Auf Ostsee-Sand gebaut

Das Atommüll-Zwischenlager Lubmin soll eine widerstandsfreie Ost-Alternative zu Gorleben und Ahaus werden

Die landschaftlichen Bedingungen sind geradezu ideal. Rund hundert Kilometer weit fährt die Bahn von Rheinsberg nach Lubmin durch sumpfige Waldgebiete. Die Werksgleise des 1990 stillgelegten Atomkraftwerks in Rheinsberg ziehen sich auf Sanddämmen über mehrere Kilometer hin, die öffentlichen Schienenstränge zum atomaren Zwischenlager Nord (ZLN) in Lubmin entlang der großen Bundesstraße.

Unzählige Eingriffs- und Unterschlupfmöglichkeiten für AtomkraftgegnerInnen also, wenn im Frühsommer die ersten mit Atommüll beladenen Waggons von Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern rollen. "Die Weichen", bemerkt das Atomplenum Greifswald in einem Aktionsaufruf, "sind noch in Handbetrieb." Der kommende Transport, so die Anti-AKW-Initiative in der alten Universitätsstadt, biete sich für die nicht einmal zweihundert Kilometer entfernt lebenden Berliner geradezu an, um "mal zu zeigen, was in ihnen steckt".

Weitere Atommülltransporte ins niedersächsische Gorleben wurden vorerst ausgesetzt - Ministerpräsident Gerhard Schröder, Freund der Energiewirtschaft, der er ist, will vor den Bundestagswahlen ebensowenig eine Entsorgungsdiskussion führen wie die Bundesregierung. Die Atomlobby ihrerseits setzt nun darauf, die Lieferungen in Ostdeutschland zügiger durchzuziehen als im Westen. Da sowohl das AKW in Rheinsberg wie die Castor-Lagerhalle im Lubmin dem Bund gehören, entfällt der bei den Weststandorten unumgängliche juristische Streit mit den Landesregierungen, der den politischen Preis in die Höhe trieb. Was im Westen gilt, scheint für den Osten nicht zuzutreffen: Umweltministerin Angela Merkel (CDU) und die Energiewerke Nord GmbH (ENW), die Betreiberin des atomaren Zwischenlagers in Vorpommern, arbeiten seit Monaten darauf hin, die ersten Transporte schon im Frühsommer durchzuziehen - Wahlkampf hin oder her.

Die Transporte nach Lubmin sind für die Regierung in Bonn ein Testlauf. Denn trotz der aus Sicht der Exekutive erfolgreichen Einlagerung von süddeutschem Atommüll in Ahaus ist ein Kalkül nicht aufgegangen: Die widerstandsfreie Alternative zu Gorleben ist auch das Zwischenlager Ahaus nicht.

Die Idee, das Zwischenlager Lubmin im Osten als bundesdeutschen Umschlagplatz für Atommüll zu etablieren, könnte auch von Gerhard Schröder stammen. Auf der Suche nach pragmatischen Lösungen für die in den Lagerungszwängen ihres Gewerbes steckenden Atombosse war Schröder um die Rechtfertigung taktischer Bündnisse nie verlegen. Ein Zwischenlager in Ostdeutschland böte sich an: Weder Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) noch sein baden-württembergischer Kollege Erwin Teufel (CDU) scheinen bereit, einer Lagerung von nuklearen Brennstäben in Süddeutschland zuzustimmen. Da aufgrund der hohen Kosten für Polizeieinsätze weder Gorleben noch Ahaus langfristig durchzusetzen sein dürften, wäre ein Zusammenrücken des niedersächsischen Sozialdemokraten mit den Unionschristen aus dem Süden durchaus denkbar. Das Nord-Süd-Bündnis freilich wäre ein Westbündnis: Dem Osten käme der Part der widerstandsfreien Atommüllhalde zu.

Einiges deutet darauf hin, daß in Lubmin deutlich mehr Atommüll eingelagert werden soll, als Ministerin Merkel und die Schweriner Landesregierung bislang zugeben: So genehmigte Ende Februar der Kernenergie-Beirat Mecklenburg-Vorpommerns über die Lagerung ostdeutschen Atommülls hinaus auch die Einlagerung von Fremdmüll. Die Beteuerung der mecklenburg-vorpommerschen Regierung, in Lubmin sollten lediglich die Brennstäbe der stillgelegten DDR-Meiler Greifswald und Rheinsberg verarbeitet werden, wird damit hinfällig.

Der Wunsch der Atomindustrie, westdeutschen Atommüll so bald wie möglich in Lubmin zu entsorgen, scheint sich schneller zu erfüllen als erwartet. Lagerungsraum gibt es genug: In der riesigen Anlage stehen über 150 000 Kubikmeter an Speicherräumen zur Verfügung. Neben den maximal 60 000 Kubikmetern Atommüll aus Greifswald und Rheinsberg bliebe in Lubmin noch genug Platz für Brennstäbe aus dem Westen. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat angekündigt, über die erste Transportgenehmigung noch im Frühling zu entscheiden. Bis zu 6 700 Tonnen Atommüll könnten dann, wenn der Entwurf des Kernenergiebeirats den Landtag passiert hat, sofort und unbefristet in Lubmin eingelagert werden.

So die Bahndämme halten: Ein Bündnis aus Atom- und Umweltinitiativen veranstaltet in Rheinsberg seit März an jedem dritten Sonntag im Monat einen Anti-Atom-Spaziergang; für den Mai ist eine bundesweite Großkundgebung geplant. Ziel des Bündnisses ist es, den Transport zu verhindern und den strahlenden Müll im AKW Rheinsberg zu lassen.