Ein Schnupfen läuft Amok

Sternstunde der Fußballreportage: Was genau am 10. September 1997 geschah

Spätere, weise Zeiten werden sich erinnern, werden dieser 90 Minuten gedenken, werden jenen 10. September 1997, da Heribert Faßbender für seinen Haus- und Saumagensender ARD mit wundem Hals die WM-Qualifikationsbegegnung Bundesrepublik Deutschland vs. Armenien live und direkt kommentierte, als Wendepunkt in der europäischen Kulturgeschichte betrachten, werden ihn, den 10. September, alljährlich begehen als Tag des Untergangs einer Epoche, werden mit Wonne darauf zurückblicken, wie sich einer der Unnachgiebigsten selbst ins Knie und ab- und fast aus dem Chefsessel geschossen hatte. Fast.

Denn mutmaßlich macht Faßbender weiter, was immer er vor laufender Kamera und aufgedrehtem Mikrofon anstellt. Er ist der Boß, der ewig brummende Bierpinsel, der nicht abzuschaltende WDR-Sportchef, kraft Amt und Aussehen unantastbar monolithisch, steinstoisch und "steindumm" (E. Henscheid).

Längst auch ist Faßbender denkmalwürdig. Seine röhrende lnkompetenz und das Fehlen jeglichen Gespürs für "Situationen", sein selbstvergessenes und unbeholfenes Geplauder, seine kläglichen Witzversuche und sein genereller Plumpsackstil - all dies für sich und erst recht zusammengenommen prädestiniert ihn, den bärtigen Leitaffen des öffentlich-rechtlichen Schnarchsack- und Schnapsnasensportfernsehens, für die Denkmalpflege.

Doch einer wie er, der bis ins Alter aktiv bleibt, zieht die Bremse nicht. Im Gegenteil, er räumt noch mit den letzten Qualitätskriterien der Fußballberichterstaltung so gründlich auf, daß wenig übrigzubleiben vermag: weder Stil noch Geschmack, noch die gebotene Zurückhaltung.

"Herr Professor Kindermann hat mich vor dem Spiel fitgespritzt", hörten wir da um 19.30 Uhr an besagtem 10. September, das Datum wird man sich merken müssen. Was war geschehen?

Faßbender, auch genannt "Das Faß ohne Boden", hatte sich eine formidable Grippe eingefangen. Normale Menschen, normale Mitbürger dieses Landes hüten konsequent das Bett: dicke Daunen, Flasche warmes Bier. Nicht Faßbender. Kein Faß Kölsch. Sondern: moderieren. Und wenn der Russe an der Oder steht.

Ein Möckern und Mursteln knötert aus dem Fernsehapparat. Wer, fragten und fragen wir uns auch heute, ist bloß vor Ort? Ein leibhaftiger Zombi? Wollte uns wenige Augenblicke zuvor nicht das Bierschwammerl Waldemar Hartmann noch glauben machen, Faßbender übernehme nun? Faßbender, der Satz- und Sätzeschmied? Der den Phrasenhammer machtvoll Schwingende? Der All- und llliterat des TV-Soccers?

"Das war die Hymne des kleinen kaukasischen Landes", kracht ein kolossaler Bronchialbrecher durch die Leitung, ist es denn wieder soweit? Wird zurückgeschossen? Mit den Mitteln der Kriegsberichterstattung? Friedhelm Brebeck, sind Sie's? Oder läuft bloß das Band zu langsam?

Nein und abermals nein, hier spricht Heribert "The Voice" Faßbender, "Heribert Stimmbender" (Bild), trotz mancherlei angemeldeter Zweifel. Wolfgang Herrndorf, so erfahre ich über Telefon, glaubt es nicht und lauert mit gezückter Kamera dennoch auf einen Close-up: Heribert, wallend um den Struppbart gezurrte Seidenshawls, beißt ins Mikrofon, malmt Hustenpillen zu Brei und ächzt und krächzt den Äther voll. Es ist zum Erbarmen.

Wahrscheinlich sind die Außerirdischen gelandet und zwingen den Qualvollen qua Wasserpistole zu Vokalexperimenten der schlimmsten Art. Valdania sei "ein engnehmender Bewacher", hören wir, "Öhhäähh", kotzt sich die WDR-Diva ungehemmt aus, "öhumpkrötz, Fehlpaß von Häßler, daran sehen Sie, daß Icke Häßler auch im Kopf noch nicht richtig da ist".

Also, entweder wir sind nicht mehr richtig im Kopf, oder statt findet gerade, was es im bundesdeutschen und mutmaßlich im Weltfernsehen noch nicht gegeben hat. "Hathathat", sondert Die Stimme ab und setzt zu neuen hermeneutischen Höhenflügen an: "Torflauten-Klinsmann!" Torflauten-Klinsmann? Woher solch stupendes Kompositum urschleimplötzlich? Was fährt in ihn?

"Ich will nicht sarkastisch werden, aber das ist schon bitter", knattert der zerfetzte Tieftöner, "wir sind jetzt deutlich in den Achthundertern." Deutlich achthundertfach wahnsinnig geworden ist Heribert Faßbender. Er leistet sich gerade die gröbste Unverschämtheit der jüngeren TV-Historie. Die Privaten können vor Lachen nicht mehr. Während bei der ARD mafiaähnliche Verhältnisse herrschen, hätte Sat.1 dem Auftritt eines Oberkanonenkrachochsen niemals zugestimmt. Statt Kollegen Delling oder den Ausputzer Rubenbauer ranzulassen, platzt in den raren Phasen des Schweigens immer wieder auch unkontrolliert ein dumpf-stumpfes "Ummmch" oder ein spitzgemeines "Eckkrrr" aus ihm, dem frechesten aller Machtmenschen, heraus. Ich bin, signalisiert uns dieses singuläre Moderatorendesaster ohn' Unterlaß, ich bin endgültig unantastbar, ich mach', was und wie's mir gerade paßt, ich sitze hier und breche, wann immer mir danach ist, rotzdreist in die Göbeltonabnehmer. "Der muß doch pensioniert werden", klagt Kollege Eischer verzagt.

Nein, die Gunst der Stunde, endlich die Klappe zu halten, nutzt er nicht. Als seien sämtliche verfügbare Furien in ihn gefahren, faucht, kollert, knarzt und knackt er vor sich hin, die Welt und die Zuschauer hält er zum Narren, als gäbe es schon wahrlich keinen Maßstab mehr, an dem sich die Hybris von der Torheit unterscheiden ließe. "Jürgen Klinsmann jetzt 844 Minuten im Nationalmannschaftsdreß ohne Torerfolg; bei aller internationalen Routine" - Luftholen, Lungenrasseln, Schlorzen - "das ist jetzt bitter für ihn."

Wir müssen uns bald selber übergeben.

Die Faßbender-Bohrmaschine rattert weiter bei 20 U/Min. "Daß man", setzt er, weil das Nasenspray mittlerweile über selbst Faßbenders eigene Gebühr dessen Hirn vernebelt, neu und schwitzend an, "daß man auch gegen die Albaner null-null spielen kann, sieht man hier gegen Armenien." GOtt, laß Gnade walten!

Und er ließ. Irgendwann hatte - zwischen asthmatischen Anfällen der übelsten Katarrh-Provenienz - auch dieser Dreck ein Ende. "Ich entschuldige mich", fiel ihm, dem Hustensack, wohl nach dringlichen Anweisungen des gebeutelten, angst- und schamerfüllten Regisseurs, zum Beschluß seiner neunzig grandiosen Minuten ein, "noch mal" - noch mal? - "noch mal, daß Sie mich heute mit stark verschnupfter Stimme gehört haben. Ich denke aber, die Tore sprachen für sich."

Aber gewiß - Klinsmanns Tore sprachen nochmals nachhaltiger für sich als die verschnupfte Stimme des launigen und prächtig, ja schwitznaß glänzend aufgelegten Superreporters. Was uns dessenungeachtet und abseits der Frage, warum Heribert Faßbender just an diesem vergeigten und verholzten 10. September 1997 eine Redseligkeit entwickelte, die seiner bisherigen Karriere spottete wie der verstimmende Schnupfen dem glockenklaren Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens -; was uns aber überhaupt interessiert:

Wo hat sich der Smarte, der Alerte so erkälten können?