigung der Opfer der Militärjustiz." "Na gut", hieß es, "ist eh klar. Dazu vielleicht irgendeinen Militärhistoriker, vom Potsdamer Institut einen, die sind härter drauf als die Freiburger?"

"Okay, dann brauchen wir noch einen Militär. Vielleicht den Schönbohm?" "Nein, den kriegen wir nicht. Nehmen wir den Scheven, der war immerhin mal Stellvertreter vom Schönbohm, vorher hat er in Hamburg diese Roeder-Akademie geleitet, und ein rechter Knochen ist er auch."

"Gut. Wie nennen wir das Ding?", fragte jemand. "Die saubere Wehrmacht - eine Legende", schlug eine Diskutantin vor. "Mach ein Fragezeichen dahinter, dann sieht's nicht so aus, als ob wir als Veranstalter uns positionieren würden", empfahl ein erfahrener Berater für Totalverweigerer.

"Gut. So richtig kontrovers ist das aber noch nicht, der zweite Abend muß knallen", forderte eine antimilitaristische Aktivistin. "Ich schlage vor: Wir nehmen einen notorischen Neonazi und irgend so 'nen Juden. Nicht schon wieder den Bubis, vielleicht jemand von dieser Claims Conference in Frankfurt."

"Gute Idee", kommentierte ein Pazifist. "Und den Nazi, den könnte der Seidler machen, dieser Professor von der Münchner Bundeswehr-Uni. Der ist gerade umstritten. Und der hat auch mal im Bundestag den Baumann ganz übel beschimpft, das wird sicher kontrovers."

"A propos Bundestag", meldete sich die Vertreterin der Böll-Stiftung zu Wort: "Wenn wir zahlen, muß auch jemand von den Bündnisgrünen dabei sein." "Ihr habt doch den Volker Beck, der ist doch fit mit so Sachen", warf jemand in die Runde.

"Gut. Fehlt nur noch ein Titel für den zweiten Abend", resümierte die Antimilitaristin. "NS-Unrecht: Was lange währt, wird niemals gut", schlug jemand vor. "Fragezeichen?" "Fragezeichen ist immer gut."

So ähnlich muß er wohl verlaufen sein, dieser graue Nachmittag in Potsdam. Die Ausstellung ist noch bis 24. April in der Fachhochschule Potsdam zu sehen, dort sollen am 8. und 15. April auch die beiden Veranstaltungen stattfinden. Professor Seidler hat schon zugesagt; ob andere eingeladene Teilnehmer deswegen absagen, war bis Redaktionsschluß nicht zu erfahren.

Sie wollen noch wissen, warum Rühe die besseren Antifaschisten hat? Als Seidler im Januar seine Abschiedsvorlesung an der Bundeswehrhochschule München gab, da boykottierten die meisten seiner Professorenkollegen die Veranstaltung. Aber bekanntlich liebt man es bei der Truppe ja auch nicht kontrovers.