Die Bundesregierung fördert serielles Bauen

Preiswert, schnell, seriell

Wohnraum ist in vielen Städten knapp, der vorhandene wird immer teurer. Um das Problem zu beheben, wenden sich Wohnungspolitik und Bauwirtschaft wieder einmal der Fertigbauweise zu. Die Fehler der Vergangenheit sollten sich allerdings nicht wiederholen.

Die Wohnungsnot macht sich in vielen Städten bemerkbar: Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, und auch etwa in Bonn ist sie nicht ganz unbekannt. Doch so drängend die derzeitigen Probleme auch sein mögen, neu sind sie nicht. Einen eklatanten Mangel an Behausungen, zumal in den Metropolen, gab es im vergangenen Jahrhundert mehrmals. Und ebenso oft wurde darauf hingearbeitet, Wohnungen in ausreichender Menge und zu erschwinglichen Kosten verfügbar zu machen.

So verhält es sich auch dieses Mal: Der Bundesregierung zufolge sollen jährlich 400 000 Wohnungen neu gebaut werden, um den Mangel zu beheben. Dafür will Klara Geywitz (SPD), die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bau­wesen, auf serielle Bauweisen zurückgreifen – in der Hoffnung, nicht nur mehr, sondern zugleich preiswerter und schneller zu bauen. Diese Vorgehensweise ist nicht neu. Bereits das Bauhaus, eine 1919 in Weimar gegründete Kunstschule, machte vor ungefähr 100 Jahren mit viel Verve – und noch mehr Propaganda – Vorfertigung und Rationalisierung beim Wohnungsbau zu ihrem großen Thema.

Wirtschaftlich lohnt sich die Entwicklung serieller Baukonzepte bislang meist nur, wenn der Hersteller mit ausreichend hohen Stückzahlen rechnen kann – was wiederum den Neubau auf der »grünen Wiese« nahelegt, der seine eigenen Probleme mit sich bringt.

Walter Gropius, der berühmte Gründer des Bauhauses, formulierte es programmatisch: »Die menschliche Behausung ist eine Angelegenheit des Massenbedarfs.« Wie sich 90 Prozent der Bevölkerung ihre Schuhe nicht mehr nach Maß anfertigen ließen, sondern industriell gefertigte Schuhe kauften, so werde sich »in Zukunft der einzelne auch die ihm gemäße Behausung vom Lager bestellen können«. Für diesen Ansatz waren zwei Aspekte wesentlich: zum einen die schleichende Wanderung an den Rand der Stadt, die sich auch in den Stichworten »Funktionstrennung« und »Siedlungsbau« ausdrückt; zum anderen die Verbreitung einer weitgehend standardisierten Massenwohnung. Die Sprache der »Sachlichkeit« sollte dabei den Glauben an den Fortschritt vermitteln, an Wohlstand für alle und kulturelle Emanzipation durch Technik.

Die Ergebnisse, die sich später zum Beispiel im Großsiedlungsbau der DDR in Berlin-Marzahn, Halle-Neustadt und Leipzig-Grünau zeigten, waren im höchsten Maße ernüchternd. Die »Platte« ist zum – heutzutage stigmatisierten – Inbegriff für eine Rationalisierungsmanie geworden. Obgleich auch in anderen europäischen Ländern, etwa England und Schweden, ambitionierte Wohnungsbauprogramme nur auf der Basis von Zentralisierung und einer gewissen Vorfertigung erfolgreich ­waren, ist die »Platte«, wie man sie in Deutschland kennt, doch etwas anderes, ein gleichermaßen materielles wie ideelles Symptom: Sie steht für die Erhebung des industriellen Bauens zur Staatsdoktrin.

Deswegen dachten viele, das Thema habe sich mit dem Ende der DDR erledigt. Es schien, als halte die jüngere Geschichte eine klare Botschaft bereit: Architektur lässt sich eben nicht wie ein Schuh oder ein Auto herstellen! Umso überraschender ist es, wenn derzeit erneut der Fertigbau als probates Mittel zur Linderung der Wohnungsnot beworben wird. Demonstrativ stellten der ­Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft (GdW) und das Bundesbauministerium bereits Ende 2018 neun Haustypen verschiedener Anbieter vor, die in serieller oder auch modularer Bauweise entstehen und deutlich günstiger sein sollen als der Marktdurchschnitt im Neubau.

Doch den ganz großen Erfolg hat das noch nicht gezeitigt. Bislang scheitert die Anwendung serieller Bauweisen häufig daran, dass Grundvoraussetzungen nicht vorliegen. Wirtschaftlich lohnt sich die Entwicklung serieller Baukonzepte bislang meist nur, wenn der Hersteller mit ausreichend hohen Stückzahlen rechnen kann – was wiederum den Neubau auf der »grünen Wiese« ­nahelegt, der seine eigenen Probleme mit sich bringt. Tatsächlich sind sogar Größenordnungen von mehreren Tausend Wohneinheiten erforderlich, die einzelne Wohnungsunternehmen zumeist nicht allein herstellen können.

Andererseits ist auch die Frage berechtigt, ob denn jedes Haus ein Unikat sein müsse. Gibt es nichts zu verbessern bei den Produktions­bedingungen von Architektur? So rasant sich Gebäudehüllen oder technische Ausrüstung auch verändert haben mögen, den Prozess der ­Herstellung von Wohnbauten beeinflusste das kaum. Der Hausbau erfolgt auch heutzutage meist noch altbacken, indem die Konstruktion ­direkt auf der Baustelle erstellt wird. Vorgefertigte Bauteile in großen Stückzahlen kommen allenfalls ausnahmsweise zum Einsatz. Selbst Fenster oder Aufzüge werden zumeist eigens für die jeweiligen Abmessungen einer Baumaßnahme hergestellt. Auch beim Innenausbau von Wohnungen sieht es kaum besser aus. Der geringe Grad der Standardisierung erschwert auch spätere ­Modernisierungen, da jedes einzelne Projekt teure maßgeschneiderte ­Lösungen erfordert.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht hier nicht um ein Entweder-Oder. Individuelle Architektur ist für eine Gesellschaft unverzichtbar. Doch ähnlich wie früher das vernakuläre, also an örtliche Traditionen gebundene Bauen, dessen Standards und Konventionen sich über Jahrhunderte regional herausbildeten, hat auch das serielle und modu­lare Bauen seine Berechtigung.

Dies gilt allerdings nur, wenn es gut gemacht ist. Diese Art und Weise der Herstellung von Häusern sollte weder zu Lasten eines lebendigen Stadtraums gehen – etwa als strikter und monotoner Zeilenbau – noch zu einem unplastischen Fassadenduktus führen, der jede Form sozialpsychologischer Aneignung erschwert. Die Frage nach der Technik ist, so ­gesehen, zwingend auch eine ästhetische Frage und geht einher mit der Suche nach den Grundprinzipien räumlicher Strukturierung.

Denn es kommt nicht in Frage, erneut klotzige Mietskasernen, Plattenbauten und »Arbeiterschließ­fächer« in die Landschaft zu stellen. Die Ansicht, Vorfertigung in der ­Architektur münde in Uniformität, gilt es im Gegenteil durch bildhafte, überzeugende Lösungen zu konterkarieren. Der »Bremer Punkt« bietet eine solche – so nennen die Architekten der Berliner Firma Labor Integrativ (LIN) den für die norddeutsche Hansestadt entwickelten Solitär mit einer Grundfläche von 14 mal 14 Metern. Er beherbergt bis zu elf Apartments auf vier Geschossen. Die kompakten und flexibel konzipierten Wohnhäuser, deren quadratische Öffnungen für helle Räume sorgen, ergänzen bestehende Siedlungen der fünfziger und sechziger Jahre. Von diesem Systembau aus vorgefertigten Holzbauelementen entstanden bereits drei Prototypen in der Gartenstadt Süd, weitere sollen an anderer Stelle folgen.

Auch der 2012 verstorbene Schweizer Fritz Haller ist hier eine wichtige Referenz als Wegbereiter des industriellen Bauens und der integralen Planung. Mit seinem »USM Haller Regalbausystem« hat er Geschichte ­geschrieben. Es beweist, dass es möglich ist, preiswerte und nachhaltige Systembauweisen mit industrieller Grundstruktur zu entwickeln, die ­architektonischen und stadträumlichen Kriterien standhalten.

Offene Bausysteme erlauben durchaus die Verknüpfung unterschiedlicher Materialien und Elemente, um anspruchsvolle Architektur zu schaffen. Holz dürfte unter ökologischen Gesichtspunkten heutzutage eher das Mittel der Wahl sein als Beton. Überzeugend ist beispielsweise der Campus Microcity in Neuchâtel in der Schweiz, für den das Architekturbüro Bauart verantwortlich war: Er bildet eine »Stadt in der Stadt« und steht doch im Dialog mit seiner Nachbarschaft. Ihm ist die Herkunft aus vorfabrizierten Modulhybriden nicht anzusehen; wie selbstverständlich integriert er sich in die Stadtumgebung.

In vielen Fällen ist zurzeit ein Erfinder- und Tüftlergeist gefragt, mit dem das Bauen aus der handwerklichen Tradition in die Fabrikproduk­tion und schnelle Montage überführt werden kann. So stellte es etwa Konrad Wachsmann in seinem überaus einflussreichen Buch »Wendepunkt im Bauen« 1959 dar: Das Bauen sei doch nur sehr bedingt eine Sache von Mörtel und Steinen. Zugleich aber formulierte er Kriterien für gute Architektur: »Es kommt eben nicht darauf an, wie die Oberfläche gestaltet ist. Sondern: Wie ist das Ding gebaut? Und daran erkenne ich, ob das ein moderner Bau ist, ob er die Möglichkeiten der Zeit genutzt hat, oder ob da mal ‚ne Mode drübergegangen ist.«

Wachsmann selbst entwarf zwar nur ein nie auf den Markt gekommenes Fertighaussystem und später faszinierend aussehende, weit ausschwingende Raumtragwerke für Hangars der US-amerikanischen Luftfahrtindustrie. Aber jene Prise Fortschrittsoptimismus, die seine Schrift prägt, scheint auch heutzutage angemessen.