Rückwärts laufen

Modelle der Wiederkehr in den Filmen "Romy und Michele", "Ein Mann, ein Mord" und "Sling Blade"

"Rückkehr der ..." - lautet in der Regel der Beginn eines Filmtitels für eine Fortsetzung. Konnte das Monster beim ersten Mal gerade noch flüchten, kehrt es einige Jahre später zurück und richtet noch größeren Schaden an ("Rückkehr der Jedi-Ritter", "Rückkehr der glorreichen Sieben", "Rückkehr der Killertomaten" etc.). Auch der derzeit erfolgreichste Film, "Lost World", thematisiert eine Wiederkehr: die der "Jurassic Park"-Echsen ans Set.

Von finanziellen und produktionstechnischen Aspekten solcher Geschichten einmal abgesehen, ist auch die Wiederholung im Film selbst ein gängiges Erzählmodell: Der Westernheld, der früher ein übler Killer war, und nach Jahren in die Stadt zurückkehrt, in der er einst aufräumte: Charles Bronson in "Spiel mir das Lied vom Tod", der den Mörder seines Vaters mit der Vergangenheit konfrontiert; Arnold Schwarzenegger in "Total Recall", der den Mars ein zweites Mal erobert. Das Spiel mit und in der Zeit treibt die Handlung voran, das Wiedererleben erst macht die Konstruktion des Helden möglich. Ebenso wie frühere Gegner überrascht sind oder um ein Geheimnis wissen, so wird dem Helden der zweite Durchlauf zur Selbstbesinnung, in Form einer Prüfung, beinahe wie im mittelalterlichen Entwicklungsroman. Ein zweites Mal beschreitet er den gleichen Weg, frei in der Entscheidung und doppelt erfolgreich.

Mit diesem Modell spielen auch drei Produktionen, die derzeit oder demnächst in deutschen Kinos zu sehen sind: "Sling Blade", "Ein Mann, ein Mord" und "Romy und Michele". Die Hauptfiguren in den beiden letztgenannten sind - modernistisch - verunsichert. Die Freundinnen Romy (Mira Sorvino) und Michele (Lisa Kudrow) zogen von der Kleinstadt ins große Los Angeles, wo sie es slacker-like zu nichts gebracht haben. Mehr ungewollt begeben sie sich in die Vergangenheit: Eines Tages taucht Highschool-Mitabsolventin Heather (Janeane Garefalo) auf und teilt den Freundinnen mit, zum Jubiläum des Abschlußjahrgangs stehe ein Fest im heimatlichen Tuscan an. Sie beschließen, die emanzipiert-knallharten Business-Frauen zu geben.

Selbstbewußt auftretende Frauen sind in Tuscan aber nicht erwünscht, die Lehren des Feminismus kamen hier nie an. Wie eine Applikation wirkt die metropolitane Selbstbefreiung, man taucht in die Schulfete wie in ein vergangenes Ambiente - nichts hat sich verändert. Tanzten sie in L.A. noch zum letzten Drum'n'Bass-Remix von La Bouches "Be My Lover", hüpfen sie nun zu den 87er Klängen von Cindy Lauper, Thomas Dolby und Robert Palmer. Und doch schlagen die einst vom Highschool-Kollektiv unterdrückten Frauen ihre arroganten Gegner. Schnell haben sie ihre Klamotten von damals an und legen ihren oft geübten Paartanz aufs Parkett.

Bald stehen sie als Siegerinnen da, haben die gute Partie abgeschleppt. Der Preis jedoch ist - bei aller Ironie - hoch. Sie verlieren sowohl ihre Selbständigkeit als auch die Gegenwart. Der bewußte Gang durch die eigene Biographie ist deshalb gefahrvoll, weil sie zwar das begehrte Objekt - den reichsten Jungen - für sich einnehmen können und so die Vergangenheit korrigieren, andererseits aber die eigenen Erlebnisse nur noch einmal aus zweiter Hand, aus dem Vergangenen, nicht aber aus sich selbst als Repräsentantinnen der Gegenwart erfahren. Es ist dabei die Rolle der Musik, die "Blasen der Vergangenheit" (F.Glauser) gegenständlich werden zu lassen. Die späten Achtziger und ihre Popkultur, ehedem schon ein Zitieren aus noch früherer Pop-Geschichte, überlagern jeden Fortschritt.

Überhaupt keinen Grund, sich mit der Vergangenheit abzugeben, hat Martin Q. "Blank" (John Cusack) in "Ein Mann, ein Mord". Denn Martin ist erfolgreicher Berufskiller und ebenfalls von der Provinz in die Großstadt gezogen. Auch er reist zum Highschool-Treffen, obwohl er kaum weiß, was er zu den üblichen Floskeln beitragen soll. Er kann ja schlecht zugeben, daß er den Präsidenten von Paraguay kürzlich mit einer Gabel liquidiert hat.

Im Heimatort trifft er auf die schöne Jugendliebe Debi (Minnie Driver), die eine Radiostation betreibt. Gemeinsam beschließen sie, das Fest zu besuchen. Wie bei "Romy und Michele" läuft dort einschlägiger Musik-Schmand, gespielt von einer zweitklassigen Band. Der Raum ist drapiert mit Lampions und Luftschlangen, ganz wie bei einer Teenie-Fete. Martin taucht ebenso in die vergangenen Zeiten ein, und versucht seinerseits die Gegenwart - seinen Serienkiller-Beruf, hier das gewalttätige Zeichen eines modernistisch ausgeformten Lebensstils - als Vergangenheit zu entsorgen. Bald bekommt er Besuch von den Stadtkollegen, die ihm an die Wäsche wollen. Martin, dereinst nach einer heißen Nacht mit der Freundin verschwunden, rettet nicht nur die eigene Haut, sondern auch gleich die Debis und ihres Vaters. Dafür verliert er den Status des erfolgreichen, aber alleinstehenden Unternehmers mit Büroetage.

Wie Romy und Michele kehrt Martin an den Ort seiner Jugend zurück, um dort sein Glück zu finden. Den Verlust der Autonomie und auch die Zukunftslosigkeit der Protagonisten beschreiben beide Filme als etwas Positives. Und bei allem Wortwitz und aller ausgefeilten Situationskomik können sie ihre regressive Tendenz nicht verschleiern. Tenor: Wahres Glück liegt daheim, und wenn eine Entfernung von den Heimatorten wirklich nötig ist, dann nur um den Wert echter Werte kennenzulernen.

Rückkehr, Bewußtwerdung, Bewegung, Ortsbestimmung und Perspektive sind auch die Themen in Billy Bob Thorntons "Sling Blade", der brutalsten dieser drei Modellvarianten. "Sling Blade" ist eher Tragödie denn Komödie, obwohl er einen hohen komödiantischen Anteil durch die Konzeption der Hauptfigur garantiert. Karl (B.B.Thornton), ein gutmütiger dumpfer Mann, erschlug im Alter von zwölf Jahren seine Mutter und ihren Liebhaber, als er sie nackt auf dem Küchenboden fand, mit einer Sichelklinge (Sling Blade). Ein Irrtum: Er glaubte, der verhaßte Nachbar wolle der geliebten Mutter etwas antun. Karl wandert - das ist seine Reise in die weite Welt - für 25 Jahre in die nahe gelegene Irrenanstalt. Nun soll er freigelassen werden, der Anstaltsleiter besorgt ihm einen Job als Mechaniker. Karl bewährt sich. Anerkennung erhält er durch die Bekanntschaft mit Frank (Lucas Black), einem Jungen, der bei seiner Mutter Linda (Natalie Canerday) lebt, deren paranoider Freund Doyle (Dwight Yoakam) die Familie tyrannisiert. Karl sieht Parallelen zu seiner eigenen Situation und erlebt in der Person des Frank seine eigene Kindheit ein zweites Mal. Weil er glaubt, der einzige zu sein, der Linda und Frank retten kann, erschlägt er Doyle mit einer Rasenmäherklinge und verschwindet wieder in der Anstalt.

Für Karl ist die Wiederkehr mehrfach bedeutsam. Er hatte gar nicht die Möglichkeit zu einer eigenständigen Entwicklung. Die Vergangenheit, der Mord an der eigenen Mutter, ist zwar prägend gewesen; seine Lebenswelt ist jedoch die Klinik, in die er als Gescheiterter zurückkehrt. Karl ist eine Figur ohne Umgebung: Als einzige szenische Gegenwart scheint er sich in lauter Vergangenem zu bewegen: der Stadt als Ort der Kindheit, der Klinik als Ort des vertanen Lebens. Karl kehrt gleich zweimal "heim": in die Anstalt und in seine Stadt, und beides sind Orte seiner eigenen Zerstörung. Karls Erkenntnisfortschritt bezieht sich unzweifelhaft auf die Unmöglichkeit, Mensch zu sein.

In "Sling Blade" verknüpfen sich mehrere Ebenen zur Lebenswelt-Retrospektive, und die Erzählstruktur wird auch hier von der Musik flankiert: So versucht Doyle mit Freunden, eine Band aufzubauen, doch niemand meint es damit wirklich ernst. Der Stil gehört der Vergangenheit an wie seine Interpreten: Country und Rock'n'Roll. Ein perspektivloses Unterfangen, wie ihr verunglückter Song "Plunger" zeigt. Der Regisseur riet dem Komponisten Pete Anderson, lediglich einen Anfang, jedoch keinen Schluß zu komponieren. Ähnlich wie in den beiden anderen Filmen deutet die Musik den totalen Stillstand in einer Welt an, die ihre Bewohner zur Bewegung nötigt.

Die Figuren sind wandelnde Katastrophen zwischen allen Welten, solange sie ihre Prüfung - die Festlegung des Ich - noch nicht ablegen mußten, man könnte sagen, sie waren glücklich, weil sie nichts wußten. Die übergeordnete Erzählstruktur läßt sie zu tragischen Figuren werden. Helden sind sie nicht mehr, denn die einzige freie Entscheidung, die sie treffen, geht mit der prästabilierten Disharmonie der Welt unter. Lediglich Autoaggression macht den Bewegungsmythos Film im Stillstand noch möglich: Es sind Filme, die eigentlich rückwärts laufen, umgedrehte Aufklärung über die Unmöglichkeit des Individuums, jeweils auf ihre Art Modelle der Regression. Wenn sie sich den Ansprüchen nicht beugen, ihre Identität also nicht aufgeben, scheitern sie. Im Ansinnen, die ursprüngliche Unschuld der Kindheit wiederzuerlangen, verlieren sich die Protagonisten.

Man könnte schließen, die Filme seien in ihren Aussagen reaktionär. Aber sie sind gleichzeitig auch Erzählung des Reaktionären, Erzählmodelle und erzählte Modelle für die Konstruktion von unumstößlichen Werten in einer sich scheinbar nicht verändernden, ausweglosen Welt. Sie sind vor allem - beinahe - perfekte Kunstwerke in Bestbesetzung.

"Romy und Michele". USA 1997. R: David Mirkin, D: Mira Sorvino, Lisa Kudrow, Jeaneane Garefalo, Alan Cumming. Seit 14. 8. im Kino

"Ein Mann, ein Mord". USA 1997. R: George Armitage, D: John Cusack, Minnie Driver, Alan Arkin, Dan Aykroyd, Joan Cusack. Ab 21. 8.

"Sling Blade". USA 1996. R: Billy Bob Thornton, D: Billy Bob Thornton, Dwight Yoakam, J. T. Walsh, John Ritter, Lucas Black, Natalie Canerday. Ab 18. 9.