An der Oder wird nichts verschenkt

Noch schwelgt ganz Deutschland in Solidarität mit den Hochwasser-Opfern. Doch wie sieht es aus, wenn die Fluten zurückgehen?

Als der Neureetzer Bürgermeister Hans Kretschmer während des zwanzigminütigen Besuchs des Bundeskanzlers im Nachbarort Altreetz die Chance nutzte, um den Bundeswehreinsatz zur Erhöhung des weit von der Oder gelegenen Schlafdeiches zu kritisieren, da wurde Helmut Kohl prinzipiell: "Erst hat der General es dir gesagt, und jetzt sagt es der Bundeskanzler: Wir lassen euch nicht im Stich, ihr kriegt jede Hilfe, die ihr braucht. Du bist der Bürgermeister, das mußt du deinen Leuten sagen."

Doch die 20 000 Menschen, die im 680 Quadratkilometer weiten Oderbruch Haus und Hof verlieren können, wollten auf die Versprechen der mit großem Troß anreisenden Bonner Katastrophentouristen nicht allzuviel geben. Schließlich werden die Schäden in der Grenzregion, die selbst nach Kanzlers Meinung bisher nicht "auf der Sonnenseite" lag, schon jetzt auf drei Milliarden Mark geschätzt. Bonn aber hat kaum Geld. In der Ziltendorfer Niederung stehen 7 250 Hektar Wiesen und Äcker meterhoch unter Wasser. Die Ernte der oft hochverschuldeten Bauern hier ist zu 100 Prozent vernichtet. 47 000 Rinder und Schweine mußten aus dem gesamten Krisengebiet evakuiert werden. Der Bauernverband rechnet mit 50 Millionen Mark Verlust für die 300 landwirtschaftlichen Betriebe in der Region.

Die angelaufene Hilfswelle macht einen enormen Eindruck. Doch etliche Angebote kommen nicht von Herzen, sondern von den PR-Abteilungen der Unternehmen. So kündigte das Fürther Quelle-Versandhaus eine 500 000-Mark-Spende an. Nicht in bar, sondern in 1 000 Einkaufsgutscheinen im Wert von jeweils 500 Mark. Quelle-Kunden in der Region sollen gar gesondert unterstützt werden. Kein Wunder, schließlich sank der Gewinn gerade im letzten Geschäftsjahr um 36 Millionen Mark. Weniger eigennützig - abgesehen vom Werbeeffekt - agiert da August Oetker, der eine Million Mark für die Hochwasseropfer spendieren will. Diese Woche soll ein Mitglied der Unternehmensleitung - wie zuvor Kohl, Kanther, Wulf-Matthies und Lafontaine - an die Oder reisen, um mit Kirchenvertretern Senioren zu ermitteln, die auf Hilfe angewiesen sind. Die Deutsche Bahn wird im August Betroffene im Nah- und Fernverkehr kostenfrei fahren lassen. In Brandenburg und Berlin muß dafür lediglich der Personalausweis hochgehalten werden. Selbst Bundespostminister Wolfgang Bötsch stimmt mit seiner Hochwasser-Sonderbriefmarke "Solidarität in der Not - Hochwasserhilfe Oder 1997" in den Hilfskanon ein. Damit nicht genug, als Zeichen seiner Solidarität wird der Minister gar 200 Exemplare seiner Marke privat erwerben - versprochen. Bei 90 Pfennigen Aufschlag je Marke wäre das eine ministeriale Hochwasserspende von immerhin 180 Mark.

Dieser selbstherrliche Spendenzauber - inzwischen existieren bundesweit über 30 Spendenkonten - wird mit dem Hochwasser verschwinden. Dann werden die Geschädigten wieder mit der alltäglichen Zahlungsmoral von Bund, Land, Europäischer Union, Banken und Versicherungen konfrontiert sein. Verschenkt wird da nichts. So unterzeichneten Bundesfinanzminister Theo Waigel und seine brandenburgische Kollegin Wilma Simon letzten Donnerstag eine Vereinbarung über 20 Millionen Mark Soforthilfe. Toll, doch die maximal 2 000 Mark je Familie und 10 000 Mark je Betrieb sind "bedingt rückzahlbar". Was immer das später im Einzelfall heißen mag. Auch der Vorstand der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hatte letzte Woche "blitzschnell entschieden", Hochwassergeschädigten zinsgünstige Kredite von insgesamt 200 Millionen Mark zur Verfügung zu stellen. Doch die Anträge, die über die Hausbanken der Betroffenen laufen, werden wie normale Kreditanträge geprüft. Wer keine Sicherheiten hat, schon bisher kreditunwürdig war, wird kaum an diesen Geldtopf herankommen.

Als Wendegewinner dürfen sich ausnahmsweise diejenigen betrachten, die bei der Allianz-Tochter DVAG ihre alte DDR-Haushaltsversicherung nicht gekündigt haben. Hier ist die Begleichung von Elementarschäden wie Hochwasser eingeschlossen. Die Allianz AG rechnet vorerst damit, 100 Millionen Mark für die Hochwasserschäden ihrer Kunden zahlen zu müssen. Dieser Aderlaß für den Versicherungsriesen wird jedoch nicht ohne Folgen bleiben. Ein Allianz-Sprecher wies darauf hin, daß die Assekuranzen neue Verträge in dem betroffenen Gebiet wegen zu hohen Risikos durchaus verweigern könnten - gängige Praxis in der Kölner Altstadt, an der Mosel und in Passau. Hier können Selbstbeteiligungen im Schadensfall bis zu 10000 Mark betragen. Die Allianz, die die Altverträge jährlich kündigen und Prämien in Risikogebieten anheben kann, will von diesem Recht an der Oder keinen Gebrauch machen. Noch nicht, denn Richtschnur dafür sind Überschwemmungsstatistiken der letzten zehn Jahre.

Warnende Stimmen erreichen die Brandenburger derweil aus Rheinland-Pfalz. Dort merkten Opfer des Hochwassers an Rhein und Mosel 1994/95 von Hilfe wenig. Trotz geschätzter Schäden von einer halben Milliarde Mark. Die 60 000 Flutopfer im Land, denen Ministerpräsident Kurt Beck einst 30 Millionen Mark Hilfe versprach, wurden bitter enttäuscht. Nur 621 Privatleute und 329 Betriebe bekamen 6,25 Millionen aus dem Hochwassertopf. Das waren in Schadensfällen von bis zu 40 000 Mark manchmal lediglich 2 000 Mark. Zwölf Millionen Mark erhielten die Kommunen. In Köln dauerte es 14 Monate, ehe Gelder "ganz unbürokratisch" ausgezahlt wurden. Kein Wunder, daß sich in den evakuierten Gemeinden an der Oder schon jetzt Bürgerinitiativen gründen.