Polizei räumt das erste queere Zentrum in Ghana

Der Kampf um Öffentlichkeit

In Ghana haben sich bisher nur wenige Menschen des öffentlichen Lebens als homosexuell geoutet, doch die Netzwerkarbeit queerer Ghanaer und Ghanaerinnen in den sozialen Medien hat dazu geführt, dass im Januar 2021 das erste queere Zentrum in Accra eröffnet wurde. Aber bereits eine Woche danach räumte die Polizei das Zentrum.
Reportage Von

Alex Kofi Donkor war nach dem Besuch des Schwulen Museums in Berlin begeistert. Gerade noch rechtzeitig vor Beginn der Beschränkungen wegen der Covid-19-Pandemie hatte der engagierte ghanaische Bürgerrechtler Berlin besucht. In seiner Herkunftsstadt Accra, der Hauptstadt Ghanas, haben es LGBT-Personen in ihren Familien, Gemeinden und im öffentlichen Leben mit hasserfüllter Stigmatisierung und offener Gewalt zu tun. Donkor kennt viele Menschen, die für homosexuelle Handlungen oder dafür, dass sie »homosexuell aussehen«, diskriminiert und attackiert werden. Dennoch erzählte er voller Energie und Zuversicht von seiner Community in Accra – es war spürbar, dass er Teil einer gut organisierten, hochmotivierten Gruppe ist. Die Mitglieder der Gruppe seien »mitten im Kampf«, sagt er, und dass sie große Pläne hätten, die er allerdings noch nicht genauer enthüllen wollte.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten ein Stofftaschentuch, das mit dem Symbol der »Drama Queens« und dem Slogan »In memory of toxic masculinity« bestickt ist.

Alex Kofi Donkor ist eines der bekannteren Gesichter der queeren Szene in Accra. 2018 hat er die Organisation »LGBT + Rights Ghana« ins Leben gerufen, die seither hauptsächlich in den sozialen Medien aktiv war. Zum einen, weil das Geld für Räumlichkeiten fehlte, zum anderen, weil queere Menschen in Ghana nicht sicher sind. Inzwischen aber finden sich dennoch immer mehr zusammen, solidarisieren sich, engagieren sich oder feiern ihr kleines Coming-out in Instagram-Videos.

Ein sicherer Ort in Accra
Es ist schon fast dunkel; in Ghana setzt das ganze Jahr über um sechs Uhr abends die nur kurz anhaltende Dämmerung ein. Alex steht vor einem großen rostbraunen Eisentor, erwartet die Ankommenden und begrüßt diese einzeln und herzlich. Er trägt ein dunkelblaues Shirt mit dem Logo von LGBT + Rights. Im Innenhof des Gebäudes hängt alles voller Regenbogenfahnen. Es ist die Variante, die mit je einem braunen und schwarzen Streifen ergänzt wurde, um People of Color zu repräsentieren. Auch Stoffe mit ghanaischen Prints von kleinen Einhörnern flattern an den Mauern.

An diesem Abend im November 2019 steht eine Podiumsdiskussion zum Thema »Religion und Sexualität« auf dem Plan; Alex sitzt auf dem Podium. Für ihn gehen Sexualität und Religiosität in Ghana nicht zusammen. Er bezeichnet sich als Atheist und sieht den Glauben als Feind seiner schwulen Identität. Eine muslimische Person auf dem Podium, die sich als geschlechtlich nichtbinär identifiziert, sieht das ganz anders. Die Person will ihren Glauben nicht ablegen. Sie hat Angst, weiter in die Moschee zu gehen, betet stattdessen zu Hause und wünscht sich andere Menschen, die ähnlich denken, damit sie zusammen beten könnten.

Die Erfahrungen und Meinungen, die während der Diskussion zur Sprache kommen, sind sehr unterschiedlich. ­Einige der Anwesenden sind bei ihren Familien geoutet, einige auch in ihren religiösen Gemeinden. In den Diskussionsrunden haben sie eine Community gefunden, in der sie ihre so unterschiedlichen Erfahrungen austauschen und sich beratschlagen können. Ein jüngeres Mitglied der Gruppe hat stolz seine beste Freundin mitgebracht. Sie hat ihn schon in der Schule unterstützt, ab heute will sie auch zu den Treffen kommen. Alle freuen sich für die beiden, die eifrig mitdiskutieren. Die Stimmung ist beinahe gelöst, denn der Ort des Treffens ist geheim, die Mauern des Hofs sind hoch.

Alex Kofi Donkor zerschneidet das Band vor dem Büro von LGBT + Rights Ghana

Feierliche Eröffnung. Alex Kofi Donkor zerschneidet das Band vor dem Büro von LGBT + Rights Ghana

Bild:
Lgbt+RightsGhana

Die Zeiten haben sich geändert. Am 31. Januar 2021 eröffnete LGBT+ Rights Ghana ein eigenes Büro. Damit gab es zum ersten Mal einen offiziell bekannten Ort in Ghana, den queere Menschen aufsuchen konnten, um sich zu ver­netzen, sich kennenzulernen, über Diskriminierungen zu sprechen und sich zu bilden. Nachdem dem Büro in den sozialen Medien des Öfteren mit Brandstiftung gedroht worden war, wurde er schließlich Ende Februar von der Polizei zerstört. Online hat der Verein LGBT + Rights Ghana Bilder des Zentrums nach dem Angriff der Polizei geteilt. Die Zäune sind zerstört, die Räume verwüstet. Einige im Büro aktive Personen posteten, dass sie in Sicherheit seien. Aber einen gemeinsamen Ort der Sicherheit, einen Ort, um sich zu treffen, haben sie nun nicht mehr.

Feminismus und Kulturszene
Auf einer Bühne in Accra steht ein Mann in traditionellem Gewand und hält eine Rede zur Beerdigung seines Großvaters. Mit dem Sarg und den vielen Blumenkränzen wirkt die Bühnendekoration täuschend echt und bedrückend. Die Menschen, die zu der Theatervorstellung erschienen sind, blicken den Redner gebannt an. Der Schauspieler gehört zu den »Drama Queens«, einer feministischen, panafrikanischen NGO. Die Bühne befindet sich auf einem freien Kulturgelände, die Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen in der warmen Abendluft in Reihen rundherum, was an ein Amphitheater erinnern. Auf dem Gelände gibt es meh­rere Bühnen und kleine abgegrenzte Bereiche, die auch für Musikshows ­genutzt werden. Eine Mauer umgibt das Areal, sie ist bewachsen mit Taschentuchbäumen, strauchartigen Gewächsen, die eine Fülle an weißen oder violetten, tuchartigen Blüten ausbilden.

Der Redner auf der Bühne fragt, warum sein verstorbener Großvater seine Mutter geschlagen habe, die sich dann ihm gegenüber so hart, strafend und fordernd verhalten habe. Die Rede ist eine Anklage. Einmal, erzählt er, sei der Großvater nach Hause gekommen, während er sich als kleiner Junge in den roten Lackschuhen seiner Mutter im Spiegel betrachtet habe. Der Großvater habe geschrien, ihn beleidigt und ihm die Schuhe an den Kopf geworfen. Er, der Enkel, wisse noch genau, wie er sich nachts in den Schlaf geweint habe. Er sei sich sicher, dass der Großvater ihn und seine Mutter geliebt hat, aber damit nicht um­gehen konnte. Er setzt sich mit dessen Geschichte, seinen Ängsten, Sorgen und unerfüllten Wünschen auseinander, erwägt seines Großvaters Möglichkeiten und Beschränkungen. So ist die Rede auch der Versuch, zu verstehen.

Der Redner weint und weint. Das Publikum scheint inzwischen ähnlich verzweifelt. Kann es gelingen, mit dem Großvater auch die alten Verhaltensmuster zu Grabe zu tragen? Das Stück »The African Men« thematisiert toxische Männlichkeit. Die szenischen Auseinandersetzung soll einen Anfang darstellen, um sie tatsächlich irgendwann zu beerdigen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten zum Ende der Aufführung ein Stofftaschentuch, das mit dem Symbol der Drama Queens und dem Slogan »In memory of toxic masculinity« bestickt ist.

Seit ihrer Gründung 2016 steht die Gruppe für Feminismus und feministische Kultur in Ghana, immer wieder organisiert sie auch Veranstaltungen zu queeren Themen. Die queere Szene in Accra war von Anfang an untrennbar verflochten mit der feministischen. Schon häufig haben die Drama Queens und andere feministische Gruppen öffentlich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen Stellung bezogen.

Begonnen haben die Drama Queens ihre Arbeit mit Workshops zu Sexualaufklärung und konsensueller Sexualität. Sie organisieren Gespräche mit Therapeutinnen und Therapeuten für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Diskriminierung. Darüber hinaus informieren sie über die ghanaische Geschichte und erarbeiten Kulturproduktionen wie Theaterstücke, Choreographien und Filme. Derzeit bietet die Gruppe auch therapeutische Beratung für die besonderen psychischen Belastungen in der Pandemie. Viele aktuelle Angebote der Drama Queens finden online statt, aber es gibt auf Veranstaltungen unter strengen Hygieneauflagen. Gemäß den derzeit geltenden Pandemiemaßnahmen dürfen sich in Ghana bis zu 25 Personen treffen. Das neu­este Projekt der Drama Queens heißt »Moongirls«, es ist eine Comicserie mit den wohl ersten queeren Superheldinnen und -helden Ghanas.

Intensive Debatten
Seit einigen Monaten wird in der ghanaischen Bevölkerung viel diskutiert und gestritten; aus der Ferne lässt sich das auf Instagram, Twitter, Facebook und anderen Kanälen verfolgen. Es geht dabei um die Frage: Sollen queere Menschen in Ghana öffentlich wahrnehmbar sein oder nicht? Ein Freund, der in Accra arbeitet, beschreibt die Lage so: »Wir tun immer noch so, als gäbe es bei uns nicht viel Homosexualität«. Immer wieder fällt der Vorwurf der Heuchelei; die Diskussionen über Grundrechte queerer Menschen erhitzen die Gemüter.

In Anbetracht der großen Aufmerksamkeit für das Thema hat die katholische Bischofskonferenz Ghanas erneut öffentlich verkündet, Homosexualität sei zu verurteilen und moralisch verwerflich. Dabei bezog sie sich unter anderem auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und betont, auch dessen Konventionen erlaubten nicht notwendig gleichgeschlechtliche Ehen. Zuletzt hielt Präsident Nana Akufo-Addo auf einer Pressekonferenz, auf der es eigentlich um die Pandemie ging, eine Ansprache, in der er versicherte, Ghana werde die gleichgeschlechtliche Ehe nicht legalisieren – »niemals, solange ich Präsident bin«.

Die Debatte wird intensiv in der ganzen Gesellschaft geführt. Es gibt stundenlange Fernsehdiskussionen und Radiosendungen, Bürger veröffentlichen ihre Ansichten auf Youtube. Das Thema ist in den sozialen Medien und den Zeitungen allgegenwärtig. Gifty Akoto, eine Schneiderin in Accra, die die politische Lage gespannt verfolgt, glaubt, dass die ghanaische Gesellschaft mehr Zeit brauche, um queere Menschen zu akzeptieren. LGBT + Rights Ghana ist der Ansicht, die britische ­Kolonialherrschaft habe Homophobie mittels Gesetzen institutionalisiert, die in Ghana heute noch gültig sind. Eigentlich aber gehörten homosexuelle Praktiken genuin zu den afrikanischen Kulturen. Tatsächlich spielt die Frage der Kolonialherrschaft in den derzei­tigen Diskussionen auch außerhalb der queeren Szene eine große Rolle. Das drückt sich allerdings auch darin aus, dass viele Ghanaer und Ghanaerinnen der Meinung sind, die spezifisch westliche Kultur der queerness habe in Ghana nichts zu suchen.

Kolonialgeschichte in Ghana und das Stadtschloss Berlin
Nicht nur die Briten haben in Ghana als Kolonialmacht ihre Spuren hinterlassen; auch der Kurfürst von Brandenburg unterhielt eine Kolonie an der ghanaischen Atlantikküste, einem Teil der von den Kolonialmächten so genannten Goldküste. Mittels kriegerischer Auseinandersetzungen und ­Verhandlungen mit dem dort lebenden Bevölkerungsgruppe der Ahanta etablierte die kurbrandenburgische Marine 1682 und 1683 die Kolonie Groß Friedrichsburg. Deren Verwaltungszentrum bildete das Fort Friedrichsburg neben dem heutigen Princes Town. Dieses Fort wurde zum zentralen Umschlagpunkt des europäischen Sklavenhandels; in seinen Kellern mussten entführte Menschen den Abtransport zum Ort ihrer Skla­verei erwarten. Auch Gold, ­Elfenbein, Pfeffer und andere Güter wurden geraubt und ins Kaiserreich exportiert.

Es ist eine wichtige Zeit für queere Menschen in Ghana. Die Engagierten sehen die gegenwärtige Situation als eine des »entscheidenden Kampfs für ihre Freiheit«.

Nicht zuletzt durch die Erlöse aus diesem Überseehandel konnten die ­Hohenzollern, die ab 1701 nicht mehr Kurfürsten, sondern sich Könige »in Preußen« (aus formalen Gründen nicht aber »von Preußen«) nennen durften, ihre Berliner Residenz restaurieren, die heutzutage als Stadtschloss bekannt ist. So wurde damals etwa die aufwendige Barockfassade hinzugefügt. Die Reiterstatue Friedrich Wilhelms I., der die Kolonie geerbt, jedoch mangels kolonialen Interesses 1717 verkauft hatte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Ehrenhof des Schloss Charlottenburg wieder aufgestellt. Dort steht er weiterhin, hoch zu Pferde mit versklavten, angeketteten Menschen zu seinen Füßen.

Anhaltende Mühen
In der vergangenen Woche hat sich in Ghana erstmals ein landesweit bekannter Journalist öffentlich geoutet. Aus Angst hatte er seine sexuelle Iden­tität bis dahin geheim gehalten. Bereits seit fünf Jahren wiederum stellt sich die erste öffentlich auftretende queere Person Ghanas, die Transfrau Madina Broni, in Talkshows und Interviews mutig den Vorurteilen der Gesellschaft und den tabulosen Fragen der Moderatorinnen und Moderatoren.

Seit queere Menschen sich in Accra mehr in der Öffentlichkeit zeigen, scheint sich die Situation zuzuspitzen: Freundinnen und Freunde von Alex Kofi Donkor berichten, einige ihrer Bekannten seien gewalttätig angegriffen worden. Im Grunde gehört das schon lange zum Alltag vieler queer erscheinender Menschen in Ghana. Gemäß den Gesetzen des Landes können homosexuelle Handlungen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Im Gesetzestext wird diesbezüglich aber nur phallische Penetration genannt, so dass die juristische Verfolgung eher Männer trifft. Lesben sind dagegen häufig besonders betroffen von der Gewalt ihrer eigenen Familien. Nicht selten werden sie als besessen angesehen oder in die Prosti­tution getrieben, weil sie keine andere Arbeit finden können.

Viele queere Menschen in Ghana führen ein Leben in Angst. Die Community in Accra bot ihnen in den vergangenen Jahren vor allem online einen Raum, die sozialen Medien spielen eine wichtige Rolle. Es gab zwar auch Treffen, allerdings stets unter Geheimhaltung. Die kontinuierliche Kommunikation und die klandestine Zusammenarbeit haben die Community erstarken lassen.

Es ist eine wichtige Zeit für queere Menschen in Ghana. Die Engagierten sehen die gegenwärtige Situation als eine des »entscheidenden Kampfs für ihre Freiheit«. Nach wie vor sind sie auf allen digitalen Kanälen aktiv, jede Online-Diskussion bietet die Chance, dass die Toleranz für die queere Community ein bisschen steigt. Auch Unterstützung aus dem Ausland ist wichtig, diese läuft jedoch nur schleppend an. Unter dem Hashtag #ghanasupportequality sammeln sich im Internet immerhin Solidaritätsbekundungen. Die queeren Menschen in Ghana hoffen auf internationale Unterstützung: Die Unterstützung beim Fundraising, das Initiieren von Petitionen und die Verbreitung der Anliegen seien wertvolle Zeichen des Beistands.