Charming Left

Heidi Specogna und Rainer Hoffmann drehten eine Dokumentation über die "Tupamaros", Uruguays legendäre Widerstandsbewegung

Wenn Pepe Mujica erzählt "eigentlich bin ich ein Erdklumpen mit Füßen", dann dürften sich eine Menge von Deutschlands Linken angesprochen fühlen. Ab ins Kino. Denn Mujica ist der Star von "Tupamaros", der Dokumentation von Heidi Specogna und Rainer Hoffmann, beide Absolventen der deutschen Film- und Fernsehakademie und einschlägig für kritisches Bild-Engagement bekannt: Sie drehten in der Vergangenheit Filme über die Auswirkungen des Asylrechts ("Das Schwinden der Schwelle beim Schließen der Tür", 1987) oder auch das Tamara-Bumke-Special "Tania - La Guerilla - Porträt einer Revolutionärin" (1991).

Bestens vorbereitet also zogen die beiden los, kompilierten historische Aufnahmen aus den sechziger und siebziger Jahren gekonnt mit Interviews und stimmungsvollen Aufnahmen der einstigen Revolutionäre von Uruguay. Mujica fährt heute mit dem Moped zum Parlament. Nicht nur, daß die Tupamaros vor 25 Jahren vom Militärregime verhaftet und die Organisation zerschlagen wurde, man halste den radikalen Aufrechten auch noch die Realpolitik auf. "Wir müssen aufpassen, daß wir nicht irgendwann das Land regieren", sagt Mujica mahnend über seine Partei, die MLN - was für ein Lehrfilm.

Mujica und die anderen Protagonisten haben zum Teil über Jahre hinweg im Gefängnis gesessen. Die Porträtstudien der einzelnen Personen, wie sie da von den aberwitzigen Aktionen vergangener Tage erzählen, sind sehr detailliert. 1962 besetzten Zuckerrohrarbeiter einige Landgüter und gründeten eine eigene Gewerkschaft. Die Tupamaros nahmen die Arbeit auf. Mythenbildend wirkten ihre phantasievollen bis spaßigen Widerstandsaktionen am Rande, zum Beispiel der Überfall auf den Schweizer Schießverein in Montevideo ein Jahr später. Man erbeutete zwar einige Gewehre, aber die Schlagbolzen fehlten, weil die sicherheitshalber weggeschlossen worden waren.

Von Rückschlägen aber haben sich die Tupamaros nie sonderlich beeindrucken lassen. Bis das Militärregime in den siebziger Jahren jeglichen Widerstand unterband - Mujica und andere wurden gar bis 1985 als Geisel festgehalten -, brachten sich die Revolutionäre damit weltweit ins Gespräch. Als sie 1966 ein Theater überfielen, schnappten sie sich zehn als Requisiten eingesetzte Mausergewehre und dazu 18 Militäruniformen. Sie setzten beim Fälschen von Dokumenten Maßstäbe und tarnten sich mit kosmetischen Operationen ("Irgendwann hatten alle die gleiche Nase"). Als sie 1969 die Kassenbücher der Finanzierungsgesellschaft Monty raubten, flogen Transaktionen von Regierungsmitgliedern auf, der Finanzminister trat zurück. Der Kampf richtete sich gegen Großgrundbesitz, Ausbeutung und US-amerikanische Einflußnahme. Die Junta reagierte mit jahrelangem Ausnahmezustand und der höchsten Pro-Kopf-Rate in der Folterstatistik Südamerikas.

Die Tupamaros hatten über den Marx-Zirkel zum revolutionären Ansatz gefunden: Wenn man schon ein Produkt der Umstände sein müsse, dann müßten diese eben geändert werden. Zu lachen hatten sie, das sollte man richtig verstehen, meist nichts. Und auch die Gegenwart erscheint zwiespältig: Die ehemaligen Folterstätten und Gefängnisse sind zwar adrett umfunktioniert, am Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit hat sich aber nicht viel geändert. Pepe Mujica betreibt heute mit Luc'a Topolansky, Hauptverantwortliche der Monty-Aktion, nebenbei einen Blumenhandel. Aber eben darin liege auch die Gefahr: "Wenn man zuviel arbeitet, kommt die politische Arbeit zu kurz. Und dann haben wir den Salat."

Ein anderer Salat: Bei soviel Charisma blieb in jener Zeit in linken Kreisen Westeuropas die mit der eigenen vermeintlichen Subversion kompatiblen Überformung nicht aus. Die Tupamaros lieferten das Vorbild für spätere Modelle der "Stadtguerilla" in Europa. Dort fand man auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt im Elend der "Dritten Welt" sich selbst und übertrug den Kampf der Landarbeiter und Lenins Theorie der Volksbewaffnung auf die Eltern so wie Che Guevara von der Politik aufs T-Shirt. Dazu kam, daß die südamerikanischen Rebellen die Kategorie "Volk" aufwerteten. Denn die "Volksnähe" - sie wird auch in einigen Filmkritiken gelobt - war hierzulande zumindest etwas angeknackst. Und dorthin zieht es wohl auch das Bild vom Erdklumpen: Denn allein die K-Gruppen-Zugehörigkeit schützte manche nicht vor Schollenverbundenheit. Freilich soll nicht die gesamte Bewegung in Blut und Boden verdammt werden, aber durchaus an die Rezeptionsgeschichte bei Spontis ("Amis raus"), orthodoxen Linken ("das bessere Deutschland") und Stadtteilbewegung ("mein Kiez gehört mir") erinnert werden, bei denen sich ein gewisses Zuhausegefühl zum politischen Anspruch formulierte.

Der Film geht denn auch ein wenig von der historischen Situation weg, und unterstützt mit entsprechenden Zitaten eine romantisierende Betrachtungsweise sozialer Proteste. Tupamaro sein, heißt es, sei eher ein Gefühl als eine politische Definition.

Andererseits: Man möchte zwar nicht gerade sagen, linke Themen würden im Kino boomen. Aber es scheint doch ein reges Interesse daran zu geben, im Dokumentar- wie im Spielfilmbereich. Genannt seien "Reprise - Wiederaufnahme" (1996) oder auch "Panther" (1995) und "Hinter diesen Mauern" (1996). Da schaut man auf Filmfesten Videos von den Streiks der südkoreanischen Gewerkschaften und amüsiert sich über sozialistische Musicals. Und demnächst kommt's dicke, wenn Ken Loach drei Jahre nach seiner Version des spanischen Bürgerkriegs ("Land and Freedom") den radikal verkitschten Konflikt zwischen nicaraguanischen Sandinisten und Contras auf die Leinwand bringt ("Carla's Song", ab 11. September).

Bei den Aufarbeitungen gibt es meist zwei Kategorien. Entweder sie berichten von Themen des "realen Sozialismus", dann hat man sich meist bei alten Kontakten ("Defilada", 1989) und aus den nun geöffneten Archiven bedient (zum Beispiel "East Side Story", 1996, Bundesstart: 25. September). Das Ergebnis ist meist humoristischer Art, das Publikum soll sich über die Versuche sozialistischen Kulturschaffens kaputtlachen.

Oder man emotionalisiert politische Bewegungen durch die dramatische Darstellung von Einzelschicksalen, die nicht minder real existieren, schneidet das besonders gut und spannend, auf daß man zum Schnupftuch greift (Dokumentationen). Oder ist im Streit zwischen Gut und Mies (Spielfilm) dabei, mit der mehr oder weniger einszueins gemeinten Aufforderung zur Bewußtseinsbildung.

Allen Versuchen scheint wiederum gemein zu sein, daß diese - nennen wir es vergangene Widerstandsepochen - auf ihren kompatiblen Gehalt abgeklopft werden. Tenor: Die haben gemeinsam Widerstand geleistet - wogegen, ist erstmal egal. Das würde ich auch gern, aber ich muß es jeden Tag allein schaffen. Bei manchen Kritikern heißt das: Widerstandsritual. Das bewirkt zwar nichts Gutes, aber hat durchaus etwas mit der Lessingschen Reinigung der Affekte zu tun. Anders gesagt: Die emotionalisierte Geschichtsschreibung transportiert das revolutionäre Bewußtsein ins Bürger- und Proleten-Oberstübchen.

Eine Möglichkeit ist: Die Linke ist so tot, daß man sich getrost darüber lustig machen oder heulen muß. Das war zwar noch nie anders, appelliert aber hin und wieder ans Nostalgiegefühl alter Kämpen. Umgekehrt kommen manche Facetten ja auch nur ganz selten vor in der populären Kunst. Es ist ja nicht so, daß es massenhaft Screenplays etwa über Solibewegungen gäbe. Oder Hausbesetzer. Hat schon mal jemand die Gründung der taz verfilmt oder gibt es einen Spielfilm mit Autonomen als Hauptdarsteller?

Insofern kann man die die zahlreichen Versuche, sich nach 1989 cinematographisch mit der Linken zu beschäftigen, auch positiv bewerten. Die These wäre dann: Die Linke ist zwar restlos im Eimer. Aber besser, der Sozialismus kommt im Film vor als gar nicht. Und Lachen tut nicht weh. Ein Film wie "Tupamaros" bringt ja vielleicht auch mal dem ein oder anderen Schulkind was von den ganzen Sachen näher: Dann wären solche Filme vielleicht als eingängige Fortsetzung von Dialogen mit allerlei Urenkeln zu verstehen.

Keine Frage, Specogna und Hoffmann haben einen wichtigen Film gedreht. Und man glaubt gar nicht, wer sich da so alles seine Gedanken macht. Cinema, das Popmagazin unter den Filmzeitschriften, weiß: "Tupamaros mögen alt werden, aber die Revolution hält jung." Und: "Wenn die Gründungsväter der RAF diesen Film gesehen hätten, wären sie bessere Terroristen geworden."

Pardauz. Also anstrengen, das nächste Mal. In jedem guten deutschen Journalisten steckt eben noch ein besserer Terrorist. Auch wenn unter den RAF-Vätern die ein oder andere Mutter war.

"Tupamaros". D/CH/Uruguay 1996. Regie/Buch: Rainer Hoffmann und Heidi Specogna. Start: 4. September