Ausgequetschte Steine
Nach acht von 14 Partien führt der Schachweltmeister Magnus Carlsen mit fünf zu drei Punkten gegen seinen Herausforderer Ian Nepomnjaschtschij. Insbesondere das sechste Spiel war denkwürdig: Mit 136 Zügen war es das längste, das jemals bei einer Weltmeisterschaft gespielt wurde, und es beendete eine Serie von 17 Remisen in klassischen Weltmeisterschaftspartien.
Nach einer ungewöhnlichen, aber für Nepomnjaschtschij wenig gefährlichen Eröffnung entwickelte sich ein kompliziertes Mittelspiel, welches vor allem von der materiellen Ungleichheit zwischen den beiden Türmen Carlsens und der stark platzierten Dame des Russen geprägt war. Der Norweger geriet in große Zeitnot und musste, um die erste Zeitkontrolle zu erreichen, zehn Züge in nur drei Minuten spielen, woraufhin Nepomnjaschtschij versuchte, dies durch ebenfalls sehr schnelles Spiel auszunutzen, wodurch er aber die Chance auf eine vorteilhafte Stellung verpasste.
Nachdem die durch Zug 40 erlangte zusätzliche Bedenkzeit von jeweils einer Stunde ebenfalls verbraucht war und die Zeitkontrolle bei Zug 60 den Spielern lediglich eine Bonuszeit von 30 Sekunden pro Zug brachte, wurde das Spiel zeitweise sehr hektisch. Carlsen manövrierte sich durch graduelle Stellungsverbesserungen – und ein Qualitätsopfer – in eine Position, die zwar von den Computerengines noch als ausgeglichen gewertet wurde, jedoch unter den praktischen Bedingungen der Zeitnot nur noch von Carlsen zu gewinnen war. Nach einer Spielzeit von sieben Stunden und 46 Minuten gab Nepomnjaschtschij auf und der Norweger verbuchte seinen ersten Sieg bei dieser Weltmeisterschaft.
Zuvor war es in der Schachwelt bereits unruhig geworden angesichts der vielen Unentschieden im Spitzenschach in den klassischen Zeitformaten im Allgemeinen und bei Weltmeisterschaften im Besonderen. Diskussionen über die von vielen als unattraktiv angesehenen Remisen sind keineswegs neu, mögliche Regeländerungen werden kontrovers diskutiert. Auch Carlsen äußerte in der Vergangenheit, dass er das Format Schnellschach präferiere, weil es zu mehr Spielen und damit zu einem deutlicheren Ergebnis führe.
Diese Diskussionen dürften aber in nächster Zeit erst einmal ruhen, denn nach einem friedlichen Remis kam es bereits im achten Spiel erneut zu einem entscheidenden Ergebnis. Carlsen mit den weißen Steinen begann mit dem Königsbauern und erlaubte somit die Petrow-Verteidigung. Diese gilt als eine extrem solide und besonders remislastige Variante, welche durch die symmetrische Bauernstellung nur schwer Vorteile für eine Seite ermöglicht. Doch schon früh im Spiel traf Nepomnjaschtschij eine etwas merkwürdige Entscheidung und vermied einen Damentausch auf Kosten seines Rochaderechts. Sein Versuch, Ungleichheiten aufzubauen und sich damit Siegeschancen zu eröffnen, passte einfach nicht zu seiner Eröffnung. In der Folge hatte Carlsen die leichter zu spielende Stellung. Dann unterlief Nepomnjaschtschij auch noch der erste grobe und offensichtliche Patzer des Matchs: Er stellte seinen a-Bauern ein. Carlsen ließ sich diesen Vorteil nicht mehr nehmen und entschied das Spiel ohne Gefahr zu seinen Gunsten.
Die extrem lange und anstrengende sechste Partie schien Nepomnjaschtschij noch zwei Tage später in den Knochen zu stecken. So urteilte der frühere indische Schachweltmeister Viswanathan Anand über den Herausforderer am Tag seiner zweiten Niederlage: »Heute ist er in konfuser Verfassung.« Die Weltmeisterschaft scheint bei zwei Punkten Vorsprung für Carlsen und nur sechs verbleibenden Partien vorentschieden. Bei der Pressekonferenz am Sonntag entschuldigte sich Nepomnjaschtschij für sein Spielniveau, das eines Großmeisters unwürdig gewesen sei.