Von A wie Autonome bis Z wie Zorro

Thomas Schultze und Almut Gross untersuchen die Entwicklung einer linksradikalen Bewegung

Angesichts der in letzter Zeit zahlreich auf den Markt geworfenen, von ehemaligen Linken geschriebenen Abrechnungen mit linksradikaler Vergangenheit wird es zunehmend wichtig, daß sich Menschen, die weiterhin an einer grundsätzlichen Kritik an Kapital, Staat und Patriarchat und einer allgemeinen und radikalen Emanzipation festhalten, selbst der Geschichte und Theorie der Linken nach 1945 widmen. Dies scheint auch der Ausgangspunkt für Thomas Schultze und Almut Gross zu sein, die mit ihrer Studie über die Autonomen einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des Linksradikalismus in der BRD leisten. Ihre Arbeit verstehen sie als Beitrag dazu, den heute so notwendigen Widerstand zu reorganisieren und dabei "nicht immer wieder bei A anzufangen".

Die Autonomen in der BRD begreifen sie als "Nachfolger der im 'Deutschen Herbst' 1977 zerschlagenen oder integrierten Linken". Sie seien ein "Entmischungsprodukt anderer Bewegungen", was zum Teil auch die Vielfalt der Themen erkläre, mit denen sich Autonome auseinandergesetzt haben. Schultze und Gross beschreiben den gesellschaftlichen und historischen Hintergrund für die Entstehung der Autonomen. Sie skizzieren die politischen Vorläufer der Bewegung, liefern eine Chronik antiautoritärer und autonomer Aktivitäten vom Ende der sechziger Jahre bis heute, setzen sich kritisch mit dem autonomen Selbstverständnis auseinander, beschreiben die Ansätze zur Organisierung und widmen ein eigenes Kapitel den autonomen Frauen und FrauenLesben.

Die Neuen Sozialen Bewegungen, also die neue Frauen-, die Friedens-, Anti-Atom- und Ökologiebewegung, die die Herausbildung der Autonomen als Bewegung maßgeblich geprägt haben und in denen Autonome zum Teil sehr erfolgreich, wie im Falle der Anti-AtomBewegung, zum Teil eher erfolglos, wie im Falle der Friedensbewegung, aktiv waren, begreifen Schultze und Gross als "autonome Systemopposition", was in dieser Allgemeinheit mit Sicherheit nicht auf die Gesamtheit der sich zeitweise ausgesprochen staatsfetischistisch und auch nationalistisch artikulierenden Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) zutrifft. An einigen Stellen - etwa wenn sie im Zusammenhang mit dem sogenannten NATO-Doppelbeschluß davon sprechen, daß die "BRD damit zum bevorzugten Angriffsziel des Gegners wurde" - übernehmen Schultze und Gross sogar jene Argumentationen, die den nationalistischen Tendenzen in den NSB den Weg geebnet haben, ohne die Problematik solcher Argumentationen immer explizit genug herauszustellen.

Dem Autor und der Autorin deshalb selbst nationalistische Tendenzen oder auch nur ein ambivalentes Verhältnis zum Nationalismus vorzuwerfen, wäre falsch. Im Gegenteil: Jeder Form von nationalistischer und populistischer Anbiederung von autonomer Seite an die deutsche Bevölkerung erteilen sie eine eindeutige Absage. Bei ihrer Auseinandersetzung mit dem autonomen Antifaschismus - einem der nach wie vor wichtigsten Aktionsfelder autonomer Gruppen - kritisieren sie die Annahme, die Rassisten in der BRD "seien arme Irregeleitete, die mensch nur an den Kampf gegen das System heranführen müsste", was nach Meinung vieler Autonomer auch recht einfach zu bewerkstelligen sei, da sie deutsche Rassisten und Nationalisten nicht als vom "völkischen Konsens getragene, bewußte Akteure" begreifen.

Ebenso wie diese weit verbreitete Einschätzung, die sich am deutlichsten in dem Demo-Spruch "Ausländer sind die falsche Adresse, haut den Bonzen in die Fresse!" manifestierte, kritisieren Schultze und Gross die Weigerung vieler Antifaschisten und Antifaschistinnen, zur Kenntnis zu nehmen, daß es "unabhängig von den Neuen Rechten, vom staatlichen Interesse oder von ökonomischen Lagen (eine) rassistische und antisemitische Grundlatenz in der BRD-Bevölkerung (gibt) (Ö), die den Sozialcharakter vieler Deutscher prägt". Vehement wenden sie sich auch gegen zeitweilige Versuche einiger autonomer Gruppen, den nationalrevolutionären Flügel aus der frühen Phase des Nationalsozialismus positiv zu bewerten.

Der weitverbreiteten Skepsis gegenüber Theorie, die sich in einigen autonomen Gruppen zu einer gefährlichen Intellektuellenfeindlichkeit steigerte, widmen sich Schultze und Gross eher am Rande. Die starke Orientierung auf "Aktion vor Theorie", die besonders zu Beginn der achtziger Jahre zum Tragen kam, scheinen sie eher entschuldigen als erklären zu wollen, wenn sie den "altlinken Achtundsechziger(n) mit Langzeittheorien und Erklärungskonzepten" etwas trotzig entgegenhalten: "Mensch hatte anderes zu tun, als zu theoretisieren." Dabei beziehen sich Schultze und Gross bei ihren eigenen Ausführungen recht explizit auf jene Gruppen, die immer wieder versucht haben, eine verstärkte theoretische Auseinandersetzung bei den Autonomen in Gang zu setzen. Eine Beschäftigung mit autonomer Theorie findet sich in ihrem Buch vor allem bei der Darstellung der Zeitschrift Autonomie Neue Folge oder auch der Publikation Wildcat. Sie beschränken sich dabei aber weitgehend auf die Wiedergabe der theoretischen Positionen und unterziehen sie nur an wenigen Stellen einer Kritik.

Schultze und Gross selbst orientieren sich stark an dem triple-oppression-Ansatz, in dem ursprünglich versucht wurde, der dogmatischen Einteilung in Haupt- und Nebenwidersprüche etwas entgegenzusetzen, indem Rassismus, Sexismus und Klassenherrschaft als gleichrangige Unterdrückungsmechanismen begriffen und die Interdependenzen zwischen diesen gesellschaftlichen Widersprüchen herausgearbeitet wurden. Die Gefahren und die Problematik des triple-oppression-Ansatzes, der inzwischen zu einer Theorie der multi-oppression weiterentwickelt werden soll und der zunächst mit Sicherheit ein Fortschritt gegenüber dem kruden Ökonomismus von großen Teile der traditionellen Linken war, thematisieren sie nicht. Nach wie vor besteht bei Vertrerinnen und Vertretern des triple-oppression-Ansatzes die Tendenz, einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Unterdrückungsformen nur mehr zu konstatieren, um dann eine Art Gleichberechtigung im Unterdrücktsein einzufordern, wobei dann die jeweils ausgemachten Widersprüche relativ unvermittelt nebeneinander stehen. Selten wird noch der Versuch unternommen, verschiedene Formen gesellschaftlicher Herrschaft auf die warenförmige gesellschaftliche Totalität zu beziehen. Häufig wird durch die richtige Abkehr vom dogmatischen Klassendeterminismus eine falsche Absage an jegliche Form materialistischer, wertkritischer Erklärungsversuche mitvollzogen.

Schultze und Gross schreiben zu Recht, daß die Autonomen durch das Bild, das durch Medien und Politiker von ihnen gezeichnet wird, auf "reisende Gewalttäter" und "Chaoten des Schwarzen Blocks" reduziert werden. Da die Frage der Gewalt als legitimes Widerstandsmittel bei den Autonomen aber immer eine zentrale Rolle gespielt hat, widmen sich auch der Autor und die Autorin, die selber jahrelang in der autonomen Szene aktiv waren, recht ausführlich den Auseinandersetzungen zu diesem Thema, die es in der autonomen Bewegung, meist angeheizt durch aktuelle Anlässe wie beispielsweise die tödlichen Schüsse auf zwei Polizisten an der Frankfurter Startbahn West, immer wieder gegeben hat. Auch wenn es für das Klischee des gewaltverherrlichenden, meist ausgesprochen patriarchal agierenden autonomen Streetfighters natürlich eine Reihe realer Beispiele gibt, so können Schultze und Gross durch ihre Wiedergabe der weiterhin aktuellen Diskussionen über Militanz bei den Autonomen zeigen, daß in kaum einer anderen Gruppierung so viel, so kontrovers und so differenziert über Gewalt diskutiert wurde und wird, so daß man von den vorbehaltlosen Verteidigern und Verteidigerinnen des staatlichen Gewaltmonopols durchaus verlangen könnte, daß sie sich zunächst einmal auf die Ebene dieser Diskussion begeben, anstatt reflexartig jede linke Militanz mit rechtem Terror gleichzusetzen.

Das Buch bietet mit Sicherheit - ebenso wie das einzige vergleichbare, in der Edition ID-Archiv erschienene und bereits in der fünften Auflage vorliegende Werk von Geronimo - nur einen ersten Einstieg in die Geschichte der Autonomen und in die theoretischen Auseinandersetzungen, die innerhalb dieses Spektrums geführt wurden. Für ein auf 200 Seiten konzipiertes Buch über eine so vielschichtige, für linksradikale Verhältnisse große und mittlerweile auch schon sehr lange aktive Bewegung, erfüllt es damit seine Funktion aber vollkommen.

Thomas Schultze / Almut Gross: Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil der autonomen Bewegung. Hamburg: Konkret Literatur Verlag, 1997, 224 S., DM 28