»Liberace« ist der wichtigste Homofilm des Jahres – trotz der Hauptdarsteller

Hinter dem Kitsch

»Liberace« ist nicht wegen Michael Douglas und Matt Damon in den Hauptrollen der wichtigste Homofilm des Jahres geworden – er ist es ihnen zum Trotz und weil er ein Dokument aus dunklen Zeiten verkörpert.

Es muss nicht als fiese antihomo­sexuelle Gemeinheit der großen Studios in Hollywood verstanden werden, dass sie diesen Film von Steven Soderbergh nicht finanzieren wollten. »Liberace« ist nicht allein ein viel schwulerer Film, als das auf seine subver­sive Art »Brokeback Mountain« von Ang Lee je hätte sein sollen. Die Verfilmung der Geschichte des Las-Vegas-Entertainers Liberace ist in gewisser Hinsicht nicht allzu schwul, vor allem ist er, was die Story selbst anbetrifft, aus einer Zeit, die versunken scheint. Als schämte man sich ihrer: In den Siebzigern lagen die militanten Unruhen, die in der New Yorker »Stonewall«-Bar die Geburt der modernen Schwulenbewegung markieren sollten, erst kurz zurück – in dieser Dekade war es unter schwulen Männern selbst üblich, die eigene Homosexualität als Grund tiefer Beschämung, als tragische Veranlagung zu nehmen.
»Liberace« zeigt diese Zeit präzise und für Ältere so brutal akkurat, dass man am liebsten mit dieser Ära nicht konfrontiert werden möchte. Eine Zeit, in der selbst schwule Startheo­retiker wie Michel Foucault als alles mögliche in der Öffentlichkeit gelten wollten, nur nicht als männerbegehrende Männer. Schwul zu sein, und auch das zeigt »Liberace«, ohne es ausdrücklich zu thematisieren, war das Allerschlimmste, was einem Mann widerfahren kon­nte. Liberace, der Entertainer, der kitschigste von allen, konnte sein Leben nur so führen, weil er über die nötigen Mittel verfügte, sich seine Welt irdischer Illusionen zu schaffen und zu inszenieren: ein peinigendes Zeugnis einer ins Heute reichenden Zeit.
Immerhin hat sich der US-Qualitätsbezahlsender HBO erbarmt, dieses Projekt zu finanzieren – auch weil Soderbergh zwei Spitzenkräfte der Schauspielerbranche für die Hauptrollen gewinnen konnte. Beide, als gewöhnliche Heterosexuelle bekannt, zeigen, was Schauspielkunst ist. Nie war eine Figur auf unaufdringliche Weise tuntiger gezeichnet, nie war ein juveniler Charakter, wie ihn Damon zu geben hatte, auf so zerrissene Weise kenntlich. Die Küsse, die Sexszenen: glaubwürdig und so fern von Diskretion und Andeutungsgehubere, dass es eine Freude ist. Das Bild von Douglas, nachdem er sich von Damon hat ficken lassen – es lohnt die Erwägung, ob allein diese Szene ihrer Selbstverständlichkeit jenseits aller Prüderie wegen einen Oscar verdient hätte.
Einige Erörterungen in US-amerikanischen Foren, ob es nicht besser gewesen wäre, schwulen Schauspielern die Rollen zu geben, verkennen, dass dieses Authentizitätsbedürfnis nur zu oft scheiterte. Vor knapp 20 Jahren reüssierte das australische Camp-Drama »Priscilla« auch in Europa – allgemein wurde dieses Kinowerk für ein gelungenes Stück der campy Homofilms gehalten. Nur: Der Regisseur castete damals tatsächlich zunächst schwule Schauspieler, ehe er sich in professioneller Hinsicht nicht mehr von politischen Korrektheiten leiten ließ. Die Darsteller, die schließlich in »Priscilla« stöckelten und transten, waren im wahren Leben Heterosexuelle. Schwule, hieß es hernach, könnten professionell nicht zu einer angemessenen Distanz in der Rolle selbst finden – und somit fehle es ihnen auch an entsprechender Hingabe in den Szenen.
Was »Liberace« ohnehin nicht eignet, ist diese gewisse Blockbuster-Qualität, die alle Mainstream-Streifen haben müssen: Wenigstens eine Figur muss ein Sympath oder Sympathin, Held oder Heldin sein und eine Coming-of-Age-Geschichte symbolisieren. Niemand ist für eine solche Konfiguration weniger geeignet als Liberace und sein Geliebter, Lebensgefährte und Junge für alles, Scott Thornton, dessen Memoiren die Grundlage des Drehbuchs bildeten.
Liberace, das war ein klavierspielender Entertainer in der Welt der Shows von Las Vegas. Der wohlhabend war, ja, reich. Vieles von den Hunderten von Millionen Dollar, die er im Showbiz einspielte, nahm er, um seinen persönlichen Traum von Glanz und Gloria zu verwirk­lichen. Villen, deren größte ein ästhetischer (Alb-)Traum in Plüsch und Plunder, sind stets gold- und brokatüberzogen. Tuntenbarock darf man seinen Stil nennen, eine Art pseudomonarchische Innenarchitekturallüre, die das Gegenteil von Kühle und Eleganz verströmt. Alles im Reich des Liberace ist übertrieben: »Zu viel des Guten ist wundervoll« sagt Liberace am Ende des Films in einer Traumsequenz seines längst von ihm abgehalfterten Liebhabers Scott – mehr ist mehr. Mehr Gold, mehr Flitter, mehr Tand, mehr von dem, was peinlich-rauschhaft wirkt, eine Operettenwelt, die sich wie eine ernsthafte Oper ausgibt.
Aus der Perspektive von schwulen Männern, die ihre eigene sexuelle Orientierung im Sinne der Phallusverehrung und Virilität schlechthin ernst zu nehmen begannen – das war Mitte der siebziger Jahre mit der Präsenz von Leder- und Jeanskerlen in der Homoszene –, war die Welt des Liberace wie eine, der alles Triebhafte, alles männlich Riechende, Schmeckende, Dräuende ausgetrieben wurde. Liberace – und wunderbar spielt dies Michael Douglas – wirkte mit seinen aufgefönten Frisuren, seiner Angst vor Haarausfall, vor den Molesten, die das Älterwerden mit sich bringt, wie eine unglückliche Tochter, nicht wie ein Sohn, der mannhaft erträgt, was die Natur ihm aufgibt. Liberace, das war der Sprössling von Mutter (Debbie Reynolds in einer Altersparaderolle), der ihr schwört, so homosexuell zu bleiben, dass er Sohn und Tochter in einem sein kann, und der im Film im Übrigen löwenmähniger aussieht als dereinst Farrah Fawcett. Dieser Mann war ein Kastrierter, der sich selbst nur als Peter Pan nehmen konnte und die jeweiligen Lebensgefährten verstieß, sobald er auf sie nicht mehr geil war.
Man könnte sagen: Michael Douglas und Matt Damon spielen den gewöhnlichen Gang der homosexuellen Dinge. Wo nur das Begehren gelten kann, gilt alles andere nichts, wenn die Lust verglommen ist. Auch hierin ist der Film ein realistisches Lehrstück  – und ein Fingerzeig, die Debatte um Promiskuität unter Schwulen mal weniger unkritisch zu nehmen anstatt immer nur im Hinblick auf den Welpenschutz, den Schwule genießen sollten, ihrer Unterdrückung wegen, des Mitleids mit ihnen wegen. Wird mit dem Hedonismus der Schwulen – so deren dauernde Selbstreklame – nicht ein Beziehungsmodell des Ex & Hopp gefeiert? Also eine Party, die nur deshalb rauscht, weil das mangelnde Talent zur Beziehung jenseits des Sexuellen so frösteln macht?
Am Ende stört Scott Thornton das Arrangement, das Liberace beiden vorschlägt: Sex mit anderen zu erlauben. Nein, Scott, der Mann, dem Liberace omnipotent-aufsaugend alles sein wollte, Freund, Vater, Bruder, Geliebter, reagiert mit Eifersucht auf die Neuen in Liberaces Leben. Und wird schließlich, weil er sich an den Comment nicht hält und randaliert, rausgeworfen – nicht ausgezahlt wie ein Exgatte, sondern wie ein Putzmann, dem man die Rentenansprüche mager entgilt.
Einmal sehen sie sich wieder. Da bittet Liberace Scott um einen Besuch – als er einwilligt, erblickt er ihn schließlich auf dem Krankenbett, dem Tode geweiht, von Aids gezeichnet. Noch in der Schlusssequenz sieht man den Manager von Liberace die Presse informieren, dass Libe­race keineswegs an Aids gestorben sei, sondern an einer Herzgeschichte. Offen bleibt, ob Liber­ace, der Mann, von dem angeblich sein Publikum nie annahm, dass er schwul sein könnte, obwohl niemand so schwul aussah und so wirkte wie eben dieser Kitschpianist, ob also dieser Liberace einverstanden gewesen wäre, ein Stück seines Stolzes zurück zu gewinnen, wenigstens Momente vor dem Tod: Schwul zu sein und so geliebt zu haben. Es war eine andere Zeit, möchte man anfügen. Liberace ließ jeden strafrechtlich verfolgen, der ihm Homosexualität nachsagte. Offiziell liebte er nur die norwegische Eiskönigin der dreißiger Jahre, Sonia Henie. Dass diese mit homophoben Sprüchen gegen schwule Eiskunstläufer im Alter ihre Bekanntheit auffrischte, verleiht dem Ganzen eine bitter-ironische Note. Liberaces Leben hinter den Kandelabern gibt mit diesem Film einen Eindruck von kalten Zeiten. Es ist kein gemütlicher.

»Liberace«. USA 2013. Regie: Steven Soderbergh, Darsteller: Michael Douglas, Matt Damon.