Auszug aus dem Buch »Furcht und Freiheit. Für einen anderen Liberalismus«

Shklars Karte

Judith Shklar (1928–1992) gilt als eine der wichtigsten Theoretikerinnen des Liberalismus. Zentral für ihr Verständnis von Freiheit war die Abwesenheit von Furcht und Abhängigkeit: Jeder müsse sein Leben gestalten können, ohne befürchten zu müssen, Grausamkeit zu erfahren, postulierte die lettisch-US-amerikanische Politologin. Ihr Augenmerk galt dabei den Opfern bestimmter Formen von Politik. Shklars Überlegungen zum Wesen des Liberalismus machen es möglich, sowohl Antidiskriminierungspolitik als auch soziale Sicherung neu zu begründen – anstatt sie immer wieder unproduktiv gegen­einander auszuspielen.
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Als Judith Shklar ihren Aufsatz über den Liberalismus der Furcht veröffentlichte, versuchte sie, ihn zwischen zwei bekannteren Spielarten zu verorten: dem Bildungs- oder Selbstvervollkommnungsliberalismus auf der einen und dem Liberalismus der Rechte auf der anderen Seite. Das war mit groben Strichen gezeichnet, aber die sich daraus ergebende Landkarte des politischen Denkens war nicht falsch. Wobei die Frage ist, wie eine akkurate eigentlich aussehen müsste.

Sicherlich lässt sich die Geschichte des Liberalismus leicht als eine Abfolge blinder Flecken – oder, noch deutlicher gesagt: diverser Heucheleien – erzählen. Diejenigen, die sich »Freiheit«, »Vernunft« und »Toleranz« auf die Fahnen geschrieben hatten, rechtfertigten die Sklaverei in den USA und Ausbeutung in Kolonien rund um den Globus. Es ist jedoch auch nicht schwer zu zeigen, dass sich Liberalismus in der Praxis immer besonders effektiv mit liberalen Ideen kritisieren ließ. Und, weniger offensichtlich, dass die Existenz liberaler Institutionen wie einer freien Presse entscheidend dabei half, dass diese Kritik auch Wirkung zeigte.

Damit soll nicht suggeriert werden, dass Liberalismus – oder auch die liberale Demokratie – früher oder später immer zur Selbstkorrektur fähig sei. Das ist zwar ein beliebter Gedanke, aber diejenigen, die ihn artikulieren, sind sich offenbar nicht immer bewusst, wie sehr er den Eindruck liberaler Selbstgefälligkeit verstärkt. Liberale, so scheint es, würden sich im Zweifelsfall entspannt zurücklehnen und auf den »Fortschritt« warten. Was die Unfreien erleiden müssen, bevor sich der Fortschritt dann endlich einstellt, wird ausgeblendet.

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