29.10.2015
»Blaue Dahlie, schwarzes Gold« von Daniel Metcalfe

Abseits der Strandpromenade

Der britische Journalist Daniel Metcalfe hat ein vielschichtiges Buch über die aufstrebende Regionalmacht Angola geschrieben.

Die Entwicklung des südwestafrikanischen Landes Angola ist ein beeindruckendes Beispiel für die Wege, aber auch Irrwege des Postkolonialismus: Vor 40 Jahren rief das Land nach einem langen und blutigen Krieg gegen die portugiesische Kolonialherrschaft seine Unabhängigkeit aus. In den Jahren zwischen 2010 und 2014 haben sich die angolanischen Investitionen im ehemaligen Kolonialland von 645 Millionen Euro auf 1,53 Mil­liarden Euro mehr als verdoppelt. Dieser »umgekehrte Kolonialismus«, wie diese Entwicklung bereits genannt wird, ist zum einen Resultat der Wirtschaftskrise in Portugal, aber vor allem durch die immensen Rohstoffvorkommen in Angola begründet, die das Land zum zweitgrößten Erdölproduzenten Afrikas gemacht haben. Öl- und Gasexporte haben dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren das Bruttoinlandsprodukt Jahr für Jahr um rund 20 Prozent gewachsen ist. Dies hat auch dazu geführt, dass die angolanische Hauptstadt Luanda eine der teuersten Metropolen weltweit geworden ist. Die Monats­miete für ein Zwei-Zimmer-Apartment in der Innenstadt beträgt durchschnittlich rund 6 000 Euro. Mehr als 90 Prozent der angolanischen Wirtschaftskraft basieren auf dem Öl­sektor, das Land ist voll und ganz vom Ölpreis abhängig.
Die Mehrheit der Angolaner profitiert nicht vom Ölreichtum. Die Gewinne fließen in die Taschen der Eliten des Landes. Alleine das Vermögen des angolanischen Präsidenten José Eduardo dos Santos wird auf rund 14 Milliarden Euro geschätzt, das seiner ältesten Tochter Isabel dos Santos auf knapp 2,7 Milliarden Euro. Es ist somit wenig überraschend, dass Angola als eines der korruptesten Länder der Welt gilt und auf dem entsprechenden Index von Transparency International Platz 161 von 174 einnimmt.
Der Reichtum der Wenigen steht im krassen Kontrast zur Lage der Mehrheit der Angolaner: Nach Angaben der Weltbank leben über 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von weniger als 1,25 Dollar am Tag. An ihnen ist der Erdölboom fast vollständig vorbeigegangen, was auch daran liegt, dass laut offiziellen Schätzungen nur rund 0,5 Prozent der Beschäftigten in der Ölbranche tätig sind.
Neben den sozialen Gegensätzen ist es seit vier Jahrzehnten vor allem die politische Unfreiheit, die Angola prägt. Die einzige politische Kraft des Landes, die Befreiungsbewegung MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola), der dos Santos vorsitzt, hatte ursprünglich einen Sozialismus nach kubanischen Modell zum Ziel. Doch bereits in den achtziger Jahren hatte sie sich wirtschaftlich dem kapitalistischen Modell verschrieben und mit multinationalen Ener­gie­kon­zernen Geschäfte gemacht. Politisch setzt die Regierungspartei jedoch weiterhin auf Fidel Castros Vorbild.
So wurden bereits kurz nach der Unabhängigkeit jegliche oppositionelle Bestrebungen gewaltsam unterdrückt. Ein Umsturzversuch im Jahr 1977 durch Nito Alves, der für eine enge Anbindung an die Sowjetunion plädierte, führte zu Schauprozessen und zur Hinrichtung von mehreren Zehntausend Angolanern durch das Regime. Zwei Jahre später übernahm José Eduardo dos Santos das Präsidentenamt, das er seitdem innehat. Mit 36 Jahren Amtszeit ist er einer der am längsten regierenden Staatschefs weltweit. Dos Santos konnte sich auch während des langjährigen Bürgerkriegs gegen die beiden oppositionellen Gruppierungen UNITA (União Nacional para a Independência Total de Angola) und FNLA (Frente Nacional de Libertação de Angola) behaupten. Das gelang ihm jedoch nur durch eine andauernde Einschränkung von Bürger- und Menschenrechten. In den vergangenen vier Jahrzehnten wurde Angola von der Organisation Freedom House lediglich im Jahr 1991 als »frei«, ansonsten als »teilweise frei« eingestuft. Um seine Herrschaft zu sichern, setzt dos Santos auf Repression. Willkürliche Verhaftungen und Hauszerstörungen, harte Gefängnisstrafen und Einschränkungen der Presse- und Versammlungsfreiheit sind die Regel. Aber auch vor tödlicher Gewalt schrecken er und seine Anhänger nicht zurück. Vor den Wahlen 2012 wurden die beiden Oppositionellen Alves Kamulingue und Isaías Cassule entführt, gefoltert und ermordet, mutmaßlich von Ordnungskräften des Regimes. Im folgenden Jahr bezahlte Manuel Ganga seine Kritik ebenfalls mit dem Leben. Er wurde von einem Mitglied der Präsidentengarde erschossen.
Das wirkt nicht gerade einladend auf Touristen. Trotzdem oder gerade deshalb hat sich der britische Journalist Daniel Metcalfe aufgemacht, um Angola zu bereisen. Sein spannendes, gut recherchiertes Buch liegt jetzt auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel »Blaue Dahlie, schwarzes Gold« vor und wird in der Kategorie Reiseliteratur geführt. Allerdings ist das Buch alles andere als ein klassisches Reisebuch. Metcalfe eifert darin seinem Vorbild, dem polnischen Journalisten Ryszard Kapuściński, nach, der in seinem Buch »Wieder ein Tag Leben« über seine Erfahrungen als Auslandskorrespondent während des angolanischen Bürgerkriegs berichtet hatte.
Metcalfe begnügt sich nicht mit der Wiedergabe von Gesprächen und Eindrücken, die er in Angola gesammelt hat, sondern ergänzt seine Erfahrungen stets kenntnisreich um historische und politische Fakten. Dadurch erhält auch ein umfassendes Bild von Land und Leuten, wer ohne Vorwissen an die Lektüre geht. Wer sich Anekdoten und Hinweise zu den schönsten Badeorten, Cafés, Wanderwegen oder Safari-Trips erhofft, wird enttäuscht, denn Angola ist ein »antitouristisches Reiseziel«, wie der Journalist schreibt. »In Luanda gibt es nichts zu besichtigen, außer vielleicht ein oder zwei marode Museen, die ständig geschlossen sind«, stellt er eingangs fest.
Lieber versucht sich der Autor dem gegenwärtigen Angola zu nähern. Er interessiert sich für die sozialen Verwerfungen, er trifft die Pro­fiteure des Erdölbooms, aber auch die Verlierer, an denen der wirtschaftliche Aufstieg Angolas vorbeigegangen ist. Auch geographisch wandelt Metcalfe abseits der herausgeputzten Strandpromenaden der Hauptstadt Luanda: Vorbei an Straßensperren, die von korrupten Polizisten besetzt sind, begibt er sich auf maroden Straßen in das nordöstliche Saurimo, um dort den König des Chokwe-Volkes zu treffen. Ein anderes Mal fährt er in den Norden, wo die Separatistenbewegung FLEC (Frente para a Libertação do Enclave de Cabinda) kämpft und er erfolglos versucht, eine der hermetisch abgeriegelten Erdölförderanlagen zu besuchen.
Faszinierend sind vor allem Metcalfes Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen: Da ist Nelson, der bei dem staatlichen Erdölproduzenten Sonangol angestellt ist. Oder die Menschenrechtler Sónia und Wilker, die Protagonisten der winzigen Thrash- und Death-Metal-Szene Angolas aktiv sind. Er isst im kleinen Restaurant der portugiesischstämmigen Casilda, die 1972 nach Angola kam, als ihre Landsleute gerade von dort flohen, und spricht mit dem Rapper MCK, der 2012 mit seinem Song »O país do pai Banana« (Die Bananenrepublik) zum Sprachrohr der kritischen Jugend wurde. Er trifft den Veteran Maga, der nur mit Bier seine Erlebnisse aus dem Bürgerkrieg ertragen kann. Er unterhält sich mit den beiden Kubanern García und Salvador, die von der Zeit der engen bilateralen Kooperation der beiden Länder sprechen. Ein anderes Mal übernachtet er in der Hütte von Patrício, der in einem der musseque genannten Slums wohnt.
So entwirft Metcalfe ein facettenreiches Porträt einer Gesellschaft, die an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte angekommen ist. Mittlerweile gibt es eine Generation, die den Krieg nur noch aus Erzählungen kennt und die Chancengleichheit, Selbstverwirklichung und Freiheit einfordert. All das erzählt Metcalfe in einem lockeren Ton und aus der subjektiven Perspektive.
Das Bild, das Metcalfe von Angola zeichnet, ist vielschichtig und aufschlussreich. Es lädt vielleicht nicht dazu ein, gleich den nächsten Flug nach Luanda zu buchen, aber es verzichtet auf Überheblichkeit angesichts der Herausforderungen, vor denen Angola steht. Vielmehr gelingt es Metcalfe, das Land abseits von Krisen, Krieg und Armut literarisch einzufangen, ohne die vorhandenen Probleme zu verschleiern.
Damit liegt für deutsche Leser endlich ein Buch vor, das einen guten Einblick in die heutige angolanische Gesellschaft gibt. Der ist auch bitter nötig ist, da das Land trotz seiner Größe – es ist dreieinhalbmal so groß wie Deutschland – und seiner Bedeutung für den internationalen Rohstoffmarkt hierzulande kaum wahrgenommen wird. Vielleicht ist es gerade diese Ignoranz, die es dos Santos und seiner Clique erlauben, Angola auch im 41. Jahr seiner Unabhängigkeit despotisch zu regieren und auszuplündern. Es wäre wünschenswert, wenn das Buch zumindest an der Wahrnehmung etwas ändert.

Daniel Metcalfe: Blaue Dahlie, schwarzes Gold.
Aus dem Englischen übersetzt von Werner Löscher-­Lawrence. DuMont, Köln 2015, 408 Seiten, 14,99 Euro