Alice Creischer im Gespräch über politische Kunst

»Die Ausstellung gerät zur Freakshow«

Die Kuratorin und Konzeptkünstlerin Alice Creischer über Menschenrechtsplacebos, die Behauptung des Politischen in der Kunst und den Event-Charakter der Biennalen.

Es sieht so aus, als habe politische Kunst wieder an Bedeutung gewonnen. Man muss sich nur die internationalen Kunstausstellungen der vergangenen Jahre anschauen: Auf der 12. und der 13. Documenta dominierten po­litische und gesellschaftliche Themen. Die Manifesta, die europäische Biennale, die vergangenes Jahr in Belgien stattfand, widmete sich den sozialen und ökologischen Folgen des Kohleabbaus. Die Berlin-Biennale 2012 stellte ein ganzes »Occupy«-Camp aus. Nun kritisieren Sie aber den Verlust politischer Inhalte in der Kunst. Wie passt das zusammen?
Gerade bei den großen Kunstveranstaltungen habe ich den Eindruck, dass die politischen Inhalte zugunsten des Events zurücktreten. Man trifft heute bei diesen Veranstaltungen auf eine Situation, in der das Politische zwar behauptet, aber weder inhaltlich noch künstlerisch intensiver verhandelt wird. Die Berlin-Biennale ist dafür ein gutes Beispiel. Dort wurde solch ein Politikbegriff stark gemacht und dann wieder entleert. Wenn man die »Occupy«-Bewegung in den Kunstwerken in Berlin ausstellt, gerät die Ausstellung zur Freakshow. Wirklich schlimm war dort der open call, zu dem Künstler eingeladen waren, sich mit ihrer Mappe für die Biennale zu bewerben und einen Fragebogen auszufüllen, in dem sie zu ihren sexuellen und politischen Neigungen befragt wurden. Es gab einen Raum, in dem die vielen Mappen fast boltanskihaft in Regalen gelagert wurden und sich zu einer Kartographie der politschen und sexuellen Verfasstheit der Bewerber fügten. Das ist Zynismus und sagt vielleicht viel über die Logik des Begehrens und der Herrschaft im Kunstbereich aus. So ähnlich verhält es sich mit der Ignoranz der Feuilletonkunst, in der das politische Engagagement der Künstler wie auch die politischen Kontexte kaum behandelt werden. Dass Picasso in der kommunistischen Partei organisiert war, spielt nie eine Rolle. Man spricht lediglich über seine Bedeutung für den Kubismus.
Beschränkt sich diese Entpolitisierung auf den Bereich der Kunst oder gibt es ähnliche Entwicklungen in anderen Bereichen?
Die Absorbtion kritischer, zunächst außerakademischer Bewegungen an den Universitäten ist ein weiteres Beispiel. Leute engagieren sich für Flüchtlinge – und dann gibt es Migration Studies. Oder Leute beschäftigen sich mit Geschlechterpolitik, und es eröffnen die Studiengänge Gender und Queer Studies an den Unis. Dass der akademische Diskurs politisch neutralisieren kann, ist ja nicht unbekannt. Vielleicht müsste diese Kritik noch einmal anders diskutiert werden im Zeitalter der extremen Reglementierung des Studiums durch den Bologna-Prozess. Andererseits werden vielleicht an den Unis politische Diskurse aufgehoben, und zwar im doppelten Sinne: bewahrt und neutra­lisiert. In unserer eigenen künstlerischen Praxis (Alice Creischers und Andreas Siekmanns; Anm. d. Red.), die ja oft konkrete politische Inhalte hat – zuletzt ging es bei uns um die Monopolisierung von Saatgut –, bemerken wir oft, wie diese Inhalte im Ausstellungsraum verschwinden. Das ist vielleicht ein sehr altes Problem, das viel mit dem Begreifen und der Verweigerung von politischer Realität zu tun hat. Das ist ja kein voluntaristischer Schau-mal-hin-Prozess oder polititische Didaktik, sondern hat viel mit Bewusstwerdung, mit Schrecken und Abwehr zu tun.
In diesem Semester haben Sie und Andreas Siekmann gemeinsam eine Professur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee inne. Welche Erfahrungen machen Sie dort?
Wir haben weder Erfahrung im Lehren noch Routine darin. Zunächst haben wir ein Seminar für »Militante Untersuchungen« als Gegenmittel zu »Artistic Research« angeboten. Militante Untersuchung verstehen wir als einen parteiischen, antiobjektivierenden und meist kollektiven Vorgang. Artistic Research hat die institu­tionskritischen Bewegungen der neunziger Jahre längst absorbiert. Es gibt inzwischen viele Gelder und Studiengänge dafür. Eine gemeinsame Forschung war in den neunziger Jahren auch wichtig, um einen anderen Sinn und eine andere Geschichte in der künstlerischen Praxis zu entdecken als das Mackertum, das in den kunstmarktfixierten achtziger Jahren angeboten wurde.
Auf der Istanbul-Biennale waren Sie und Siekmann mit einer Videoarbeit vertreten, in der Sie gemeinsam mit Ihren Kindern Felix und Nelly mit Raubtiermasken auftreten. Das Video wurde in Spitzbergen, Benin und Istanbul aufgenommen. Es geht um Saatgutmonopolisierung, Landraub und innerstäd­tische Vertreibung. Hatten Sie den Eindruck, dass Ihre Arbeit im Kontext der Istanbul-Biennale funktioniert?
Man kann eine solche Frage gar nicht so klar beantworten. Oft kommt es auf die politische Sensibilität der Kuratorin oder des Kurators an. In Istanbul stand die Kritik an der Gentrifizierung bereits während der Vorbereitung der Biennale auf der Agenda. Die Proteste radikalisierten die Kritik. Unter repressiven Bedingungen, wie sie in Istanbul herrschen, ist es für Kuratoren wie für Künstler sehr schwierig zu sagen: »Ich mach jetzt eine politisch radikale Ausstellung oder eine Arbeit, die die Gezi-Park-Proteste thematisiert.« Das ist nicht möglich. Es gab in Istanbul keine offizielle Eröffnung, auf der dann vielleicht Erdoğans Gattin aufgetreten wäre. Es war ursprünglich geplant, den öffentlichen Raum viel stärker in Anspruch zu nehmen. Das war aber nicht mehr möglich, weil die Stadtverwaltung keine Verträge mehr mit der Leitung der Biennale schloss. Das wurde nicht skandalisiert, wohl auch aus der Angst heraus, dass dann gar keine Biennale mehr stattfinden würde. Das Ergebnis war eine sehr konventionelle Ausstellung. Es ist allerdings unter diesen Umständen sehr schwierig für uns, darüber zu urteilen. Der Begriff der »repressiven Toleranz«, wie wir ihn hier kennen, trifft auf solch totalitäre Gesellschaften nicht zu. Wir erleben ja, was in Russland, der Türkei, aber auch in Ungarn geschieht.
Legitimiert die Kunst, die in diesen Ländern ausgestellt wird, das politische System?
Genau das tut sie. Oft werden Biennalen und Museen in repressiven Systemen installiert, die moderne Kunst als Menschenrechtsplacebo miteinkaufen. Unsere Videoarbeit »Performance der Tiere« folgte den verschiedenen Ausstellungen, zu denen wir in diesem Jahre eingeladen waren – Bergen Assembly, Biennale in Benin und Istanbul. An all diesen Orten unternehmen die Tiere eine andere Inbesitznahme von Commons wie Saatgut, Land, Häusern in der Stadt.
Natürlich hat das unser eigenes Unbehagen wiedergegeben, eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu sein, also Teilnehmer von Biennalen, die oft zu Maskierungen der Monstrosität internationaler Geschäfte werden. Obwohl zumindest Bergen und Benin engagierte Projekte waren.

Alice Creischer / Andreas Siekmann: Zur Aktualisierung des Atlasses von Arntz und Neurath. Ausstellung in der Galerie K', Bremen. Bis 13. Dezember.