10.08.2017
Fußball und Journalismus (6379)

Inbrünstige Mitsinger

Fans mit Stift, Mikrophon oder Kamera – so stellen sich DFL, Vereine und Anhänger den Fußballjournalismus vor.

Eigentlich sollte dies ein Artikel über Darmstadt 98 werden, so war es mit der Redaktion vereinbart – schließlich hatte der Autor die Lilien zwei Jahre lang in der Bundesliga be­gleitet.
Wie man das als seriöser Autor so macht, will man das Objekt der ­Berichterstattung natürlich auch in fremder Umgebung ansehen. Also wurde die Akkreditierungsanfrage für das Auswärtsspiel in Kaisers­lautern gestellt, natürlich mit allen notwendigen Unterlagen. Zwei Tage ­später traf folgende E-Mail ein:
»Hallo Herr Metzger,
vielen Dank für Ihre E-Mail und das Interesse am FCK. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Ihrem ­Akkreditierungswunsch aufgrund der vielen Nachfragen leider nicht entsprechen können.«

In einem WM-Stadion soll also zu wenig Platz auf der Pressetribüne für ein Zweitligaspiel sein? Hmm.
Nun muss man wissen, das Edelste, was ein Stück Papier in einer Presseabteilung im Profifußball werden kann, ist eine Akkreditierung. Für Außenstehende entscheidet sie über rein oder raus, darüber, hautnah an den Spielern zu sein oder Zitate von Sky klauen zu müssen, darüber, auf der Pressekonferenz Fragen stellen zu dürfen oder sie bloß per Youtube ­anzuschauen.

Vereine und die Deutsche Fußballliga (DFL) geben sich gerne eine Aura des Exklusiven, damit die, die drin sind, sich auch immer der Gnade, die ihnen gewährt wird, bewusst bleiben. Hauptberuflichkeit, ein ­konkreter Redaktionsauftrag, Mitgliedschaft in einem Berufsverband, seit dieser Saison bei Fotografen ­sogar eine Berufshaftpflichtversicherung gehören zu den Dingen, die auf Anforderung nachzuweisen sind.
Eine Perle ist auch der zu dieser Saison neu hinzugekommene Abschnitt auf dem DFL-Akkreditierungsantrag: »Eine Akkreditierung am Spieltag berechtigt nicht dazu, über den Rahmen der mit dem jeweiligen Akkreditierungsumfang verbundenen Arbeiten und Aufgaben hinaus Stadionbilder mittels Smartphone, Tablet oder sonstigen geeigneten Aufzeichnungs- bzw. Aufnahmegeräten zu erstellen und redak­tionell und/oder kommerziell zu verwerten oder in sonstiger Weise, z. B. über private Social Media-Accounts, zu veröffentlichen.«

Man hat eben gerne die Kontrolle über das, was veröffentlicht wird – die heile Fußballwelt, in der es nur schöne Bilder gibt, soll auf keinen Fall gefährdet werden. Am Ende würden auf womöglich gar privaten Twitter-Accounts von Journalisten noch Bilder von Transparenten ­auftauchen, die man in der Fernsehübertragung mühsam ausgespart hat. Aber droht dem Fußball diese »Gefahr« überhaupt? Wie schaut es in den Presseräumen und Mixed Zones der Liga so aus?

Natürlich gibt es sie, die guten, phantastischen Schreiber, denen die nichtssagenden Mitteilungen der Clubs nicht reichen, die richtig recherchieren und in deren Geschichten schließlich neue und eben auch kritische Aspekte veröffentlicht werden. Erstaunlicherweise sind dies meist die Personen, die sich in ­Gesprächsrunden am wenigsten wichtig nehmen. Aber es gibt eben auch die andere große Gruppe, die Wir-Sager, die Vereinshymnenmitsinger, die Torjubler, eben die Fans mit Block, Kugelschreiber und Mikrophon.
Zu dieser Gruppe gehört beispielsweise der Redakteur einer überregionalen Zeitung, dessen lokaler Verein im Abstiegskampf steckte und der anscheinend meinte, seinen Beitrag um Klassenerhalt »seiner« Mannschaft leisten zu müssen. Originalzitat: »So lange WIR nicht verlieren, wird sich nicht rasiert.« Der Verein blieb am Ende tatsächlich in der Bundesliga, wie lang der Bart wurde, ist jedoch nicht bekannt.

In Freiburg kann es einem schon mal passieren, dass der Sitznachbar auf der Pressetribüne beim Badnerlied aufspringt, die Hand ans Herz hält und inbrünstig einstimmt. Wie das damit zusammengeht, dass ­einem zuvor beim Abholen der Arbeitskarte noch erklärt wurde, wie schwer es doch sei, für eine kleine Zeitung wie die Jungle World noch Platz unter den vielen Journalisten zu finden, erschließt sich in solchen Momenten eher nicht.
Dabei hätte es des Hinweises mit der Gnade gar nicht bedurft, denn es wird einem an jedem Spieltag vor Augen geführt, dass man ganz unten in der Nahrungskette steht. Schließlich kommen die Spieler zuerst vor die Kameras der Pay-TV-Sender, anschließend geht die Runde weiter zu den öffentlich-rechtlichen Kameras (die ebenfalls keineswegs frei sind in der Anzahl ihrer Fragen und Gesprächspartner), bevor dann auch noch Sport 1, das Club-TV und die ­öffentlich-rechtlichen Radiosender ihre Statements erhalten. Erst wenn alle bedient wurden, kommen Spieler zu den wartenden Journalisten in die Mixed Zone, natürlich unter besonderer Berücksichtigung des pri­vilegierten Medienpartners der Vereine (ja, so etwas gibt es wirklich). Allzu ernste Fragen braucht man hier immerhin nicht zu befürchten: Dass dort am liebsten die Spieler gefragt werden, die ansatzlos einen drei­minütigen Monolog halten können, in dem sie das sagen, was man via Twitter bereits als zuvor bei Sky gemachte Aussagen nachlesen durfte, spricht für sich.

Die interessantesten Momente nach dem Spiel ergeben sich, wenn die ­Kameras ausgeschaltet sind. Viele Trainer bleiben nach den Presse­konferenzen noch sitzen. Dies ist die einzige ungefilterte Gelegenheit bei der es auch tiefer gehende und vor allem realistischere Einschätzungen geben kann.

Wie wenig solcher Realismus allerdings von vielen Fans gewollt ist, zeigt sich daran, wie schnell Journalisten als »Nestbeschmutzer« gesehen werden, wenn sie kritisch hinterfragen. Egal, ob es um das wenig ­attraktive, wenn auch erfolgreiche Spielsystem geht oder darum, weshalb bei einem geplanten Stadionumbau oder -neubau eigentlich die DFL mit ihren Auflagen zum wiederholten Mal dem Steuerzahler Kosten aufbürden darf, nur damit der Profifußball an manchen Orten noch vermarktbarer wird, als er es bereits ist – die Fans nehmen übel. Den eigene Lieblingsverein zu be­jubeln, ist die eigentliche Aufgabe der Medien, und wer das nicht tut, soll aus dem Stadion verschwinden, so stellt sich die Mehrheit der Anhänger offenkundig die Sache mit der Pressefreiheit vor.
Um an von ihnen geschätzte Informationen zu kommen und nicht mit böser Kritik belästigt zu werden, bedienen sich viele Fans mittler­weile ohnehin der direkt vom Verein selbst gesteuerten Kommunikationskanäle. Kein Club mehr ohne eigenen Twitter-Account, der meist mehr bemüht komisch als wirklich lustig ist. Kein Club mehr ohne ­Facebook- oder  Youtube-Videos, mit exklusiven Zugängen zu den Spielern, die der Presse nicht gewährt werden – von den unzähligen eigenen Aktivitäten der Spieler auf ihren ­unglaublich aufregenden, von Marketingagenturen geführten Accounts ganz zu schweigen.

So war selbst bei einem vollkommen unbedeutenden Hallenturnier Anfang des Jahres in Mannheim ein damals kleiner Bundesligist wie Darmstadt 98 mit drei Mitarbeitern der Presseabteilung an Ort und Stelle, um die Fans über die verschiedenen Kanäle auf dem Laufenden zu halten. Man kann sich ungefähr ausmalen, wie groß erst die Social-Media-Teams bei großen Vereinen anlässlich bedeutender Spiele sind.

Eine bloße Spielerei sind diese Entwicklungen nicht. Die DFL und ihre Vereine entscheiden längst nicht mehr nur über den Zugang zum Objekt der Berichterstattung, sondern drängen immer mehr selbst in die Rolle des Berichterstatters. Eine ­Entwicklung, die noch weniger Journalismus, noch mehr PR, noch ­weniger Nachfragen, noch mehr Vereinsverlautbarungen zur Folge ­haben wird. Weder bei den Journalisten noch bei den Fans scheint bisher angekommen zu sein, welche Auswirkungen das für beide Gruppen haben wird. Oder es ist ihnen egal, solange ihr Lieblingsverein nicht absteigt.
Darmstadt 98 spielte in Kaiserslautern am Freitag voriger Woche übrigens 1:1.