Die österreichische Band Radian hat ihr fünftes Album veröffentlicht

Von der Rückseite der Musik

Die österreichische Band Radian pflegt seit zwei Jahrzehnten einen sehr eigenen Stil. Auf ihr fünftes Album haben sich einige eher gewöhnliche Stücke geschlichen.

Der »Abhub der Erscheinungswelt« – das sei es, womit die Psychoanalyse es zu tun habe, berichtet Sigmund Freud seinen Hörerinnen und Hörern in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Gemeint ist damit das Unscheinbare; Nichtigkeiten und kleine Vorkommnisse, die von anderen Wissenschaften beiseitegelassen werden, da sie als zu unwichtig und nebensächlich erscheinen. Das Kleine, Nichtige steht auch in der Musik der Gruppe Radian im Vordergrund. Hier geht es um Klänge, die sonst eher als Beiprodukte oder unerwünschte Nebengeräusche gesehen, gehört oder eher überhört werden. Oft klingt es, als hätte das Wiener Trio sich aufgemacht, die Rückseite der Musik zu erkunden. Hier werden Rauschen und Knistern an die Oberfläche gekehrt, das leise Rascheln eines Schlagzeugfells oder das Klick-Geräusch, das der Schalter zum Wählen der Tonabnehmer einer Gitarre macht, werden prominent eingesetzt. Die Stücke von Radian klingen weniger wie Rocksongs und mehr wie die mikroskopische Vergrößerung der Details, aus denen diese bestehen.
Die Musik der Band entsteht in einer Mischung aus freier Improvisation und filigranem Arrangement. Aus langen improvisierten Passagen werden mitunter kleinste Details ausgewählt, die dann den Grundstock für einen Song bilden können. »Blue Noise Black Lake« etwa, das Eröffnungsstück des neuen Albums »On Dark Silent Off«, ist um das gesamplete Geräusch der Saxophonklappen von Mats Gustafsson aufgebaut, der mit der Band befreundet ist. Dass Radian extrem ausgetüfteltes Songwriting betreiben, auf ihre eigenwillige Art trotzdem eingängig klingen und ihre Stücke durch das akzentuierte Schlagzeugspiel von Martin Brandlmayr meist ein prägnantes rhythmisches Fundament haben, hat Radian das Etikett »Postrock« eingebracht, das sich seit vielen Jahren hält, obwohl ihre Musik mit der von Größen des Genres wie Tortoise allenfalls entfernt verwandt ist.
Im Laufe ihrer 20jährigen Geschichte hat der charakteristische Klang der Band mehr und mehr an Raum gewonnen. Wie im Eröffnungsstück des jüngsten Albums werden inzwischen häufiger große Hallräume eingesetzt und auch vor dem rockbandmäßigen Crescendo zum Höhepunkt eines Songs schreckt man nicht mehr zurück. Den feingliedrigen, konzentrierten Sound haben Radian dabei nicht verloren, eher ihr Repertoire erweitert. Das Schlagzeug klingt immer noch so intim und detailliert, als würde man sein Ohr zwei Zentimeter über das Snarefell halten. Es wirkt leise gespielt, aber wenn dann Bass, Gitarre und Elektronik dazukommen, gewinnt der Klang an Weite und Wucht und manchmal klingen Radian dann fast wie eine »normale« Rockband.
Mit dem inzwischen fünften Album mag es leichter geworden sein, zu überhören, wie eigen der Stil der Band eigentlich ist. Am deutlichsten wird das ironischerweise gerade dann, wenn Radian ein wenig eher wie eine gewöhnliche Band klingen. »On Dark Silent Off« ist das erste Album der Band mit dem Gitarristen Martin Siewert, der sein Instrument etwas konventioneller einsetzt als Vorgänger Stefan Németh. Im Song »Recreate Loved Objects« spielt Siewert jazzige Melodien über gefällig gebrochene Akkorde einer Akkustikgitarre, während Schlagzeuger Martin Brandlmayr mit einem mehr oder weniger gewöhnlichen Beat begleitet. Der Song erreicht zu keinem Moment die Dichte der anderen Stücke und klingt, als hätten die Musiker irgendwie nicht zueinandergefunden. In solchen Passagen, in denen Radian melodischere Gefilde betreten, werden die Stücke etwas profan, und der ansonsten so eigensinnige Klang der Band kehrt plötzlich in Bereiche zurück, die sie längst hinter sich gelassen hatte. In den besseren Momenten erschließt das neue Album der Band aber eine klangliche Kraft und Offenheit, die Radian vorher nicht hatten.

Radian: On Dark Silent Off (Thrill Jockey/Rough Trade)