Der analoge Mann schafft sich ein Smartphone an

Der analoge Mann

»Ick gloob, ick spinne!« ist die häufigste Reaktion, wenn ich Leuten erzähle, dass ich jetzt auch ein Smartphone besitze. Meine Freunde und Bekannten sind enttäuscht. Ich war der Einzige und Letzte, den sie kannten, der kein Handy hatte. Der nie eins gehabt hatte. Noch nie! Nicht mal so einen alten Plastikknochen. Meine Verweigerung konnten sie zwar nicht verstehen, aber irgendwie rührte es sie an, dass ich das durchzog. Meine Verweigerung machte aber einsam. Ich selbst kannte ja auch niemanden, der kein Handy hatte. Jahrelang wurde ich ausgeschlossen, jetzt ist es sofort normal, dass ich dabei bin: »Okay, gib mal deine Nummer.« Auch mein Handykauf war beiläufig. »Schönen guten Tag, ich würde gern ein Smartphone kaufen. Ich will nichts Billiges, das Allerneueste zum Aufklappen muss es allerdings nicht sein. Das Wichtigste ist, dass ich mit einem voll funktionstüchtigen Handy hier wieder rausgehe.« Ich hatte mich schnell entschieden, nur verkaufen wollte mir der Verkäufer das Gerät nicht. »Machen Sie das nicht. Machen Sie einen Vertrag und Ratenzahlung », sagte er. »Aber, ich würde das Handy gern auf einmal bezahlen und dann besitzen«, wandte ich ein. »Tun Sie ja«, sagte er. »Aber was ist, wenn es kaputtgeht?«, fragte ich. »Dafür haben Sie die Versicherung!« Endlich gab ich auf und verstand. In Neukölln kauft man auf Raten.

Der Hauptgrund fürs Handy ist, dass ich zu faul bin, meine Bank zu wechseln. Die Commerzbank zeigt mir aber seit Jahren, dass sie mich persönlich nicht mehr sehen möchte. »Machen Sie das online«, heißt es nur noch. Ein weiterer Grund war, dass ich nicht schon wieder auf einer Auslandsreise der Jungle World verlorengehen wollte. Manchmal wurde ich vergessen oder irgendwo stehengelassen. In Lettland machte ich meine ersten, vorsichtigen Schritte. Ich telefonierte. Schickte Kurznachrichten auf Whatsapp, Telegram und Facebook. Nahm ein Interview mit dem digitalen Diktiergerät auf. Machte viele Fotos, wovon eine ganze Reihe in der Lettland-Ausgabe erschienen.

Wieder zu Hause in Berlin liegt das Gerät allerdings nur noch herum. Ich nehme es nicht mit, wenn ich das Haus verlasse. Es ist ein Festnetzhandy. Zum Glück haben bisher nur wenige Menschen meine Nummer. Ich muss also nicht mehr kommunizieren als vorher. Es war meine Hauptsorge, dass ich dauernd Kommunikationsangebote bekommen würde. Das klingt arrogant. Viele Leute freuen sich ja darüber, sind einsam und hätten gern mehr davon. Ich nicht. Ich bin 56 Jahre alt und will meine Ruhe haben. Es macht auch gar keinen Spaß, auf den winzigen Tasten zu tippen. Und es dauert ewig.

»Wart’s nur ab. Du wirst noch genau so süchtig wie wir alle«, meinte ein Freund letztens, aber ich bin mir sicher, dass es nicht so kommen wird. Niemand kann sich so richtig vorstellen, wie tief meine Abscheu vor dem Mobiltelefon tatsächlich ist. Wie sehr sie in den vergangenen 30 Jahren wachsen konnte. Ein Handy verkörpert alles, was ich an der digitalen Welt hasse. Social-Media-Zusammenrottungen, in der Einzelne auf asozialste Weise gemobbt werden. Online-Handel, der die Läden killt. Das kollektive Starren auf die Bildschirme. Das ganze dumme Handygelaber überall in der Öffentlichkeit. Wie gut habe ich es mir dagegen in meiner analogen Welt eingerichtet. Nie langweile ich mich, umgeben von Schallplatten und Büchern. Ich gelte als schlecht erreichbar und werde deshalb nicht belästigt. Niemand erwartet von mir, dass ich sofort auf eine Nachricht reagiere. Eine Antwort am nächsten Tag genügt. Ich bekomme noch nicht mal Spam. Es ist herrlich. Warum sollte ich dieses Leben eintauschen für ein schnelleres und stressigeres? Zudem wird Entschleunigung in der Zukunft eher ein größeres Thema werden. Stressbedingte Krankheiten und Depressionen nehmen zu. Die Zeit arbeitet für mich. Okay, diese Art von digitaler Abwesenheit muss man sich leisten können. Ich verstehe, dass für viele Leute Kommunikation und Erreichbarkeit ein wichtiger Teil ihrer Arbeit sind.

Die meisten Leute haben mit ihrem Handy allerdings keine Zweck- sondern eine Liebesbeziehung. Eine derart innige Anpassung des Menschen an ein technisches Gerät hat es in der Geschichte der Menschheit nie gegeben. Schon kleine Kinder haben Handys vor der Nase. Verrückte Obdachlose schreien auf den Straßen in ihre Handys. Der Gebrauch von Smartphones ist so flächendeckend verbreitet, dass es scheint, als gebe es ein Gesetz, das es allen Bürgerinnen und Bürgern vorschreibt, ein Handy zu besitzen. Als sei der Besitz eines Handy gar keine Vereinbarung, die auf Freiwilligkeit basiert. Bislang tun es fast alle Menschen mit Freude. Was aber, wenn es tatsächlich vorgeschrieben wäre, ein Handy zu jeder Zeit bei sich zu tragen? Dann gäbe es sicher Widerstand. Und wieder wäre ich schon da und würde die Widerständigen willkommen heißen in meiner analogen Welt. Würde ihnen einen Kaffee machen und meinen Plattenspieler anschmeißen.

Mein Handy liegt jetzt hier, gelegentlich gucke ich mal drauf. Checke ohne große Freude Facebook, Whatsapp und Mails. Das Einzige, was mir in der digitalen Welt Spaß macht, Platten bei Discogs zu checken, macht mit dem kleinen Handy nur halb soviel Spaß. Miniatur ist Mist. Die Abbildungen sind zu winzig. Ich kaufe ja sowieso nichts, ich gucke nur. Ich habe noch nie was im Internet gekauft. Ich lehne das ab. Das zerstört die Läden.

Ich glaube, ich muss mir gar keinen neuen Namen für diese Kolumne ausdenken!