Batman wird 75

Milliardär sucht Frieden

Seit 75 Jahren scheitert Batman daran, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.

Die Serie »Detective Comics« gibt es gerade seit zwei Jahren, als ein Verbrechensbekämpfer im Fledermauskostüm die Bühne betritt, der die Welt der Comics für immer verändern wird. Seit seinem ersten Auftritt im Jahr 1939 ist Batman zu einer der bekanntesten Figuren des popkulturellen Kanons geworden, unzählige seiner Repräsentationen finden sich in den verschiedensten Formaten. Neben den Comics gibt es zehn Kinofilme, mehrere Zeichentrickserien, Romane, Computerspiele und eine mittlerweile Kultstatus genießende Fernsehserie aus den sechziger Jahren, in der man dem Schauspieler Adam West dabei zusehen kann, wie er kontinuierlich versucht, den Bauch einzuziehen.
Aber Batman existiert auch außerhalb der Geschichten, die über ihn erzählt werden. Er ist zu einer allseits bekannten Ikone geworden, einem Logo, vielfältig einsetz- und vermarktbar. Die meisten T-Shirts mit der schwarzen Fledermaus vor gelbem Hintergrund werden wahrscheinlich von Leuten getragen, die niemals einen Batman-Comic in der Hand hatten.
Den »dunklen Ritter«, so häufig er neu interpretiert und umgedeutet wurde, umgeben zahlreiche Geschichten, die sich mit der Figur auseinandersetzen. Seit 75 Jahren fungiert er als Projektionsfläche für immer neue Vorstellungen und popkultureller Spiegel der Zeit. Mal ist Batman ein Bürgerpflichten erfüllender freier Mitarbeiter der Polizei, mal umjubelter Held, fröhliche Witzfigur, gebrochener, gejagter, vor allem einsamer Antiheld und mal ein gewalttätiger Rächer, der sich kaum von seinen verbrecherischen Gegenspielern unterscheidet. Zwischen Adam Wests oberlehrerhaftem, bis zur Absurdität ironischem und knallbuntem Pop-Art-Batman und den albtraumhaften Bildern der Graphic Novel »Arkham Asylum« von Grant Morrison, in der Batman seine inneren Abgründe erkundet, liegen Welten. Den Batman gibt es nicht und wahrscheinlich ist genau das der Grund für seinen Erfolg: Ob Outlaw oder Hilfssheriff, überheblicher Schlaumeier oder soziophober Psychopath – für jeden Bedarf an Heldenfiguren ist das Passende dabei.
Die wohl tiefgründigste Auseinandersetzung mit Batman als einem komplexen Charakter findet in seinem Ursprungsmedium, dem Comic, statt. Hier wird nicht seit einem Dreivierteljahrhundert mehr oder weniger die gleiche oberflächliche Geschichte einfach wieder und wieder erzählt, es geht vielmehr um die Erkundung der inneren Antriebe und Grenzen und vor allem des Ursprungs von Batman. Es war Frank Miller, der mit »The Dark Knight Returns« 1986 den bis heute fortdauernden Prozess ernsthaften Neu- und Wiedererzählens der Geschichte von Batman als vielschichtige und gebrochene Figur anstieß. Der psychologisierte Batman, den viele Graphic Novels der vergangenen 30 Jahre als ambivalenten Charakter dargestellt haben, ist das Gegenstück zu strahlenden Helden wie etwa Superman. Dieser Batman ist in den dunklen, schmutzigen Gassen zu Hause und gefällt sich am besten in einsamer Zurückgezogenheit  – eine Interpretation, die in den jüngeren Comics dominiert. Christopher Nolan greift in seiner Filmtrilogie »Batman Begins«, »The Dark Knight« und »The Dark Knight Rises« Elemente dieser Figurenzeichnung auf, auch wenn Batman bei ihm eher zu einer Art Freelance-James-Bond mit labiler Psyche gerät.
Was gar nicht abwegig ist, denn Batman ist James Bond näher als vielen Superhelden des Comic. Bruce Wayne besitzt keine übernatürlichen Fähigkeiten, ist kein Außerirdischer, stammt nicht von Göttern ab und ist nicht bei einem schiefgegangenen Experiment mutiert. Er ist lediglich ein sehr reicher Mann, der sich seine Superkräfte kaufen kann. Die Vorstellung, jeder könne ein Held sein, wird hier als Ideologie entlarvt: Man muss es sich schon leisten können.
Aber was für ein Held ist dieser Batman? Es wäre zu einfach, in ihm den Vertreter der bürgerlichen Klasse zu sehen, der die Rationalität und das Tauschprinzip gegen die Verrückten und Diebe verteidigt. Bruce Wayne lässt sich nicht auf seine Rolle als Konzernbesitzer reduzieren, er ist ein Mensch mit Ängsten, der Schreckliches erleben musste und aus dieser Erfahrung heraus versucht, das Leid anderer zu verhindern. Batman zu werden, war weniger eine freie Entscheidung als das Ergebnis eines traumatischen Erlebnisses: Wayne musste mit ansehen, wie seine Eltern bei einem Raubüberfall ermordet wurden. Durch die Bekämpfung von Verbrechern will er den Mord an den Eltern rächen und das Gefühl der Ohnmacht überwinden. Bruce Wayne überwindet die Angst und wird doch nicht glücklich: Er ist ein Getriebener, Rastloser, der eine Rolle spielt, um sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen. Aufopferungsvoll widmet er sich der nicht zu bewältigenden Aufgabe, alle anderen vor dem Leid, das er erfahren musste, zu bewahren.
Aus dem Luxusleben des Milliardärs, das Wayne nur als lästige Rolle, die er spielen muss, zu empfinden scheint, begibt er sich in die von Gewalt geprägte Welt der Straßen von Gotham City. Er steht dabei nicht über dem Schmutzigen und Abgründigen – Wahn und Gewalt sind Teil von ihm, haben ihn geschaffen und halten ihn am Leben. Umgekehrt ist Batman selbst nicht selten ein Anlass dafür, dass Gewalttaten überhaupt erst geschehen: Viele der Verbrechen, mit denen er konfrontiert wird, scheinen unter großem Aufwand eigens inszeniert zu werden, um ihn zu überlisten und zu demütigen.
Sonderlich sympathisch ist Batman trotz aller Versuche der Filme und Comics, Verständnis für ihn zu wecken, nicht. Seine Selbstzweifel werden mit maßloser Selbstüberschätzung und Überheblichkeit kompensiert und sein Butler Alfred – seine engste Vertrauensperson, der gegenüber er sich wie ein trotziges Kind verhält – muss ihn regelmäßig auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Und auch Batman glaubt, wie so viele andere Heldenfiguren, zu wissen, wer es als Böser verdient hat, bestraft zu werden. Sein Mittel ist die Selbstjustiz, an die Stelle von institutionalisiertem Rechtsweg tritt die unmittelbare Bestrafung.
Das Verhältnis der Polizei zu Batman ist ambivalent. Da er nicht im gesetzlichen Rahmen agiert, muss die Polizei ihn verfolgen, sie ist aber auch auf ihn angewiesen. Batman springt schließlich immer dann ein, wenn die Polizei versagt, und fungiert als Hoffnungsträger in Krisen, denen die Institutionen nicht gewachsen sind. Um Batman zu Hilfe zu rufen, wird ein Strahler auf dem Dach des Polizeipräsidiums verwendet, der das Batman-Logo an die Wolken der finsteren Nacht über Gotham City projiziert. Die Überschreitung der polizeilichen Befugnisse ist somit institutionalisiert. Am Ende heiligt der Zweck dann meistens die Mittel und Batman hat zwar nicht unbedingt das Richtige, aber doch das scheinbar Notwendige getan. Strukturell erfüllt er damit eine ähnliche Funktion wie eine schießwütige Bürgerwehr. Man kann also von Glück reden, dass er nur selten regressiven Rachegelüsten folgt und von impulsiver Bestrafung meistens absieht. Denn eigentlich geht es ihm vor allem darum, Verbrechen gar nicht erst geschehen zu lassen.
Batmans Traum ist eine Welt ohne Verbrechen, ohne Leid und voller behüteter Kinder in intakten Familien. Doch weder Bruce Waynes große Wohltätigkeitsveranstaltungen noch Batmans sisyphushafte Verbrecherjagd können diese Welt schaffen. Batman tut nichts anderes, als wieder und wieder das Schlimmste zu verhindern, ohne jemals an dessen Ursachen zu rühren. Im Bewusstsein der Notwendigkeit seines Scheiterns durchlebt er Zynismus, Trotz, Verzweiflung und Wahnsinn.
In der Wiederholung der immergleichen Geschichte des scheiternden Helden kommt die Unmöglichkeit zum Ausdruck, in dieser Gesellschaft ein guter Mensch zu sein. Batman spiegelt die Ohnmacht derjenigen, die sich für bessere Verhältnisse einsetzen. Eine Figur, die diese Ohnmacht immer wieder erfährt und sich dennoch weigert, aufzugeben und die Welt als gewalttätigen Ort hinzunehmen, ist vielleicht nicht die schlechteste Version eines Superhelden, die die Massenkultur hervorgebracht hat.