Kurzschlüsse in Nahost

Arafat vollzieht Schulterschluß mit den Islamisten, Netanjahu stützt sich auf den israelischen Fundamentalismus

Der "Friedensprozeß" zwischen Israel und den Palästinensern ist zum Erliegen gekommen. Nimmt man es genau, so ist dieser Zustand der Agonie sogar älter als die Regierung Netanjahu selbst; er setzte kurz nach der Ermordung Rabins mit den schweren Attentaten in Tel Aviv, Jerusalem und Aschkalon im Frühjahr 1996 ein. Seit dem jüngsten Bombenattentat in Jerusalem hat diese Situation jedoch noch eine Zuspitzung erfahren. Insbesondere die Politik von Palästinenserpräsident Jassir Arafat und der Autonomieverwaltung nahm in den letzten Wochen eine neue Qualität an. Arafat scheint inzwischen sein politisches Überleben weniger an den Erfolg des Friedensprozesses knüpfen zu wollen. Statt dessen sucht er nun einen immer deutlicheren Konfrontationskurs mit Israel und die "nationale Einheit" mit den islamistischen und antiisraelischen Kräften.

Auf einem zweitägigen "Nationalen Dialog" am 20. und 21. August vollzog Arafat demonstrativ den Schulterschluß mit den islamistischen Organisationen Hamas und Djihad, die den Friedensprozeß nach wie vor strikt ablehnen. Mit markigen Worten suchte der Vorsitzende der Autonomiebehörde den Anschluß an die Rhetorik seiner neuen Partner zu gewinnen. "Wir haben während sieben Jahren Intifada gekämpft, und wir sind bereit, wieder damit zu beginnen. Alle Optionen sind offen und nichts ist ausgeschlossen." Bereits zuvor hatte Arafat die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen mit Israel abgelehnt, solange die Absperrung der besetzten Gebiete andauere. Insbesondere der israelische Wunsch nach einer Verfolgung der Attentäter vom 30. Juli wurde mit der stereotypen Behauptung abgewiesen, diese seien aus dem Ausland gekommen.

Mit dieser Politik bremste Arafat die US-amerikanische Initiative für ein Wieder-in-Gang-Setzen der Gespräche erst einmal. Mitte des Monats hatte der US-amerikanische Sonderbeauftragte Ross erreicht, daß Israel die interne Absperrung der Westbank-Städte Ramallah und Hebron aufhob und damit der palästinensischen Seite Gelegenheit geboten, die Zusammenarbeit wiederaufzunehmen. Kurzfristig stand sogar der direkte Eintritt in die letzte Runde der Verhandlungen zur Debatte.

Diese Bemühungen sind jetzt weitgehend Makulatur. Dabei richteten sich gerade die palästinensischen Hoffnungen vollständig auf die amerikanische Regierung. Der bereits wiederholt verschobene Besuch der US-amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright soll jetzt ab dem 9. September stattfinden. Nach Auskunft des US-Außenministeriums will Albright Israel, die Autonomiegebiete, Ägypten, Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien besuchen.

Je verfahrener die Situation, desto weniger Interesse hat die Regierung in Washington, sich außenpolitisch mit einer gescheiterten Friedensinitiative zu belasten. Und in dem Maße, wie Arafat die "nationale Einheit" mit den Islamisten propagiert, stellen sich die USA hinter die Sicherheitsinteressen Israels.

Tatsächlich kann sowohl die PLO als auch die palästinensische Bevölkerung durch ein Bündnis mit den Islamisten nur verlieren. Wenn es um radikale Parolen und militante Aktionen gegen Israel geht, werden die Islamisten Arafat so lange vor sich hertreiben, bis von seiner bisherigen Politik nichts mehr übrig geblieben ist. Der Islamismus richtet sich nämlich nicht gegen die Politik des Staates Israel, sondern gegen dessen Existenz. Er behauptet, daß ein Verschwinden Israels den desolaten Lebensverhältnissen der Palästinenser abhelfen würde. Ein Druckmittel, um Israel an den Verhandlungstisch zurückzubekommen, kann er für Arafat schon deshalb nicht sein. Vielmehr bestätigt das Bündnis die Vorwürfe der israelischen Regierung, daß es die palästinensische Seite mit der Bekämpfung des Terrors nicht wirklich ernst meine.

Doch auch Netanjahu steuert einen zunehmend konfrontativen Kurs. Zwar ist die Absperrung der besetzten Gebiete, mit der die israelische Regierung auf das Attentat in Jerusalem am 30. Juli reagiert hat, an sich nichts Neues. Sie waren in diesem Fall aber begleitet von weiteren Maßnahmen, die sich direkt gegen die Autorität der palästinensischen Selbstverwaltung richteten - so die Zurückhaltung von fälligen Überweisungen und ein Haftbefehl gegen den Chef der palästinensischen Polizei. Netanjahus Politik scheint darauf zu zielen, die politischen Strukturen in den Autonomiegebieten so weit wie möglich zu destabilisieren, um keine weiteren Zugeständnisse machen zu müssen. Die israelische Zeitung Haaretz hat in der letzten Zeit sogar mehrfach den Verdacht geäußert, daß die israelische Regierung bewußt auf einen Sturz Arafats hinsteuert.

Gleichzeitig verschärft sich auch die Situation an der Nordgrenze Israels. Aus dem Libanon hat die pro-iranische Hisbollah am 8. August, wenige Tage nach dem Attentat in Jerusalem, wieder damit begonnen, zivile Ziele in Israel zu beschießen. Die israelische Reaktion folgte auf dem Fuß. Am 19. August gingen erneut Raketen auf die nordisraelische Stadt Kirjat Shmoneh nieder, und am darauffolgenden Wochenende lieferten sich die israelische Armee und die Hisbollah-Milizen heftige Kämpfe im Libanon. Daß die libanesische Schutzmacht Syrien die Angriffe auf Israel zuließ, zeigt, wie festgefahren auch die Verhandlungen über den Golan sind. Die syrische Politik demonstriert aber auch, daß die arabischen Staaten wieder zunehmend auf militärischen Druck setzen und trotz der eigenen Gefährdung bereit sind, die Karte des Islamismus gegen Israel zu auszuspielen.

Tatsächlich ist die aggressive Haltung Netanjahus ebenso ein Zeichen der Schwäche, wie sie dies auf Seiten Arafats ist. Inzwischen werden auch aus den Reihen des Likud Stimmen laut, die einen endgültigen Anzug aus dem Libanon fordern, um keine weiteren israelischen Soldaten dort opfern zu müssen und den Weg für Verhandlungen mit Syrien frei zu machen. Das Attentat auf dem Jerusalemer Marktplatz zeigt deutlich, daß Netanjahus Politik der Stärke und Kompromißlosigkeit gescheitert ist, denn auch sie konnte den Terror gegen die israelische Bevölkerung nicht verhindern.

Genauso desolat präsentiert sich die innenpolitische Bilanz der Likud-geführten Regierung. Das Wirtschaftswachstum ist in Israel von sechs Prozent im Jahr 1995 auf zwei Prozent im ersten Halbjahr 1997 gefallen, die Arbeitslosigkeit steigt dagegen rasant. Die Gewerkschaftsbewegung Histadrut rüstet sich für eine große Streikwelle im September, die sich gegen die Deregulierungspläne der Regierung richten soll.

Daß die Regierung Netanjahus bislang nicht ernsthaft in Bedrängnis gekommen ist, liegt daran, daß auch sie erfolgreich fundamentalistische Stimmungen mobilisiert. Dieser moderne israelische Fundamentalismus hat letztlich die selben Wurzeln wie der islamische - er ist eine genuin kapitalistische Krisenideologie. Wie überall auf der Welt tendieren auch die israelischen Unterklassen, oftmals Einwanderer aus Osteuropa und Nordafrika, derzeit dazu, nationalistische und religiöse Parteien zu unterstützen und eben nicht die Linke. Hinzu kommt, daß die Arbeitspartei traditionell die liberale Mittel- und Oberschicht der Gesellschaft repräsentiert und keine Alternative für die Opfer der ökonomischen Reformen darstellt. Die israelische Regierung ist aus diesen innenpolitischen Gründen darauf angewiesen, die aggressive Haltung gegenüber den Palästinensern beizubehalten, weil sie ihre einzige ideologische Basis darstellt.

Die Behauptung, die Politik Netanjahus würde den islamischen Radikalismus produzieren, ist pure antisemitische Ideologie, denn sie bürdet die Schuld für den Antisemitismus seinen Opfern auf. Doch für den Aufschwung fundamentalistischer Kräfte innerhalb der israelischen Gesellschaft ist diese Politik durchaus mitverantwortlich. Ihr gegenüber steht eine sich als "post-zionistisch" verstehende Linke, die jedoch, wie der israelische Historiker Moshe Zimmermann feststellt, tatsächlich die Fortsetzung des traditionell liberalen Zionismus auf der Höhe der Zeit darstellt, ganz im Gegensatz zum religiös-nationalistischen Fundamentalismus. Eine Affirmation der jetzigen Regierungspolitik wäre deshalb selbst antizionistisch und jedenfalls keine angemessene Antwort auf die antisemitische Bedrohung der Existenz Israels.

Eine weit größere Gefahr droht hierzulande jedoch in einer Wiederauferstehung der nach dem Golfkrieg weitgehend eingeschlafenen Solidaritätsbewegung mit den Palästinensern. Ein Umkippen des Konflikts in eine erneute militante Auseinandersetzung riefe mit Sicherheit eine neue antizionistische und daher antisemitische Welle hervor. Die Vorfreude über eine "neue Intifada" zeigt sich bereits darin, wieviel Verständnis einem solchen Aufstand bereits jetzt entgegengebracht wird. Zur gleichen Zeit wird zumindest publizistisch der Kurs auch von rechts angezogen. In der FAZ wird zum wiederholten Male die arabische Forderung kolportiert, daß sich vor allem Deutschland stärker in diesem Konflikt engagieren müsse. Und von den Vereinigten Staaten verlangt die FAZ, daß sie "von ihrer Unterstützung für Israel wenigstens die Hälfte an die Palästinenser abtreten" müsse.

Eine ganz andere Qualität besitzt die Kritik, die in Israel an der Likud-geführten Regierung geäußert wird, denn sie steht nicht in einem antisemitischen Diskurszusammenhang. Nach den gescheiterten Versuchen, in eine große Koalition mit dem Likud einzutreten, versucht die oppositionelle Arbeitspartei nun mit dezidierten Gegenpositionen zur Regierungspolitik an Profil zu gewinnen. In der Neuen Zürcher Zeitung sprach sich dessen Parteichef Ehud Barak für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und gegen die Erweiterung der Siedlungen in den besetzten Gebieten aus. "Wir können es uns nicht leisten, einen Apartheidstaat oder eine Situation wie in Bosnien zu schaffen", sagte er in einem Interview vor zwei Wochen. "Unter der gegenwärtigen Regierung könnte es aber soweit kommen, daß Israel beides herbeiführt." Gegenüber der französischen Zeitung Libération ging er noch einen Schritt weiter. "Wenn sie einen Staat wollen", so Barak, "sollen sie ihn haben, selbstverständlich unter Berücksichtigung bestimmter israelischer Sicherheitsinteressen. Wenn sie sich für eine Konföderation mit Jordanien entscheiden, wäre ich ebenfalls einverstanden."

Die israelische Linke hingegen ist in einem ebenso desolaten Zustand wie überall. Nach dem Wahlsieg der Arbeitspartei 1992 ist sie auf winzige Zirkel zusammengeschmolzen, seit der Regierungsübernahme Netanjahus hat sie sich nicht regeneriert. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die man in den achtziger Jahren gemacht hatte, sieht man die derzeitige Situation allerdings eher gelassen, um nicht zu sagen resigniert. Im Grunde wartet alles auf die nächsten Wahlen im Jahr 2000, in der festen Überzeugung, daß sich bis dahin sowieso nichts ändern wird.