Die chinesische Kulturrevolution

Aufstand der kleinen Affen

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Wu Yiching hat eine Studie vorgelegt, die wissenschaftlich fundiert argumentiert, sich aber dennoch auch für Laien spannend liest. Ohne Zweifel ist es das bisher beste Werk zur Kulturrevolution, das im Westen zugänglich ist. Das Buch legt die subversiven und emanzipatorischen Elemente der »anderen Kulturrevolution« frei, ohne in Nostalgie zu schwelgen oder die Geschehnisse zu verharmlosen. Wu erkennt den fragmentarischen und provisorischen Charakter der Rebellenbewegung  und der von ihr vorgebrachten Kritik. Ihre Mitglieder wollten und konnten damals nicht über ein maoistisches framing ihrer Forderungen hinauskommen.

Die Kulturrevolution kam bis Berlin. Das Kinderzimmer in der verlassenen Wohnung der Kommune I.

Bild:
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Kritisch ist anzumerken, dass Wu in linkskommunistischer Manier zu stark zwischen »guten« sozialen Bewegung und dem »bösen« Staat unterscheidet. Richtig ist, dass Mao viele Rebellen enttäuschte, als er sich im Namen der Ordnung gegen die Bewegung wandte. Andererseits zeigte sich aber auch der »Große Vorsitzende« tief enttäuscht, dass sich die rebellische Bewegung vielerorts in endlose, zum Teil sinnlose Fraktionskämpfe verzettelt hatte, die in extremen Fällen in einen regelrechten Bürgerkrieg mündeten. Wu wählt für sein Buch vor allem Beispiele von ­Rebellen, die vom Staat nach 1967 unterdrückt und verfolgt wurden. Durch die Etablierung einer neuen staatlichen Ordnung in Form der Revolutionskomitees integrierte die Parteiführung auch viele Anführer der Bewegung als »Vertreter der Massen« in den Staatsapparat. Von den Studenten und ihren Fraktionskämpfen desillusioniert, förderte die Führung um Mao ab 1968 besonders die Parteieintritte von Arbeiterrebellen, um den Apparat zu erneuern.

Deutlich zeigt sich aber auch, dass es für die Etablierung basisdemokratischer Institutionen nach Vorbild der Pariser Kommune von 1871 im China des Jahres 1967 keine breite Basis gab. Alle politischen Kräfte sahen ihre Kontrahenten als Feinde, die vernichtet werden müssten. Konflikte zwischen Gruppen wurde schnell mit Gewalt ausgetragen, zunächst mit Fäusten und dann auch mit Gewehren. Die kämpfenden Fraktionen beklagten immer nur die Toten und Folteropfer der eigenen Seite. Schockiert von den Geistern, die er selbst gerufen hatte, sah Mao in der zeitweiligen Machtübernahme durch die Armee die einzige Möglichkeit, sein politisches Projekt des Sozialismus noch zu retten. Am Beispiel Shanghais wird deutlich, dass die These vom »Verrat« der maoistischen Führung an der »anderen Kulturrevolution« zu kurz greift. Zwar ließ die neue Lokalregierung nach der »Machtergreifung der Linken« im Januar 1967 die unabhängigen Rebellengruppen der prekär beschäftigten Arbeiter auflösen. Eine wichtige Forderung der »verratenen Revolution« erfüllte die Staatsführung jedoch einige Jahre später. 1971 wurde die Möglichkeit temporärer Beschäftigung in der Industrie stark eingeschränkt und Millionen Vertragsarbeiter wurden zu Festangestellten. Wie Wu beschreibt, war es erst die Führung um Deng, die ab 1978 die Landwirtschaft und Teile der Industrie privatisierte. Die Arbeitskraft wur­de wieder zu einer frei handelbaren Ware, die Gesellschaft wurde nach kommerziellen Interessen ausgerichtet.

In den USA ist »Die andere Kulturrevolution« im renommierten Verlag Harvard University Press erschienen. Die deutsche Übersetzung des Buchs erscheint in dem kleinen Wiener Verlag Mandelbaum. Sie wurde von Ralf Ruckus besorgt, der bereits eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen linker US-amerikanischer Wissenschaftler zu China heraus­geben hat. Es wäre wünschenswert, dass die großen Kämpfe in dem Land auch in der deutschsprachigen Linken stärker wahrgenommen werden als bisher. Wie oberfläch­lich die Beschäftigung mit der Geschichte der chinesischen Kulturrevolution hierzulande ausfällt, ist insbesondere vor dem Hintergrund der Popularität der maoistischen ­Bewegung im »roten Jahrzehnt« (1967 bis 1977) in Westdeutschland überaus erschreckend.

Wu Yiching: Die andere Kulturrevolution. 1966–1969: Der Anfang vom Ende des chinesischen Sozialismus. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und ­herausgegeben von Ralf Ruckus. Mandelbaum, Wien/Berlin 2019, 354 Seiten, 25 Euro