Was Autosticker über die Fahrzeugbesitzer erzählen

Das Auto als Panzer

Was Sticker auf Autos über die Infantilität ihrer Besitzer verraten.

Seit einiger Zeit lässt sich eine regelrechte Konjunktur merkwürdiger Autoaufkleber beobachten. Man sieht nicht mehr nur jene harmlosen Statuserklärungen wie Silhouette Sylts, Baby- und Bandnamen oder die ­üblich witzigen, also sexistischen, Anspielungen vom »Zickenmobil« bis zu Zoten wie »Mein anderes Spielzeug hat Titten«, die auf den Heckseiten der Autos prangen. Darüber hinaus ist ganze Reihe von Motiven aufgetaucht, die sich vor allem durch besondere Aggressivität auszeichnen.

Wenn es etwa heißt: »Bremsen macht nur die Felgen dreckig«, oder an der Autotür, wo gelegentlich Karten mit Kaufangeboten für Gebrauchtwagen platziert werden, eine Markierung mit der Aufschrift »Ich nix verkaufen! Nix stecken ­Karte! Verpissen dich!« angebracht ist, so fällt das gelinde gesagt unter passiv-aggressives Verhalten. Es finden sich aber auch Piktogramme von Männchen, die Schläge austeilen, mit der Knarre drohen oder mit dem Fuß treten, die mit »Don’t touch my car« untertitelt sind, oder gleich Aufkleber von Blutspritzern. Diese typisch deutsche Gleichsetzung von Humor mit Gewaltandrohung kulminiert im Motiv einer Strichliste auf der Heckscheibe, die die Zahl überfahrener roter Ampeln, übertretene Geschwindigkeitsbegrenzungen und wahlweise überfahrener Kinder oder Fahrräder wiedergibt.

Die besondere Aggression der Autoaufkleber liegt nicht nur in den konkreten Botschaften, sondern darin, diese so konfrontativ und unverhohlen zu kommunizieren.

Bumper stickers, wie sie in den USA heißen, werden dort bereits seit den Wahlkampagnen der sechziger Jahre benutzt, um politische Positionen kundzutun. Wie stark diese Aufkleber polarisieren können, zeigte zuletzt ein viral gegangenes Video, in dem ein Abschleppdienst einem Paar mit Autopanne den Service verweigerte, weil sie einen Wahlsticker von Joe Biden auf ihrem Auto kleben hatten. Bumper stickers dieser Art ­geben die politische Überzeugung unmissverständlich zu erkennen, sie sind ein Pendant zur skandierten Parole. Ihre buchstäbliche Verkürzung politischer Botschaften und ­Positionen hat es als bumper sticker mentality bereits in das Urban Dictionary geschafft.

Die neue Aufkleber-Aggressivität zog in Deutschland vor allem Greta Thunberg auf sich. Der »Fuck You, Greta«-Sticker hat viele Varianten hervorgebracht, es gibt ihn als einfache Botschaft in Großbuchstaben, als grinsenden Smiley mit Mittelfinger, als »Greta nervt«, »Heul leiser« oder gleich als fotorealistisches Motiv, das aus dem Kofferraum hängende Zöpfe mit gelber Kapuze zeigt. Hier verquickt sich die Freude an der Drohung mit dem Phantasma des Abwehrkampfs.

Diese Sticker-Mode reagierte in der Zeit des sogenannten Diesel­skandals auf die damals wachsende Popularität der Klimastreiks von Fridays for Future, welche die wohl konkreteste Abstiegsangst der Mittelklasse mit rechter Kampf- und Kriegerpose verschmelzen ließ: die soziale Ächtung des Dieselantriebs, der insbesondere bei schweren Fahrzeugen verbreitet ist, und ein drohendes Fahrverbot. Man fand daher Bekenntnisse und Kampfansagen, wie etwa »Freie Fahrt für meinen Diesel« oder Sticker, die eine besonders schlechte Energieeffizienzklasse für das Auto ausweisen und die Höhe der Schadstoffemissionen als Leistungsmerkmal propagieren.

Die besondere Aggression der Autoaufkleber liegt nicht nur in den konkreten Botschaften, sondern darin, diese so konfrontativ und unverhohlen zu kommunizieren. »Fuck You, Greta« kommt ohne auffälliges Design aus, die Sticker zeigen einen reduzierten Schriftzug oder ein einfaches Piktogramm und haben nicht viel mit der Meme-Ästhetik gemein. Hass und Aggressivität, die sich darin ausdrücken, kommen leicht verstehbar und unaufgeregt daher; sie zeigen eine neue Selbstverständlichkeit der Kampfansage. Das Auto ist die dafür prädestinierte Projektionsfläche, nämlich als blechgewordenes Selbstbild vieler männlicher Autofahrer. Das Gefährt fungiert als alter ego. Dass das Auto als Symbol für Freiheit taugt, verstärkt die Identifikation noch.

Der bumper sticker ist erst einmal nicht mehr als ein Statement, eine Form der individuellen Meinungsäußerung. Angesichts der viel elaborierteren Selbstdarstellung in den sozialen Medien mag er vielleicht anachronistisch wirken. In den USA ist der bumper sticker längst ein Phänomen der Boomer-Generation, vielleicht sogar schon im Verschwinden begriffen. Wer klebt schon etwas auf seinen Tesla, der ja an sich schon eine Art Statement darstellt? Eher assoziiert man die Sticker mit den alten Chevrolets der suburbanen Mittelklasse oder mit den Trucks und Pickups, die der white trash und die red­necks fahren.

Zum Aufkleber neigen also eher jene Milieus, über die so heftig in der Debatte über neue Klassenpolitik diskutiert wird und die teilweise zu einer Form der Irrationalität neigen, die sich in rassistischen, antisemitischen, homophoben, antifeministischen, illiberalen oder einfach nur diffus gewaltbereiten Äußerungen zeigt. Das Ressentiment wird zum Mittel der politischen Rebellion in Verhältnissen, in denen die eigene Existenz immer öfter auf dem Spiel steht. Ob abstiegsbedroht oder von sozialer Aufwärtsmobilität ganz ausgeschlossen, das empfundene Ausgeliefertsein motiviert zur Feind­seligkeit – allerdings nicht gegen die Verhältnisse. Und je dringender diese Empfindung wird, desto pathetischer wird die eigene Widerständigkeit stilisiert. Vom Messias ist dann wieder die Rede, von Rittern des Lichts oder einfach nur von tapferen Kriegern; es sind, wie man mit Klaus Theweleit sagen könnte, schlicht Männerphantasien. Das Auto wird zum Panzer, zum Kriegsutensil.

Der Trend zu aggressiven Autobotschaften zeigt diese neue Stufe des Ressentiments, die sich in den USA bereits deutlicher abzeichnet. Geht es um Menschenverachtung, heißt es nicht mehr: »man wird ja wohl noch sagen dürfen«, sondern: »man muss klar sagen«. Daran ändert nichts, dass diese Ansagen mit schäbiger Schadenfreude und anderen Zweideutigkeiten garniert sind. Zumindest in Deutschland fungieren die Aufkleber nicht einfach als politische Botschaften, neben einigen »Merkel muss weg«-Aufklebern findet sich selten ein »Wählt AfD!« oder »Höcke 2021«. Die Aufkleber sind viel mehr ein infantiles Spiel mit dem Tabubruch.

Allein schon im Bedürfnis des Beklebens spricht sich aggressive Selbstinfantilisierung aus. Umso besser passen die Botschaften zur aufmüpfigen Grenzüberschreitung: zu schnell fahren, viel verbrennen, keine Rücksicht nehmen, Schwächere (Fahrräder, Fußgänger) aus dem Weg räumen. Die aggressiven Botschaften spiegeln eine Verhaltensweise, die auch in Kinokassenschlagern wie »Fack ju Göhte« und Comedians wie Chris Tall aufscheint: Auf dem Entwicklungsstand der Pubertät angelangt, wird jeder darüber hinausgehende Reifungsprozess zurückgewiesen. Elyas M’Barek spielt in »Fack Ju Göhte« den kindsköpfigen Lehrer, der sich schon mal prügelt oder ­seiner Kollegin K.-o.-Tropfen verabreicht. Und wenn Chris Tall seine Fans einschwört, man werde jetzt die Bude abfackeln, denn es sei »Chris-Tall-Nacht«, dann ist das nur die Konsequenz aus seiner ständigen Wiederholung von Mama-Papa-Schule-Anekdoten, bei denen man sich ­gemeinsam zurückversetzen kann in jene Zeit, in der die persönliche Entwicklung zum Stillstand gekommen und ebenso widerwillige wie un­einsichtige Anpassung gewichen ist. Sinnbildlich endet das Erwachsenwerden in dem Moment, in dem man sein eigenes Auto bekommt.

In den Botschaften der Sticker kommt daher nicht einfach die ­Abstiegsangst der Mittelschicht oder die aufgestaute Wut der Abgehängten zum Ausdruck. Vielmehr signalisieren sie eine Verschärfung des Unbehagens an einer Gesellschaft, die sich politisch mit Gleichberechtigung, Umweltzerstörung und Fortschritt auseinandersetzt, was wie eine Existenzbedrohung anmutet, wenn man den Status quo so tief verinnerlicht hat. Der Welt, der man in der Hoffnung auf ein Mindestmaß an freier Individualität schon so viele Opfer gebracht hat und die einen doch nur Autofahren lässt, kann man nur vorhalten, dass sich alle wenigstens an diesen schlechten Deal zu halten hätten.