Stoppt Karen Elliot!

Neoismus ist so interessant wie alles oder nichts, was Anfang der Achtziger in jeder Kleinstadt passierte. Der Autor antwortet einer Günther-Jacob-Darstellerin

In einer Zeit, in der Poptheoretiker vorzugsweise ohne aktive Beteiligung am Geschehen ungehemmt mit Diskurs operieren und Poptheorie vor allem zur Abgrenzung von anderen Midlife-Crisis- Geschädigten betreiben, kehrt der seit dem 15. Jahrhundert vergessene Neoismus wieder zurück - diesmal in die kleinen Stuben deutscher Berühmtheiten der schönen Welt linker Pop-Utopien, mit zirka fünf bis siebenjähriger Verspätung gegenüber den Nachbarländern.

Der/die AutorIn, der/die in der Juli-Ausgabe von Jungle World unter dem multiplen Namen Karen Elliot den Artikel: "Stoppt die Avantgarde" veröffentlicht hat, scheint entweder ein/e ProvokateurIn in den Reihen der Neoisten zu sein, vielleicht eher ein/e außenenstehender/e JournalistIn, dem/der halbgare Informationen überliefert wurden, oder aber die betreffende Person ist ein Günther-Jacob-Imitat. Unter dem Namen Karen Elliot, hat sie mehrere Textminen und Kontextsprengladungen in den Artikel gestreut. Schon der Name Karen Elliot läßt entweder auf Unvermögen oder Schlamperei schließen oder soll provozieren: Denn nach Vorgabe des neoistischen Magazins Smile wird der Nachname der multiplen Person "Karen Eliot" lediglich mit einem "l" geschrieben; außerdem ist niemals ein Buch mit dem Titel "Harter Stoff" von Neoismus-Geschichtsschreiber Stewart Home erschienen; auch war Stewart Home nicht auf den "Neoistischen Festwochen '97" in Wien, wie von Karen Elliot behauptet. Alles weist darauf hin, daß Elliot Stewart Home aus der Reserve locken wollte, um einen schönen, langweiligen poptheoretischen Diskurs zu beginnen.

Neoismus war nicht mehr oder weniger als Punk und Neodada mit postmodernem Theorie-Überbau, auch wenn es nirgendwo, nicht einmal bei Stewart Home, so geschrieben steht. Die Taten der Neoisten sind so interessant wie alles oder nichts, was Anfang der Achtziger in jeder Kleinstadt passierte. Neoismus nachträglich als Anschlag auf die Institution Kultur aufzubauen, wie es Stewart Home und in Folge Karen Elliot betreiben, ist deshalb nur ein zweitklassiger Streich.

Das Interessanteste am Neoismus ist die Übernahme des Begriffs "Plagiarismus" von Lautréamont. Plagiarismus ist der Ideenklau als Praxis. In einer Welt, die bestimmt wird von Populärkultur, dürfte eigentlich seit der Verbreitung von Tonbandgeräten, Heimcomputern und spätestens seit der Propagierung des Web-/Netsurfens, ein Begriff wie Plagiarismus von der Datenträgerbank des Gewissens vollendends verschwunden sein. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten: Originalität, Kreativität und individuelle Kommunikation boomen im Warenspektakel wie nie zuvor.

Dienst = Kapital lautet der allgemeine Trugschluß. Und siehe da, der alte Begriff von Lautréamont wie auch Stewart Homes Kampfprogramm "Plagiarismus" werden dieser Tage verkaufsträchtig an das Popvolk gebracht. Das Popduo The Sparks hat sich des Begriffs bemächtigt und sein neues Album "Plagiarism" genannt, und es wird - weil Popmusiker über die wirkungsvollsten Kommunikationstechniken verfügen - sich damit durchsetzen. Nicht nur, daß die Gebrüder Ron und Russel Mael eine Sponti-Kampfanleitung in die erste Klasse der Popwelt aufsteigen lassen, nein, sie haben auch dafür gesorgt, daß Plagiarism nicht nur den mordslangweiligen Ideen irgendwelcher Tübinger und Wiener Kommunikationsguerilleros dienen wird. Der gelungene Coup der Sparks: Sie veröffentlichen ein Best-of-Album, das zwar neu eingespielt wurde, die Originale des jeweils gecoverten Songs aber nur geringfügig variiert. Ihre berühmtesten Fans und Plagiatoren haben die Sparks dafür als Gastmusiker engagiert: Faith No More, Erasure, Jimmy Summerville.

Der Plagiarismus der Sparks ist so einfach wie effektiv: Sie plündern ihre eigenen Songs, um der Popnachwelt zu demonstrieren, wie originär diese sind.

Das ist die Konterrevolution zum alten neoistischen Verständnis von Plagiarismus. Steckt Bob Dobbs, der Kopf der Church Of Subgenius dahinter? Diese Sekte aus den USA hat es geschafft, schon viele Stars in ihren Bann zu ziehen, u.a Neoisten wie Tentatively, A Convenience und Monty Cantsin, Mark Mothersbough von Devo und R.A. Wilson. Oder sind die Sparks - von denen man weiß, daß sie auf ihren eigenen Webpages öfter als die virtuelle 21jährige Heather für Tumult sorgen - etwa via Internet auf das Anticopyright-Phantom, auf Luther Blisset gestoßen, der sie zu den Fahnenträgern dieses Putsches ernannte? Dies wird noch zu klären sein.

Anfang der Neunziger wurde schon einmal der Virus der Copyright-Sabotage in die Chart-Programme des Popbusiness gepflanzt. Damals in England.

Bill Drummond und Jimmy Cauty von KLF (Kopyright Liberation Front) hatten sich unter verschiedenen Projektnamen den kommerzträchtigen Fundus von solchen Ikonen wie Abba und den Beatles geplündert, um dann später, 1994, ein Jahr nach der offiziellen Auflösung der KLF, als K Foundation der englischen Kunstwelt und der neuen Welle der "young british artists" übel mitzuspielen. Der Beitrag der K Foundation zum Anschlag auf Kultur gipfelte in dem Film "Watch the K Foundation burn a millon quid", in dem 1 000 000 Pfund in Form von 50-Pfund-Scheinen verbrannt wurden. Nach Angabe von Drummond und Cauty war dies die Summe aller Einnahmen ihrer Popmusik-Ära. Solche Aktionen fordern natürlich Mythenbildungen heraus. Auch Stewart Home hatte sich daran versucht.

1996 ist nun ein Roman von Bill Drummond und seinem Kollegen Mark Manning, Boß der Schrottrock-Band Zodiac Mindwarp & The Love Reaction, erschienen: "Bad Wisdom". Schon in den frühen Achtzigern behauptete Mark Manning vor der englischen Trendpresse, sämtlichen Londoner Hells Angeles die Schwänze geleckt zu haben. Bad Wisdom unterbietet dieses Niveau um einiges, u.a. mit demonstrativer Homophobie, bewährter Frauenfeindlichkeit und primitiver Gewalt. Skurrile Oden auf Elvis, Beatles, U2 tun ihr übriges. Bill Drummond und Mark Manning haben sich so zu den Spaßvögeln wider das Tabu stilisiert - neoistisch betrachtet ein großartig angelegter Ausstieg aus der Kulturgemeinde.

Da bleibt zum Schluß nur eines: Karen Eliot oder Karen Elliot! Friede sei ihrer Asche!

Bill Drummond und Mark Manning: Bad Wisdom. Penguin Books 1996, 278 Seiten, 6.99 p. The Sparks: Plagiarism, Virgin 1997