Ich bin eigentlich kein Hool

Im Prozeß um den Tod des Amsterdamer Hooligans Carlo Picornie fehlen die Täter

"Wie konnte es soweit kommen? Warum tun Menschen so etwas? Ich weiß nicht, warum, und ich denke, daß auch kein anderer Hool darauf eine Antwort weiß ... Wenn man eine durchschnittliche Hool-Gruppe unter die Lupe nimmt, dann stellt man schnell fest, daß das Bild, das die normale Öffentlichkeit von Hools hat, in keiner Weise der Realität entspricht. Denn das besagt doch vor allem, daß der durchschnittliche Hooligan ein arbeitsloser, fehlgeleiteter Nichtsnutz ist. Nichts könnte jedoch weniger wahr sein: Die Hooligans sind Jungs aus allen Schichten der Bevölkerung. Sie setzen sich zusammen aus arbeitslosen Nichtsnutzen wie aus sehr begüterten Unternehmern, Bankangestellten, Beamten, Studenten. Das Einzige, das diese Menschen miteinander gemein haben, ist die Gewalt ... Ich weiß, daß ihr als korrekte Bürger sagen werdet: 'Gut so, laß sie sich gegenseitig umbringen!'

Aber wißt ihr wirklich, was euer Sohn am Spieltag macht?"

So verabschiedete sich ein Freund des am 23. März dieses Jahres bei einer verabredeten Prügelei zwischen Amsterdamer und Rotterdamer Hools an der Autobahn bei Beverwijk getöteten Carlo Picornie im Internet von seinem Kumpel. Der Tod des Hotelbesitzers, zweifachen Vaters und Anführers der Ajax-Hools war der vorläufige Höhepunkt der grundsätzlich bewaffnet geführten Auseinandersetzungen zwischen den zutiefst verfeindeten Hoolgruppen - und überall reagierte man geschockt. Einer der Feyenoord-Hauptsponsoren dachte über eine Vertragsauflösung nach, Justizministerin Winnie Sorgdrager kündigte an, die Hools künftig wie kriminelle Vereinigungen zu behandeln und sie massiv überwachen zu lassen.

Zunächst aber kam man mit der Tätersuche nicht voran. Die Agentur ANP weigerte sich unter Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht, Fotos an die Staatsanwaltschaft auszuliefern, an den Ausschreitungen Beteiligte wagten nicht, auszusagen, denn ihnen waren zuvor harte Strafen angedroht worden. Die Polizei war zwar über die bevorstehende Großprügelei informiert worden, wartete jedoch zum Tatzeitpunkt an der falschen Autobahn. Die wenigen Polizisten, die schließlich am Tatort eintrafen, sahen keine Möglichkeit, einzugreifen: "Die Gewalt war so heftig und explosiv, daß Luftlandetruppen notwendig gewesen wären, um dazwischenzugehen!" erklärte Polizeichef Visser vom Abschnitt Kennemerland. Und schließlich behaupteten Ajax- wie Feyenoord-Hools unisono, daß es sich bei der Prügelei in Beverwijk auf gar keinen Fall um ein verabredetes Treffen gehandelt habe - und reduzierten so gemeinschaftlich die drohende Mordanklage auf eine wegen Totschlags. Dabei waren zur großen Abrechnung zwischen Ajax und Feyenoord sogar Hools aus Chelsea und Düsseldorf angereist.

Schließlich fand man dann doch genügend Zeugen, mehrere Dutzend Ajax- und Feyenoord-Hools stehen seit vorletzter Woche vor Gericht. Drei Rotterdamer wurden schon zu Haftstrafen bis fünf Jahren verurteilt, unter ihnen Chris D., der sowohl auf Picornie als auch auf den Amsterdamer Fred J. eingestochen haben soll. Fred J., der als Zeuge aussagte, hatte im März schwere Lungenverletzungen erlitten - und wird in dieser Woche wegen Beteiligung an den Ausschreitungen von Beverwijk selbst vor Gericht stehen. Trotzdem verlaufen die Hool-Prozeße für die Staatsanwaltschaft nicht sonderlich erfolgreich: Ein Verdächtiger, Aard van T., wurde nach sechsmonatiger U-Haft am zweiten Prozeßtag nach Hause geschickt. Die Zeugenaussagen, nach denen er Picornie mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen haben soll, waren nach Ansicht eines hinzugezogenen Psychologen so unglaubwürdig, daß die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen Totschlags sofort fallen ließ.

Die Ermittlungen im Fall eines zweiten Verdächtigen sollen aufgrund schlampiger Polizeiarbeit noch einmal neu aufgenommen werden: Ein bei ihm beschlagnahmter Hammer wurde in eine Kiste zu anderen möglichen Tatwerkzeugen geworfen, so daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß die an ihm gefundenen Blutspuren von einem anderen Beweismittel stammen. Die Anklagepunkte gegen einen weiteren ursprünglichen Hauptverdächtigen, Danny T. aus Gouda, wurden so reduziert, daß ihm nur noch ein Strafmaß von maximal 18 Monaten auf Bewährung droht, die ursprüngliche Anklage wegen Totschlags hielt die Staatsanwaltschaft plötzlich nicht mehr für beweisbar.

Und die Mörder Picornies scheinen nicht unter den Angeklagten zu sein. Dabei wurde die Tat sogar gefilmt: Eine Überwachungkamera am Wijkertunnel hielt die Prügelei fest, eine Szene zeigt zwei Männer, die wahrscheinlich auf den Amsterdamer einstechen. Obwohl die Bilder recht undeutlich sind, steht fest, daß keiner der Angeklagten Ähnlichkeit mit den mutmaßlichen Tätern hat.

Das unabhängige und hoolnahe Ajax-Magazin De Ajax Ster (DAS) erhielt unterdessen ein von DAS als authentisch eingestuftes Entschuldigungs-E-Mail des Täters:

"Liebe Ajacieden,

ich habe etwas SEHR Dummes getan, und das weiß ich.

Ich bin eigentlich kein Hooligan und werde wohl auch nie einer werden. Ich hoffe, daß Ihr mir diese abscheuliche Tat vergeben könnt. Ich kann es natürlich nur hoffen. Ich bin so naiv gewesen, mich aufstacheln zu lassen. Und jetzt möchte ich gerne mein aufrichtiges Bedauern bezeugen, allen Ajacieden, aber vor allem den Verwandten des Opfers. Ironisch genug - ich bin selber jüdischer Herkunft ... Ich wünsche Euch (Ajax) viel Erfolg bei dem Spiel morgen und hoffe, daß dieser Brief unter uns bleibt, viel Erfolg und vielen Dank."

Die E-Mail-Adresse des Absenders sei der Redaktion bekannt, setzte DAS unter dieses Schreiben und fügte hinzu: Für uns ist die Sache damit erledigt ...

Ganz erledigt ist für Amsterdamer wie Rotterdamer die Sache aber wohl doch nicht. Nach einem halben Jahr erzwungener Ruhe, während der allerdings keines der zahlreichen geplanten Friedensabkommen zustande kam, rechnen Insider nun damit, daß nach Prozeßende weitere Gewaltakte folgen.