Gericht verbietet Ausreisescheine

Das Verwaltungsgericht München hat die Praxis der "Ausreisescheine" für rechtswidrig erklärt. Doch Bayerns Behörden verweigern Bürgerkriegsflüchtlingen weiter die vorgeschriebenen Papiere

Damit bei den bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge in Bayern gar nicht erst das Gefühl aufkommt, sie seien hier willkommen oder könnten sich hier in Sicherheit wiegen, hat sich Günther Beckstein, der Scharfmacher unter den deutschen Innenministern, einiges einfallen lassen: Nirgends sind die Räumlichkeiten so beengt, nirgends ist die Betreuung so schlecht wie in den staatlichen Flüchtlingsunterkünften in Bayern. Eine Duldung erhalten die einstmals rund 65 000 Bürgerkriegsflüchtlinge in Bayern schon seit Dezember letzten Jahres nicht mehr. Auf Anweisung des Innenministeriums stellen die Ausländerbehörden nur noch sogenannte "Ausreisescheine" aus: Die Flüchtlinge bekommen eine Ausreisefrist gesetzt, die von den Behörden verlängert werden kann. Die Zielvorgabe dieser Praxis ist klar: Auf die Betroffenen - besonders auf die muslimischen und kroatischen Flüchtlinge aus dem Gebiet der heutigen Republik Srpska, die laut Beschluß der Innenministerkonferenz derzeit nicht abgeschoben werden dürfen - soll psychologischer Druck ausgeübt werden, damit sie am Ende "freiwillig" ausreisen und sich die bayerischen Behörden eine Abschiebung sparen.

Mit einem aufsehenerregenden Urteil hat nun jedoch die 8. Kammer des Münchner Verwaltungsgerichts dem bayerischen Innenministerium einen Strich durch die Rechnung gemacht. "Dieses Institut der Verlängerung der Ausreisepflicht ist im Ausländergesetz nicht vorgesehen; diese von der Beklagten und anderen Ausländerbehörden geübte Praxis ist rechtswidrig", heißt es in einer jüngst getroffenen Gerichtsentscheidung gegen die Ausländerbehörde der Stadt München.

Die Behörden hätten nach geltender Rechtslage im Umgang mit den bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen nur zwei Möglichkeiten, stellt das Verwaltungsgericht in seinem Urteil fest: Entweder abschieben oder eine Duldung aussprechen. Dazwischen gebe es keinerlei Ermessensspielraum. Der Vorsitzende Richter Hero Uffen billigte der beklagten Stadt München jedoch zu, auf Anweisung des Innenministeriums gehandelt zu haben und machte die Schuldigen für den Rechtsbruch in Becksteins Behörde aus: "Es erscheint als möglich, daß sich bei einem wortgemäßen Vollzug der Entschließung des Bayerischen Innenministeriums (...) Behördenangehörige der Beklagten der Beihilfe zur Straftat (...) schuldig machen könnten."

Im Innenministerium tut man den Richterspruch als "Außenseitermeinung" ab und hofft auf die nächsthöhere Instanz. Bislang habe kein Gericht die gängige Praxis beanstandet, betonte ein Behördensprecher. Man gehe davon aus, daß der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil der 8. Kammer schon bald wieder aufheben werde. Anstatt sein bisheriges Vorgehen zu korrigieren, hat das Innenministerium seine Weisungen an die Ausländerämter sogar noch einmal ausdrücklich bestätigt. Der Chef der Münchner Ausländerbehörde, Kreisverwaltungsreferent und CSU-Rechtsaußen Hans-Peter Uhl, sieht keinen Anlaß zum Umdenken: "Der Vorwurf, die Verlängerung der Ausreisepflicht bei Bosniern sei ein Rechtsbruch, ist völlig haltlos."

Der Richterspruch hat indes auch zu einigen Verstimmungen in der rot-grünen Koalition der bayerischen Landeshauptstadt geführt: Während Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) das Innenministerium dazu aufforderte, sich seriös mit dem Urteil auseinanderzusetzen und der Stadt unverzüglich mitzuteilen, wie mit den Bürgerkriegsflüchtlingen nun weiter verfahren werden solle, mahnten die Rathaus-Grünen angesichts der anstehenden Referentenwahlen eine Ablösung des umstrittenen Kreisverwaltungsreferenten Uhl an. Das Ausländerrecht werde in der Isarmetropole nicht nach Recht und Gesetz ausgelegt, sondern nach dem politischen Willen der CSU, kritisierte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Siegfried Benker. Oberbürgermeister Ude habe sich "mit den Händen vor den Augen in Uhls ausländerpolitisches Geisterfahrzeug auf den Beifahrersitz begeben und fährt dort seit Jahren mit, ohne Uhl ins Steuer zu fallen oder ihn zur Umkehr aufzufordern".

Wie aus dem Innenministerium verlautete, hat der Richterspruch der 8. Kammer nun eventuell auch für die Behörde Folgen: Der Vorsitzende Richter Hero Uffen prüft demnach derzeit, ob gegen die entscheidungsbefugten Vertreter des Innenministeriums Anzeige erstattet wird - wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz in mehreren tausend Fällen.