Imprint - Abdruck aus: »Eine ­Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs«

Eine Leiche im Landwehrkanal

2019 jährt sich zum 100. Mal die Ermordung der Anführer des Spartakusbunds, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Klaus Gietinger hat die Geschehnisse um den politischen Mord mit einer aufwendigen Quellenrecherche rekonstruiert.
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Die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist eine der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts. Kaum ein politischer Mord hat so sehr die Gemüter bewegt und das politische Klima in Deutschland verändert wie jener in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 vor dem Hotel mit dem paradiesischen Namen Eden. Der Mord war Auftakt für weitere politische Morde, und nicht nur das. »Da begann jener schauerliche Zug von Toten, fortgesetzt im März 1919 schon und ging weiter die ganzen Jahre und Jahre, Gemordete und Gemordete«, wie Paul Levi es in seinem berühmten Plädoyer drei Jahre vor dem deutschen Faschismus ausdrückte.

Der Fall Luxemburg / Liebknecht war sozusagen der Sündenfall, »in dem Mörder mordeten und wussten, die Gerichte versagen«, so Levi weiter. Über Jahre hinweg folgten Verdrehungen, Verdunklungen, Vorschubleistungen, falsche Verdächtigungen und Selbstbezichtigungen der Tat. Insbesondere der Prozess vor dem Kriegsgericht der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD, jener Division, der die Mörder angehörten), eine »Justizposse, die als einer der großen Justizskandale unseres Jahrhunderts bezeichnet werden muss« (Wolfram Wette), machte aus der Tragödie eine Groteske, an der so mancher Sozialdemokrat kräftig mitwirkte.
Als in den Zwanzigern das Eingeständnis eines Beteiligten und Ende der Zwanziger, Anfang der Dreißiger mehrere Prozesse erstes Licht ins Dunkel brachten, war auch dies von juristischen Eiertänzen und politischen Rückzugsgefechten begleitet. Und so musste Ossip K. Flechtheim 1948 resigniert konstatieren: »Wie sich im einzelnen die politische, moralische oder juristische Verantwortung auf die verschiedenen Richtungen verteilte, wird wohl eindeutig nie mehr festgestellt werden können.«

Doch da meldete sich, 1959 erst im kleinen Kreis und 1962 öffentlich, einer der Verantwortlichen zu Wort, plauderte aus dem Nähkästchen und erntete wütende Proteste wegen der Dreistigkeit seines Geständnisses, aber auch zustimmendes Nicken zum Beispiel von Seiten der damaligen Bundesregierung. Als dann 1966 Joseph Wulf, Historiker und Pionier der Holocaust-Forschung, die verloren geglaubten Akten des Kriegsgerichts der GKSD und weitere Akten der Staatsanwaltschaft aus den Jahren 1921 bis 1925 entdeckte und sie dem Journalisten Dieter Ertel zugänglich machte, wurde der bislang letzte Akt dieser Tragikomödie eingeläutet.

 

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