Winzer in der Südpfalz müssen sich auf den Klimawandel einstellen

Winzer im Klimastress

Die Hänge und Ebenen im Süden der Pfalz bilden das zweitgrößte deutsche Weinanbaugebiet. In der »Toskana Deutschlands« sorgt der Klimawandel für deutliche Veränderungen beim Weinanbau.
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Alle 20 bis 30 Jahre wird ein Weinberg erneuert. »Alte Rebstöcke landen dann geschreddert auf dem Kompost, neue werden angepflanzt«, erklärt der Winzer Andreas Scherr. In jedem Frühjahr tauscht er fünf bis zehn Prozent seiner Rebstöcke aus, um eine Überalterung der Bestände zu vermeiden. »Jedes Mal muss ich dann die Frage beantwor­ten, welche Rebsorten auch in 20 Jahren mit dem Klima noch klarkommen«, sagt Scherr und fährt sich mit der Hand über die Stirn. Von seiner Entscheidung hängt ab, ob er das Familienunternehmen irgendwann wie geplant an eines oder mehrere seiner drei Kinder übergeben kann oder nicht. Werden sie vom Weinanbau auch 2035 oder 2040 leben können?

Das hat schließlich Tradition in der Familie Scherr, die seit 1782 Trauben anbaut, derzeit auf rund 24 Hektar in und um Hainfeld (Pfalz) an der Südlichen Weinstraße. Riesling, Scheurebe, Sauvignon Blanc sowie sämtliche Burgundersorten werden in der fast mediterran anmutenden, von Waldstreifen durchbrochenen bergigen Landschaft angebaut. Neue Grauburgunder- und Müller-Thurgau-Rebstöcke kommen in diesem Jahr dazu, so Andreas Scherr. Schließlich seien die Perspektiven beim Riesling alles andere als ideal. Die Traubensorte, die seit den späten siebziger Jahren mit Wein aus der Pfalz asso­ziiert wird, dem weltweit größten zusammenhängenden Riesling-Anbaugebiet, tut sich schwer mit den sich ändernden klimatischen Bedingungen.

Der Winzer Andreas Scherr baut mittlerweile Rebsorten wie Burgunder und Müller-Thurgau an, die höhere Temperaturen vertragen.

Der Klimawandel ist spürbar in der Rheinpfalz, dem mit mehr als 23 000 Hektar zweitgrößten Anbaugebiet Deutschlands. Dort herrscht traditionell mit 1 800 Sonnenstunden im Jahr ein mildes Klima. Als »Toskana Deutschlands« wird die von alten Burgen, kleinen Dörfern und weitläufigen Weinbergen geprägte Region immer mal wieder bezeichnet. Dort gedeihen nicht nur die prallen Trauben für Riesling, Grau- oder Spätburgunder, für die das Anbaugebiet so bekannt ist, sondern auch Esskastanien, Feigen und andere eher im Süden vorkommenden Früchte. Die fühlen sich hier wohl. Allerdings ist das Klima in den vergangenen ­Jahren etwas trockener und wärmer geworden.

Das belegt ein Blick in die Statistiken. 2019 war das zweitwärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 2020 lag die Niederschlagsmenge mit 30 Litern pro Quadratmeter rund 54 Prozent unter dem langjährigen Mittel von 65 Litern und die Durchschnittstemperatur ran­gierte rund zwei Grad über dem langjährigen Durchschnitt von 13,5 Grad Celsius.

»Die Tendenz ist klar: weniger Niederschläge und mehr Wind, der durch die Weinberge streicht. Der entzieht den Böden zusätzliche Feuchtigkeit, worauf die traditionell angebauten Rebsorten sensibel reagieren«, sagt Scherr. Weintrauben, deren Oberfläche runzelig ist, die angetrocknet sind und unter Sonnenbrand leiden, waren bei der Ernte 2020 nicht nur in Hainfeld, sondern auch in den Nachbardörfern Weyher, Sankt Martin oder Edenkoben häufig. Ende August, gut vier Wochen früher als gewöhnlich, begannen die Winzer damals mit der Lese.

Hoffen auf einen feinen Jahrgang
Ein Jahr später war die Situation Anfang September vollkommen anders. »Da brauchten wir noch ein paar Wochen Sonne, denn Wasser hatten wir mehr als reichlich«, sagt Andreas Scherr und rollt vielsagend mit den Augen. Anders als das nördliche Rheinland-Pfalz, die Region um die Ahr und die Mosel, blieb die Südpfalz verschont von Stark­regen, Hagel und den gravierenden Überschwemmungen, die viele Menschen in den Tod rissen. Reichlich ­Niederschläge gab es aber auch an der Südlichen Weinstraße, die waren aber nach mehreren trockenen Jahren, die auch den Wäldern der Region arg zu­gesetzt hatten, durchaus willkommen. Anfang September stellte sich dann noch mal die Sonne ein, die den Trauben den letzten Schliff gab, so dass ­Andreas Scherr wie viele Experten auf einen guten Jahrgang 2021 hofft.

»Die großen Jahrgänge sind immer die, die eine lange Vegetationsperiode haben, sprich in denen wir die Trauben spät ernten«, sagte Professor Ulrich ­Fischer vom Weincampus in Neustadt dem SWR. Nach drei warmen Jahren hatten die Trauben mal wieder die Chance, bei niedrigeren Temperaturen langsam zu reifen. Dieses Jahr habe ­gezeigt, dass der Klimawandel mehr bedeutet als heiß und trocken, er könne auch nass und kühl daherkommen, so der Professor für Önologie und Sensorik. Daher ist die Reifung der Trauben im Vergleich zu den vergangenen drei, vier warmen Erntejahren deutlich verzögert, so dass viele Winzer vor allem bei ihren besten Lagen die Trauben so lange wie möglich hängen ließen.

Andreas Scherr bildet da keine Ausnahme. Auch er pokerte bis Mitte Oktober, um den Rieslingtrauben noch ein paar Sonnenstunden mehr zukommen zu lassen. »Das kann dafür sorgen, dass dieser Jahrgang noch ein paar Nuancen gewinnt, wir einen Wein zum Reifen bekommen, der auch in sechs, acht Jahren noch getrunken wird«, sagte der Winzer optimistisch.

Scherr hat wie viele seiner Kollegen in der Region der Südlichen Weinstraße im hessischen Geisenheim Önologie studiert. 2002 hat er den elterlichen Betrieb übernommen und modernisiert. Davon zeugen nicht nur die Edelstahltanks, das zeigt auch die moderne Vinothek, in der sich aber auch ein paar ­Reminiszenzen finden. Zum Beispiel die Holzfigur Sankt Urbans, des Schutz­patrons der Winzer, der seinen Platz im hinteren Tel der Vinothek gefunden hat. In der Mitte steht Andreas Scherr am Tresen, während sein Vater am ­anderen Ende des großzügigen Raumes Kunden bei der Wahl ihres Weins berät. Das hat Tradition im Weingut Scherr, wo Weinproben real, aber mittlerweile auch virtuell möglich sind. Dazu wird, so das Angebot für den kommenden März, Wein des neuen Jahrgangs angeliefert und über die Plattform Zoom gemeinsam mit dem Winzer probiert – eine Reaktion auf die Covid-19-Pan­demie.

Wenn der Riesling nach Norden zieht
Das halten viele Winzer der Region so. Dazu zählt das Weingut Graf von Weyher, das nach dem Örtchen Weyher ­benannt ist und nur ein paar Kilometer nördlich von Hainfeld liegt. Auch dort entfällt rund ein Viertel der Anbaufläche auf Riesling – und wie Kollege Scherr pflanzt auch Familie Graf mehr und mehr pilzresistente Sorten. Die ­sogenannten Piwis (pilzwiderstandsfähige Rebsorten) sind deutlich resistenter gegen den falschen und den echten Mehltau, die schlimmsten Feinde des Weinbaus.

Gegen diese Pilze werden im konventionellen Anbau Pestizide gespritzt, im Bioanbau kommen schwefel und kupferhaltige Lösungen zum Einsatz. Pilzresistente Sorten, die durch natürliche Kreuzung entwickelt wurden, erfordern weniger Pestizideinsatz und haben längst die Qualität, die die Winzer benötigen. So steht Cabernet Blanc, ein Piwi, beispielsweise bei Graf von Weyher im Webshop ganz oben in der Angebotsliste und wurde bereits ausgezeichnet. »Wir verwenden keinen chemischen Dünger, sondern nur Bio­kompost. Das zahlt sich aus«, wirbt Peter Graf für seine Weine.

Die Piwis gelten immer mehr Weinbauern als die Rebsorten der Zukunft, da sie nicht nur die Kosten für Pestizide merklich senken, sondern auch für mehr Artenvielfalt im Weinberg sorgen. Das wird immer wichtiger und zählt zu den Themen, die längst auf dem Lehr- und Forschungsplan der Universität Geisenheim stehen. Dort sind der Klimawandel und seine negativen Effekte – ob Starkregen, Hagel, der spürbare Temperaturanstieg und das Auftreten neuer Schädlinge wie der Kirschessigfliege – wichtige Themen, ebenso der Erosionsschutz sowie die Artenvielfalt im Weinberg.

Die Frage bleibt, ob und wie lange das Aushängeschild des deutschen Weinbaus, der Riesling, noch in der Rheinpfalz gedeihen wird. Grundsätzlich sei der Riesling für ein kühleres Klima gezüchtet worden, das in der Pfalz immer seltener werde, schildert die Geisen­heimer Professorin für Klimafolgenforschung, Claudia Kammann, das Pro­blem. Die heißen Sommer seien gekommen, um zu bleiben, da gibt sie sich keinen Illusionen hin. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die bislang typischen Trauben der Pfalz weiter im Norden angebaut werden müssen und sich die Winzer an der Südlichen Weinstraße nach anderen Sorten umsehen müssen.

Sortenwechsel und höhere Lagen
Beispielsweise ist mittlerweile der Merlot an der Südlichen Weinstraße angekommen. Etliche Winzer experimentieren auch mit dem Umzug des Rieslings in höhere Lagen oder reduzieren die Blätter an der Rebe, um den Reifeprozess der Trauben in warmen Sommern wie 2018, 2019 und 2020 zu verlangsamen. Das sind Strategien von Winzern, die wissen, welche Heraus­forderungen mit dem Klimawandel an­stehen, die sich aber auch sicher sein können, dass sie am Weinbau werden festhalten können.

Die Option, auf andere Trauben umzusteigen, haben Winzer beispielsweise im Süden Spaniens nicht unbedingt. Studien zufolge könnten bei einem Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperatur von zwei Grad über das langjährige Mittel bis zu 56 Prozent der Anbaugebiete wegfallen, bei einem Temperaturanstieg von vier Grad würden nur noch auf 15 Prozent der derzeitigen Weinanbaufläche Reben gedeihen. Eine Studie der spanischen Universität von Alcalá in Kooperation mit der University of British Columbia in Kanada ­ergab, dass das Ausweichen auf andere Rebsorten in Spanien deutlich weniger Erfolge verspreche als in Deutschland.

Eine Studie der spanischen Uni­versität von Alcalá in Koope­ration mit der University of British Columbia in Kanada kam zu dem Ergebnis, dass das Ausweichen auf andere Rebsorten in Spanien deutlich weniger Erfolg verspreche als in Deutschland.

So etwas spricht sich schnell in der Branche herum, wie der Trend zum Wechsel der Rebsorten zeigt. Andreas Scherr baut nun Rebsorten wie Burgunder und Müller-Thurgau an, die höhere Temperaturen vertragen. Er fragt sich aber auch, was sich noch machen lässt, um ökologischer zu produzieren: »Wo lassen sich Emissionen einsparen, wo können wir besser werden, das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen.«

Davon zeugt die Plakette, die neben dem Eingang zur Vinothek über der Bacchus-Büste angebracht ist: »Fair’n green« steht drauf, was »fair and green« bedeuten soll. Das Siegel für Nachhaltigkeit im Weinbau gibt es seit 2013; es weist keinen Standard aus, sondern die Weiterentwicklung. »Kon­tinuierlich besser werden ist die Devise. Weniger CO2 emittieren, weniger Wasser verbrauchen, Produktionsprozesse optimieren und nicht auf einem Standard stehenbleiben. Das finde ich gut«, meint der Winzer. Ihm geht eine Bio-Zertifizierung, die rund neun Prozent der deutschen Winzer vorweisen können, nicht weit genug. Scherr will mehr als nur die Auswahl der richtigen Rebsorten, er will die gesamte Produktions- und Lieferkette optimieren.

Dazu gehören Flaschen, die weniger wiegen und deren Transport folglich weniger CO2 emittiert, ebenso Etiketten, die auf Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft gedruckt sind – und eine »faire« Entlohnung. 16 Mitarbeiter zählte sein Team zur Weinlese im September und Oktober. Auch auf die Senkung des Wasserverbrauchs in allen Produktionsprozessen wird geachtet. Auf chemische Düngemittel verzichtet Scherr bereits und benutzt nun Pferdemist aus der Region. Blütenmischungen sorgen für den Erosionsschutz im Weinberg und Leguminosen bringen Stickstoff in die Böden. Alles Dinge, die »Fair’n green« von den Weinbauern verlangt; so wird der ökologische Fußabdruck jedes beteiligten Weinbaubetriebs kontinuierlich kleiner. Dass dies notwendig ist, kommt bei immer mehr Winzern an, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, der Schweiz, Italien, Israel und Frankreich.

Der klimabedingte Wandel ist längst in vollem Gange, Rotweintrauben gedeihen in der Südpfalz mittlerweile auf 25 Prozent der Anbaufläche – auch wenn 2021 noch einmal ein exzellentes ­Riesling-Jahr sein könnte.