16 auf einen Streich
Der Plan war so simpel wie undurchdacht: Um sich auf kommende Wettkämpfe vorzubereiten, versammelte der Deutsche Boxsportverband (DBV) die vollständige Olympia-Auswahl in einem Trainingslager in Österreich. 16 Boxerinnen und Boxer infizierten sich dort mit Covid-19. Während die Sportler im Trainingslager bleiben mussten, reisten mehrere Funktionäre des DBV frühzeitig nach Deutschland ab.
Die Boxer und ihr Team wurden in einem Hotel einquartiert, in dem zuvor auch die Spieler des Fußballbundesligisten Schalke 04 untergebracht worden waren. Mindestens ein Fußballprofi war während seines Aufenthalts positiv auf Covid-19 getestet worden. Der DBV wusste von diesem Fall, hielt es aber nicht für notwendig, die potentiellen Olympiateilnehmer vor der Reise zu informieren. »Uns wurde halt vor Ort in einer Teambesprechung gesagt, dass es in dem Hotel, in dem wir uns befinden, Coronafälle gab«, sagte Ammar Riad, Olympia-Kandidat im Schwergewicht, dem NDR.
»Ich möchte das schon irgendwie selbst entscheiden, welches Risiko ich eingehe, wenn ich ins Trainingslager fahre«, sagte die Deutsche Meisterin im Mittelgewicht, Sarah Scheurich. Wie ihr Teamkollege wurde sie infiziert und musste die meiste Zeit in Quarantäne verbringen. »Wir haben uns für Österreich entschieden, weil dort die Zahlen niedrig waren«, verteidigte der Sportdirektor des DBV, Michael Müller, das Vorgehen.
Der Verband war der erste unter allen Organisationen für olympische Sportarten, der seine gesamte Olympia-Auswahl in ein gemeinsames Trainingslager schickte. »Das müssen wir machen. Wir brauchen den Vergleich mit ausländischen Sportlern, sonst bringt die ganze Vorbereitung auf Olympia nichts«, sagte Müller. Er sei auch nicht wirklich überrascht, dass sich so viele Sportler infiziert hätten: »Es war klar, dass so etwas kommt. Wenn es dieses Mal gut gegangen wäre, hätte es uns vielleicht beim nächsten Mal erwischt.«
Müller ist davon überzeugt, dass andere olympische Sportarten bald ähnliche Probleme haben werden. »Wer glaubt, dass die Vorbereitung auf Olympia ohne Coronafälle passieren wird, lebt an der Realität vorbei.« Man habe wichtige Erfahrungen gesammelt, die bei weiteren Mannschaftsaufenthalten genutzt werden könnten. Für Scheurich grenzt diese Aussage an Körperverletzung. »Das heißt ja, man schickt uns in ein Trainingslager und rechnet damit, dass wir uns infizieren«, sagte die Athletin dem NDR. Zur Krönung verließ der Arzt, der das Team ins Trainingslager begleitet hatte, nach Bekanntwerden der ersten Fälle das Hotel.
Für den Fall, dass die Athleten aus dem verhängnisvollen Trainingslager ihre Konsequenzen ziehen, hat der Sportdirektor des DBV schon eine wirksame Drohung zur Hand. »Die Alternative wäre, dass wir die öffentliche Förderung zurückgeben und auf Olympia verzichten«, so Müller. Aus gesundheitlichen Gründen auf das ganze Spektakel vorerst zu verzichten und trotzdem die Förderung aufrechtzuerhalten, kommt einem Sportfunktionär nicht in den Sinn. Schließlich geht es nicht um den Sport, sondern um die Leistung.