Die rechtliche Situation homosexueller Paaren in Kroatien

»Wir sind Familie«

Die kroatische Regierung will mit einem umfassenden Gesetz die rechtliche Situation von lesbischen und schwulen Paaren regeln. Die Kampagne »Im Namen der Familie« kämpft dagegen an. Bald soll es ein Referendum darüber geben.

»Ich muss lügen und in der Klinik sagen, ich sei alleinstehend und heterosexuell.« Zeljka* (33) senkt ihren Blick und ihre Freundin Sanda* (42) drückt ihr aufmunternd die Hand. Seit über zehn Jahren sind die beiden ein Paar. Nun wünschen sie sich nichts sehnlicher als ein Kind. Als lesbisches Paar in Kroatien ein fast unmögliches Unterfangen. »Unsere rechtliche Situation als lesbisches Paar in Kroatien ist grauenvoll; wir haben kaum Rechte, schon gar nicht auf eigene Kinder.« Sie haben die unterschiedlichen Möglichkeiten durchgespielt: Eine Adoption ist wegen der großen Nachfrage und des geringen Angebots unmöglich. Mit der Spermaspende von einem schwulen Freund klappte es nicht. Nun fährt Zeljka jeden Monat zur künstlichen Befruchtung in eine Klinik in ein Nachbarland, das nicht genannt werden soll, damit das Paar unerkannt bleibt.
Die Situation für Lesben, Schwule und Transgender-Personen im neuen EU-Mitgliedsland ist schwierig. Bei einer Umfrage der EU-Grundrechts­agentur von 2012 gaben 60 Prozent der Befragten LGBT-Personen in Kroatien an, wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert worden zu sein, das zweithöchste Ergebnis nach Litauen. Um Gefahren zu entgehen, vermeiden es Zeljka und Sanda, offen lesbisch zu leben. »Sich zu verstecken, ist schwierig und erfordert ein ständiges Management. Ich muss abwägen, wem ich von uns erzähle und wem besser nicht.« Zugleich möchte Zeljka gerne ehrlich und offen über ihr Leben und ihre Partnerin reden können. Vor kurzem haben sie sich gemeinsam eine Wohnung gekauft. Besonders die neuen Nachbarn zeigen sich interessiert an der Art der Beziehung zwischen den beiden Frauen. Sanda lacht: »Dann sage ich, wir sind Familie.«
Zwar gibt es in Kroatien seit 2003 ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, es wird jedoch kaum angewandt und regelt lediglich die Aufteilung von Gemeinschaftsbesitz sowie Unterhaltszahlungen nach einer Trennung. »Es ist ein Gesetz für den Fall der Trennung,« moniert Marko Jurčić, Mitbegründer der Bewegung Zagreb Pride, die seit 2008 den Pride March in Zagreb für mehr Rechte für LGBT-Personen organisiert. »Am Anfang wurden wir noch angespuckt«, erinnert sich Jurčić. Von einer relativ kleinen Gruppe von etwa 350 Menschen ist der Pride March mittlerweile auf 15 000 Teilnehmer angewachsen. »Das zeigt deutlich, dass eine gesellschaftliche Veränderung stattfindet«, ist er überzeugt. »Doch Homophobie kann man nicht einfach mit einem Gesetz stoppen. Es braucht kontinuierliche Bewusstseinsarbeit.«

Seit dem letzten Gesetz ist zehn Jahre lang nichts geschehen, nun sollen gleichgeschlechtliche Paare mehr Rechte erhalten. Dafür engagiert sich die von den Sozialdemokraten geführte Mitte-links-Allianz Kukuriku, die seit 2011 regiert und die von Korruptionsskandalen erschütterte konservative Kroatische Demokratische Union (HDZ) abgelöst hat. Der Gesetzesvorschlag zur registrierten Lebenspartnerschaft soll, bevor er ins Parlament zur Abstimmung kommt, demnächst für 30 Tage öffentlich zur Diskussion gestellt werden. In 80 Artikeln sollen alle wichtigen Bereiche für registrierte Lebenspartnerschaften geregelt werden. Ende vorigen Jahres hat der Minister für öffent­liche Verwaltung, Arsen Bauk, bereits eine Arbeitsgruppe beauftragt, den Gesetzesvorschlag auszuarbeiten. Damit wurde ein Bereich, für den eigentlich das Familienministerium zuständig ist, erstmals ausgegliedert. Grund dafür ist, dass die Familienministerin das Vorhaben nicht unterstützt hätte. Marko Jurčić ist Mitglied der Arbeitsgruppe und glaubt: »Es wird ein Riesenschritt für mehr Rechte für die LGBT-Community.« Endlich wird es möglich sein, als Lesbe oder Schwuler die eigene Partnerschaft zu registrieren. Von Erbrecht über Freistellung von der Arbeit, wenn die Partnerin oder der Partner krank ist, bis hin zu Pensionsrechten soll darin alles abgedeckt werden. Der Gesetzesentwurf soll noch vor Jahresende verabschiedet werden.
Zeljka und Sanda verfolgen genau, was darüber an die Öffentlichkeit dringt. Sie freuen sich über die Fortschritte, hoffen aber auch, dass das Gesetz ihnen das Recht auf ein gemeinsames Kind geben wird. Daran glauben beide allerdings nicht, Sanda: »Ich frage mich, wie viel Zeit wohl vergehen wird, bis wir endlich dieselben Rechte bekommen wie verheiratete Heteropaare mit Kindern.«
Obwohl sich die Europäische Union in den vergangenen 20 Jahren immer stärker für die Förderung der Menschenrechte eingesetzt hat, gibt es insbesondere bei den Rechten für lesbische und schwule Paare immer noch große Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern. Denn das Familienrecht ist Angelegenheit der einzelnen Staaten und es gibt keine EU-Verfügung, die eine gegenseitige Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften regelt. Allerdings fordern zahlreiche EU-Dokumente die Achtung der Menschenrechte und das Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Derzeit sind eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und Ehen in insgesamt 16, Zweitadop­tionen nur in zehn der 28 EU-Staaten möglich.
Visnja Ljubičić, Ombudsfrau für die Gleichberechtigung der Geschlechter, ist eine der Initiatorinnen des neuen Gesetzentwurfs: »Gemeinsam mit NGOs habe ich den politischen Willen dafür gespürt und es der Regierung vorgeschlagen«, berichtet sie. Ihr Amt wurde mit dem Antidiskriminierungsgesetz von 2008 geschaffen; das war eine der Bedingungen zur Aufnahme in die EU. »Wir sind eine sehr junge Demokratie und müssen noch einiges über Menschenrechte lernen.« Die Ombudsfrau verweist auf rechtliche Fortschritte insbesondere im Bezug auf die Bestrafung von Hassverbrechen. Was aber ist mit der Bevölkerung? Können Gesetze zum Abbau der gesellschaftlichen Vorurteile beitragen?
Aus Sicht von Ljubičić könne eine wirksame Umsetzung der Gesetze wesentlich dazu beitragen, die Menschen zu erziehen. Es brauche dafür auch die Unterstützung der Medien, sowie Fortbildungsprogramme für die zuständigen Behörden – besonders in Bezug auf die Belange von LGBT-Personen.
»Das Wichtigste ist und bleibt allerdings die Bildungs- und Aufklärungsarbeit – besonders für junge Menschen«, sagt sie. Branko Smerdel, Professor an der Rechtsfakultät in Zagreb, gibt sich hingegen kritisch: »Meinen normativen Optimismus, also meine Überzeugung, dass sich vieles mit einer guten Gesetzgebung quasi von selbst ergibt, musste ich im Laufe der Zeit ablegen.« Er warnt: »Wenn die Gesetze zu weit gehen und die Menschen nicht mitnehmen können, bleiben sie bloßes Papier.«

Dass der Kampf für gleiche Rechte noch lange dauern wird, macht die Initiative »Im Namen der Familie« deutlich. Sie offenbarte die tiefsitzenden Vorurteile gegen Homosexuelle in der Gesellschaft. Die Initiative schaffte es im Mai, innerhalb von zwei Wochen 750 000 Unterschriften für ein Referendum zu sammeln, etwa jeder sechste Mensch in Kroatien hat unterschrieben. Ziel der Initiative ist, die Definition von Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in die Verfassung aufzunehmen. Solche Bestrebungen gibt es auch in anderen osteuropäischen Ländern. So wurde diese Definition bereits in Estland, Litauen und Ungarn in die Verfassung aufgenommen. In Rumänien und Mazedonien gibt es ähnliche Vorschläge. »Während der Verhandlungen zur EU-Mitgliedschaft konnten wir LGBT-Rechte als Bedingung einfordern, nun sind wir in der EU und können damit keinen Druck mehr ausüben«, bedauert Marko Jurčić. Dass die Gegner immer radikaler werden, äußert sich seiner Ansicht nach auch in dem Referendum.
Ende Oktober hat das Parlament festgelegt, dass das Referendum am 1. Dezember abgehalten werden soll. Der parlamentarische Ausschuss hat jedoch beschlossen, das Ergebnis nicht automatisch zu übernehmen, sondern erneut darüber abzustimmen. »Dies verstößt gegen Artikel 87 unserer Verfassung«, kritisiert der Verfassungsrechtler Smerdel und droht an, öffentlich zu intervenieren. »Wenn die Regierung die Verfassung nicht mehr achtet, stecken wir klar in einer Verfassungskrise«, klagt er. Dem stimmt der konservative Abgeordnete Zeljko Reiner der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) zu: »Dies ist ein Beschluss, der unsere Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht ernst nimmt.« Für Reiner ist das Referendum »eine Reaktion des konservativen Teils der Bevölkerung auf die fragwürdigen Vorhaben der Regierung«. Der Gesetzesvorschlag zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft stellt für ihn nur einen Versuch der Regierung dar von den tatsächlichen Problemen Kroatiens abzulenken, wie dem stagnierendes Wirtschaftswachstum und der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Einen neutralen Standpunkt vertritt hingegen Nansi Tireli von der linkspopulistischen Partei der Arbeit. Sie versteht den Konflikt als einen ideologischen Kampf zwischen linken und rechten Gruppen: »Jede Veränderung ist das Ergebnis eines Reifungsprozesses, so entwickelt sich Demokratie.« Das geplante Gesetz sei genauso wie das Referendum notwendig um diese Reifung zu erreichen. Beides widerspreche einander nicht.
Härtere Töne schlagen LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten an. Sie haben beschlossen, gegen das Referendum vor dem Verfassungsgerichtshof Klage einzureichen. »Es geht hier um unsere Menschenrechte. Diese sollten nie einem Referendum unterstellt werden.« Sanja Juras ist Leiterin der NGO Kontra, in der Lesben organisieret sind. Für sie handelt es sich bei der Initiative um eine Hetzkampagne, die jeden Fortschritt für LGBT-Personen verhindern will.
Warum etwas in Verfassungsrang erheben, was bereits im Familienrecht steht? Hinter der Initiative ständen deutlich die Kirche und andere konservative Kreise. »Sie stellen sich als die Bewahrer der traditionellen Familienwerte dar und uns als dämonische Feinde, die ihnen die Kinder wegnehmen.« Das Ausmaß der Kampagne hat selbst die erfahrene Aktivistin überrascht; überall waren Poster, Flyer und Freiwillige der Initiative. Wer nicht unterschrieb, wurde eingeschüchtert mit Vorwürfen, kein wahrer katholischer Kroate
zu sein.

»Die Kampagne für das Referendums hat mich emotional sehr mitgenommen«, erzählt Zeljka. »Da sah ich, wie viele gegen uns sind.« Immer noch weiche sie zurück, wenn sie jene Informa­tionsstände sehe, an denen die Unterschriften gesammelt wurden. »Selbst wenn jetzt nur Erd­beeren darauf verkauft werden.« Während dieser Zeit haben sie mit der künstlichen Befruchtung pausiert. Beide mussten während der Behandlung lernen, mit ihren hohen Erwartungen umzugehen und sich in dieser schwierigen Zeit als Paar zu unterstützen. Nach der Behandlung dauert es jeweils zwei Wochen, bis sie wissen, ob sie erfolgreich war oder nicht: »Das Schwierigste ist, diese zwei Wochen zu überstehen.« Zeljkas Augen werden feucht. »Ich will ruhig sein nach außen, aber innerlich brennt in mir der Wunsch, schwanger zu werden.«
Ein slowenisches Webportal für LGBT-Eltern und solche, die es werden wollen, hat ihnen sehr geholfen. Davon inspiriert, haben sie sogleich ein ähnliches kroatisches Forum im Internet gegründet (dugine-obitelji.forumcroatian.com). Daraus entstand eine Gruppe von lesbischen und schwulen Paaren mit Kindern oder Kinderwunsch, die sich regelmäßig zum Austausch trifft.

Trotz der heftigen Proteste gegen LGBT-Rechte, die die Kampagne für das Referendum begleiteten, ist Gordana Sobol, Abgeordnete der regierenden SDP, zuversichtlich, dass der Gesetzesvorschlag zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft verabschiedet wird. Dies schreibt sie den zahlreichen Kompromissen zu: »Für die einen ist es wichtig, dass wir nicht von ›Familie‹ und ›Ehe‹ sprechen, und für die anderen, dass wir ihre rechtliche Situation endlich regeln.« Ein Recht auf Adoption ist allerdings nicht vorgesehen. »Es ist noch nicht an der Zeit, über gleiche Adoptionsrechte zu sprechen«, bedauert sie. Daher stehe im Entwurf, dass ein Gericht über den Status der elterlichen Fürsorge des zweiten Elternteils von Fall zu Fall entscheiden soll. Ebenso werden Bezeichnungen wie »Mutter«, »Vater« oder »Familie« tunlichst vermieden. Heftige Kritik daran kommt aus LGBT-Kreisen. »Wir sind Familie und sollten auch so genannt werden«, fordert Sanja Juras. »Die Regierung gibt mit dem Gesetz ein falsches Signal, indem sie uns als Menschen zweiter Klasse behandelt. Unsere Menschenrechte sollen genauso respektiert werden wie die aller Menschen.« Sie fordert eine einheitliche Regelung für die Institution Ehe, die für homo- und heterosexuelle Paare gleichermaßen gilt.
Falls der Gesetzesentwurf verabschiedet wird, hat dies konkrete Folgen für Zeljka und Sanda. »Ich wäre dann als skrbnik eingetragen, was so viel heißt wie ›Betreuerin‹ oder ›Bezugsperson‹«, seufzt Sanda und knuddelt den Hund, der ihr zu Füßen liegt. Sie fürchtet, vom Gericht keine Rechte an dem gemeinsamen Kind eingeräumt zu bekommen. Zeljka hingegen sieht das neue Gesetz als ersten Schritt hin in die richtige Richtung.
In jedem Fall will das Paar erstmal ein Kind bekommen und danach ihre Partnerschaft eintragen lassen. Umgekehrt wäre es gar nicht möglich. »Dann wäre ja bekannt, dass wir in einer lesbischen Partnerschaft leben, und wir hätten keine Chance mehr auf künstliche Befruchtung.« So gesehen, ist das Lügen beim monatlichen Termin in der Klinik für die beiden noch das kleinere Übel.

* Namen von der Redaktion geändert