Lob einer Verfluchten
»Denn dass eine Frau es gewagt hat, einer schriftstellerischen Tätigkeit nachzugehen, statt sich mit der traditionellen Rolle der schicksalsergebenen Hausfrau, der frustrierten Gattin, der aufopfernden Mutter oder des willfährigen Sexualobjekts zufriedenzugeben, wird ihr von der bürgerlichen Literaturkritik nur verziehen, wenn sie sich in ihren Büchern darauf beschränkt, ausschließlich Themen zu behandeln, die von den männlichen Kritikern als weibliche Themen betrachtet werden.« Gisela Elsner schrieb diese Zeilen in ihrem Aufsatz »Autorinnen im literarischen Ghetto«. Sie wollte sich nicht fügen. Die Zeichen der Zeit, die selten zu ihren Gunsten standen, ergaben mit dem Niedergang des realsozialistischen Projekts jedoch ein Bild der Katastrophe, aus dem sich die »schmutzige Satirikerin« schließlich keinen anderen Weg als den Freitod vorstellen konnte. Diesem Ende voran ging die Geschichte der sukzessiven Ausgrenzung einer radikalen Künstlerin, bei der, wie so oft, eher Haltung als Handwerk bewertet wurde und die nach Erscheinen ihres Debütromans »Die Riesenzwerge« (1964) als neues Talent der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur galt.
Die Intensität der Anfeindungen verdeutlicht, dass hier eine Frau bestraft wurde, die sich nicht nur einer vermeintlich weiblichen Ästhetik verweigerte, sondern auch scharfe Kritik am Kapitalismus übte.
Elsner wurde 1937 in Nürnberg in großbürgerliche Verhältnisse hineingeboren, studierte Germanistik sowie Theaterwissenschaft und trat 1977 in die DKP ein, für die sie sich auch literarisch engagierte. Elsner und ihr damaliger Ehemann Klaus Roehler galten als verheißungsvolles Jungschriftstellerpaar. Man überhöhte Elsners Erfolg – ihr Romandebüt wurde durchaus kontrovers besprochen – und nannte sie mal »Star«, mal »Ikone«. Auch heute noch ist es kaum denkbar, ihre Werke zu thematisieren, ohne auf ihr Erscheinungsbild zu sprechen zu kommen – und auf ihre Rolle als Frau. Die Selbstinszenierung als »schreibende Kleopatra« mit ihrem Faible für Designerkleider und teure Hotels war jedoch lediglich eine zugespitzte Reaktion auf die Objektivation einer ›jungen, sexy Schriftstellerin‹, die der Rowohlt-Verlag lancierte. Mehrmals nahm Elsner an den Tagungen der Gruppe 47 teil, ab 1971 war sie Mitglied des deutschen PEN-Zentrums. Zunächst schien es, als stehe einer Karriere als Schriftstellerin nichts im Wege.
Anfangs noch stark von Franz Kafka und dem Stil des Nouveau Roman beeinflusst – also gewissermaßen eine Vertreterin der Avantgarde –, entwickelte Elsner mit ihrem dritten Roman »Das Berührungsverbot« (1970) ihre Schreibweise vom Grotesken zum Satirischen und damit zum explizit Politischen weiter. Dass Elfriede Jelinek Jahre später mit ihrem Roman »Lust« (1989), dessen ästhetische Konzeption an Elsners Arbeiten erinnert, durchaus erfolgreich war, unterstreicht den tragischen Ruf der Schriftstellerin als Zufrühgekommene und verdeutlicht, wie zeitlos gewinnbringend eine Lektüre ihrer Texte ist.
Geschult an Marx und Lenin richtete Elsner ihren analytischen Blick auf die Gegenwart des Kapitalismus und erklärte sich solidarisch mit den Abgehängten und Unterdrückten. Eine solche Parteinahme führte schnell zum Vorwurf der Vereinfachung. Die Gefahr, als mittelmäßig stigmatisiert zu werden, nimmt man sich nicht der großen künstlerischen Themen an, ließ damals viele Autorinnen und Autoren vor einer Parteinahme für die Schwachen zurückschrecken. Im Feuilleton hielt man literarische Werke, in denen klare Konfliktlinien gezeichnet wurde, allzu oft für unterkomplex. Dessen war sich auch Elsner bewusst und ließ sich trotzdem nicht beirren. Sie hielt daran fest, dass die Wirklichkeit erkenn- und darstellbar ist, wie sie in ihrem Aufsatz »Über Mittel und Bedingungen schriftstellerischer Arbeit« (1975) ausführt.
Die Charakterisierungen »realistisch« und »satirisch« wurden von der Autorin, die sich ab Mitte der siebziger Jahre in der Nachfolge von Émile Zola, Heinrich Mann und Bertolt Brecht sah, gleichermaßen verwendet. Die Groteske erschien ihr immer unpassender für ihre Arbeit, schrieb sie, der politische Gehalt der Groteske werde in bürgerlichen Kreisen nur zu gern überlesen. Völlig verabschieden vom Verzerrten und Monströsen konnte Elsner sich indes nie.
Ihre Bücher fügten sich nicht in die von Neuer Subjektivität und poststrukturalistischen Theorien bestimmten Diskussionen, sie schienen geradezu aus der Zeit gefallen: Nicht nur, dass Elsners Art zu schreiben mittlerweile unmodern war, die Satire galt schlichtweg nicht als Sache der Frau.
Zum Feminismus hatte Elsner ein ambivalentes Verhältnis. In scharfer Ablehnung der sogenannten Frauenliteratur, wie überhaupt jeglicher künstlerischer Selbstbespiegelung, zog sie es vor, die Widersprüche der Klassengesellschaft zu beschreiben. Von schreibenden Frauen werde erwartet, so Elsner, dass sie nebulös-feinsinnige Zwischentöne von sich geben. Und politische Literatur sei Männersache. Die »Sonderstellung«, in der sich Autorinnen befänden, sei vergleichbar mit jener von »Schizophrenen oder Triebverbrechern«. In Essays wie »Vereinfacher haben es nicht leicht« (1978) setzt sie sich mit dem Sexismus im Literaturbetrieb auseinander. Dort bestehe eine besondere Erwartung an »weibliches« Schreiben, Literatur von Frauen werde anders bewertet als die männlicher Schriftsteller.
Die Situation in Deutschland ist für Elsner nur als Folge der nationalsozialistischen Vergangenheit zu begreifen. »Im Gegensatz zu Frankreich oder England beispielsweise, wo man mit einem faschistischen Frauenbild nicht zurande kommen musste, gestattet man hier einer Frau, wenn sie schon das Schreiben nicht lassen konnte, mit einer unverhohlenen Gönnerhaftigkeit trübe Metaphern über Geburt, Liebe und Tod, ja sogar mal einen surrealistischen Seitensprung. Satiren hingegen galten wie Bordellbesuch ausschließlich als Männersache.«
Die Intensität und Offenheit der Anfeindungen – die Invektive Heinz Ludwig Arnolds nach dem Erscheinen ihres letzten Romans »Fliegeralarm« (1989) in der Zeit etwa (»Nichts als Ruinen«, 25. August 1989) – verdeutlicht, dass hier eine Frau bestraft wurde, die sich nicht nur einer vermeintlich weiblichen Ästhetik verweigerte, sondern auch scharfe Kritik an den Spielregeln des Kapitalismus übte. Elsner wollte die Illusionen, auf denen das Funktionieren der modernen Gesellschaft beruht, durch Inszenierung sicht- und angreifbar machen. Sie wollte die Gegenwart im Detail beschreiben – und der Komplexität begegnen, indem sie weniger die Mechanismen als vielmehr deren Auswirkungen auf Personen in der Literatur darstellte.
Die Figuren im Werk der Autorin sind entsprechend weniger als fiktionale Subjekte zu begreifen, sie verkörpern gesellschaftliche Phänomene. Der posthum erschienene Roman »Heilig Blut« (2007) ist formal ähnlich konzipiert wie »Fliegeralarm« und lässt sich, insbesondere mit Blick auf die nationalsozialistische Sprachpraxis, als Hinweis auf die Gegenwart der Barbarei lesen. Erzählt wird die Geschichte der Altnazis Glaubrecht, Hächler und Lüßl, die zu ihrem jährlichen Jagdausflug in die Wälder Bayerns aufbrechen, dieses Mal jedoch nicht ihren Kameraden Gösch mitnehmen, sondern dessen Sohn. Der Roman entfaltet eine bösartige Abwandlung der Passionsgeschichte, die mit dem Tod des jungen Gösch endet. Elsner entwirft eine Allegorie, in der Glaubrecht, Hächler und Lüßl das Fortbestehen von Rassenwahn geprägten Denkens, preußischen Untertanengeists und Judenhasses verkörpern. Die Veteranen vollziehen ihr Leben: Jahr für Jahr reisen sie in dieselbe Gegend, schlafen in derselben Hütte, essen das Gleiche und kommunizieren auf bizarre, hassdurchtränkte Weise miteinander. Als politisches System mag der Nationalsozialismus besiegt sein, seine ideelle Substanz sowie die objektiven Voraussetzungen, die ihn ermöglicht haben, bestehen weiterhin.
1986 erfolgte die Trennung vom Rowohlt-Verlag, die mit der »Totalverramschung« ihrer Bücher einherging. Elsner stürzte in eine schwere Krise, die nachlässige Redaktion ihrer letzten beiden Bücher »Gefahrensphären« (1987) und »Fliegeralarm« (1989), erschienen im Zsolnay-Verlag, machte es nicht besser. Der Zerfall der DDR und der nationale Taumel angesichts der Vereinigung Ost- und Westdeutschlands erfüllten Elsner mit kaltem Grausen. Ihr mit Hölderlins »Hyperion« verglichener Text »Flüche einer Verfluchten«, eine Art sprach- und ideologiekritisches Programm, richtet sich wie ein letztes Aufbäumen gegen das Deutsche: »Wir werden an dem ohnehin sattsam geschändeten deutschen Sprachschatz so lange Sprachschatzschändung verüben, bis sich der deutsche Sprachschatz in einen Sprachschund verwandelt haben wird. Wir werden uns die Promiskuität der deutschen Substantiva, die selbst mit ihren diametral entgegengesetzten Gegensätzen zu kopulieren pflegen, dergestalt zunutze machen, dass aus den Mesalliancen der deutschen Substantiva verbale Wechselbälger und Missgeburten erwachsen.«
Schreiben ohne politische Stellungnahme war für Elsner nicht denkbar. Hierin – und in einer etwas skurrilen Verklärung der DDR – ähnelte sie ihrem Freund und Kollegen Ronald M. Schernikau, der als ihr Nachlassverwalter vorgesehen war, doch schon vor ihr starb. Elsners Verdienste sind nicht nur eine materialistisch zugespitzte Kritik am essentialistischen Charakter dichotomer Geschlechtszuschreibungen und eine Bloßlegung spezifischer Subjektformen der Nachkriegsära durch deren Überzeichnung. Ihr Werk zeugt von der schöpferischen Kraft, die im Anrennen gegen die Alternativlosigkeit freigesetzt werden kann.