Über den zweifelhaften Erfolg des »Aktuellen Sportstudios«

Das große Wunschkonzert

Smalltalk statt Journalismus. Mit diesem Konzept ist »Das aktuelle Sportstudio« seit 50 Jahren erfolgreich.

Dem Koi geht’s blendend, der hat sich unglaublich gut eingelebt, er frisst gut, er wird betreut, es sind viele andere Fische dabei, es ist optimal«, erzählte Jupp Heynckes kürzlich im »aktuellen Sportstudio«. Es war der Abend, als Borussia Dortmund gegen Bayern München, Heynckes’ ehemaligen Verein, den Supercup gewann. Moderator Michael Steinbrecher hatte den Trainer im Ruhestand gerade auf einen edlen Karpfen im Wert von 5 000 Euro angesprochen, den die Spieler des FC Bayern ihrem scheidenden Trainer zum Abschied geschenkt hatten. Wahrscheinlich waren viele der etwa zwei Millionen Zuschauer, die die Sendung regelmäßig einschalten, sehr erleichtert, als sie vom Wohlbefinden des Fisches erfuhren.
Es sind Gespräche wie das zwischen Steinbrecher und Heynckes, die dafür gesorgt haben, dass die Sendung in den vergangenen Jahren zahlreiche Abgesänge über sich ergehen lassen musste. Am 10. August feierte »Das aktuelle Sportstudio« seinen 50. Geburtstag, und natürlich ist das für die Sendergewaltigen ein Anlass zu betonen, dass die Sendung besser sei als ihr nachgesagt wird. Deshalb hat Dieter Gruschwitz, Leiter der Hauptredaktion Sport beim ZDF, neulich gesagt: »Der kritische Sportjournalismus ist nicht tot, er wird heute nur anders ausgelebt.« Das ist nicht falsch beobachtet. Falls Gruschwitz damit aber zum Ausdruck bringen wollte, der kritische Journalismus werde im »Sportstudio« »ausgelebt«, wäre das eine kühne Behauptung.
Definitiv nicht für kritischen Sportjournalismus steht zum Beispiel Sven Voss, der seit 2011 zum Moderatorenteam gehört. Es lässt sich durchaus etwas Positives über ihn sagen – aber nur, dass er Wolf-Dieter Poschmann ersetzt hat, der 230 Mal das »Sportstudio« moderierte. Am 11. Mai 2013 kritisierte Detlef Esslinger in der Süddeutschen Zeitung in einer Generalabrechnung mit dem »Sportstudio« Voss unter anderem für die Art, wie er den früheren FC-Bayern-Spieler Paul Breitner interviewt hatte. Der Weltmeister von 1974 war als Studiogast eingeladen, als die Steueraffäre des Bayern-Präsidenten Ulrich Hoeneß die Schlagzeilen bestimmte. Da Breitner Hoeneß seit mehr als vier Jahrzehnten kennt, hätte es nicht fern gelegen, den Gast auf das große Thema Steuerhinterziehung anzusprechen. In der Sendung teilte Voss dann aber mit, es sei Breitners »persönlicher Wunsch«, nichts zu Hoeneß’ gegenwärtiger Situation zu sagen. Darauf ließe sich flapsig entgegnen: Ein Interview ist kein Wunschkonzert.
Die Verteidigungsmuster der Macher sind in ähnlicher Form aus anderen Debatten über das öffentlich-rechtliche Fernsehen bekannt – die Art etwa, mit der Dieter Gruschwitz die Entwicklung der Sendung verteidigt und die Kritik daran abwehrt, dass Hintergrundberichterstattung und kritische Analysen des Sportbetriebs zu kurz kommen: »Wir müssen unterscheiden: Was ist für uns als Journalisten interessant, und was ist interessant für die Konsumenten, die wir beliefern müssen?«
Für einen öffentlich-rechtlichen Journalisten ist das eine Bankrotterklärung. Gruschwitz ist weder der Wahlkampfmanager einer Partei noch der Geschäftsführer einer Marmeladenfabrik, der darauf achten muss, die Geschmacksvorlieben der potentiellen Käufer zu bedienen. Gruschwitz’ Äußerung ist ein gutes Beispiel für den von dem Frankfurter Soziologen Sighard Neckel als »postdemokratisch« charakterisierten »Verlust der konzeptionellen Selbständigkeit und des medienpolitischen Selbstbewusstseins bei den öffentlich-rechtlichen Sendern«, deren Führungskräfte »ihre Blue-Prints der Umstrukturierung häufig als Frei-Haus-Kopien jener ökonomischen Mechanismen (beziehen), die in der Wirtschaft für Produktaufmerksamkeit und Verkaufsrenditen sorgen sollen«.
Was die Macher des »Sportstudios« unumwunden zugeben: Sie würden gern mehr Gäste einladen. »Platz für einen zweiten Gast jenseits des Fußballs zu schaffen« und generell »für Diskussionen« – das sei »schwierig«, sagt Moderator Michael Steinbrecher. Aber »wir schaffen das immer wieder«. »Immer wieder« ist natürlich eine dehnbare Formulierung. Am 20. Juli dieses Jahres gelang es immerhin. Da wurde, um es mit Dieter Gruschwitz zu sagen, der »kritische Sportjournalismus« im »Sportstudio« ausnahmsweise mal wieder »ausgelebt«. Neben Karla Borger und Britta Büthe, die kurz zuvor Vizeweltmeisterinnen im Beachvolleyball geworden waren, war der Mainzer Sportmediziner Perikles Simon zu Gast. Seine Expertise war gefragt, weil in der Woche vor der Sendung eine Reihe von Leichtathletik-Sprintstars zeitgleich als Doper aufgeflogen waren – darunter Asafa Powell und Tyson Gay, der 2013 die bisher schnellste Zeit über 100 Meter gelaufen war. Simon sorgte dafür, dass die Traditionsshow des ZDF endlich mal wieder Anlass für Debatten lieferte – vor allem mit der Aussage, er habe an einer Dopingstudie für den Leichtathletik-Weltverband IAAF mitgearbeitet, aber die Daten würden nun unter Verschluss gehalten, und eigentlich dürfe er sich dazu gar nicht äußern. Ein Hauch der großen weiten Whistleblowing-Welt wehte da plötzlich durch das Studio am Mainzer Lerchenberg.
Gewiss, es gab Ausgaben der »Sportstudios«, die in dieser Hinsicht Aufmerksamkeit erregten, aber viel mehr als ein halbes Dutzend davon wird man in der jüngeren Vergangenheit kaum finden – darunter eine aus dem November 2012, die ein 35minütiges Interview mit dem früheren Radprofi Tyler Hamilton zum Thema Doping enthielt. Im Januar 2012 und Januar 2013 gab es jeweils eine monothematische Sonderausgabe des »aktuellen Sportstudios« zum Thema Fußballfankultur, Fangewalt und Pyrotechnik.
Warum es, um es mit Steinbrecher zu sagen, so schwierig ist, »Platz für Diskussionen« zu schaffen, lässt sich unter anderem anhand einer Passage eines Textes erklären, den ZDF-Chef­redakteur Peter Frey zum Jubiläum der Sendung verfasst hat. »Das im Free-TV exklusive ›Topspiel‹ am Samstagabend mit Interviews und der taktischen Analyse sowie hintergründige, auf die Besonderheiten eines Spiels fokussierten Berichte« seien das »Kernelement« der Sendung, schreibt er. Um daran den Satz anzuschließen: »Der Bundesliga-Vertrag enthält Rechte und Pflichten.« Mit anderen Worten: Wann und in welchem Umfang das ZDF vom 18.30-Uhr-Spiel eines Bundesliga-Samstags zu berichten hat – in der Jubiläumssendung wird dies das Nordderby zwischen Eintracht Braunschweig und ­Werder Bremen sein –, ist vertraglich festgelegt.
Was aber, wenn ein Spiel des Nachmittags oder Geschehnisse jenseits des Platzes es erforderten, mit einem anderen Thema zu beginnen? Grundsätzlicher gefragt: Warum unterschreiben öffentlich-rechtliche Sender Verträge, in denen festgelegt ist, wie sie ihre Sendungen aufzubauen haben? Der Rundfunkrat des MDR hat gerade einen Beschluss verfasst, in dem es heißt: »Hinter den Sportarten stehende Unternehmen dürfen keinen Einfluss auf Art und Umfang der Übertragung haben.« Klingt wie ein frommer Wunsch, weit entfernt von der Realität der Unterhaltungsökonomie. Aber es ist angebracht, so etwas immer mal wieder zu formulieren.
In der Regel tut man sich also schwer, ein hintergründiges Gespräch überhaupt unterzubringen. Die beiden Spezialsendungen zum Thema Fankultur liefen bezeichnenderweise während der Fußball-Winterpause. Daran, dass Debatten über einen längeren Zeitraum hinweg geführt werden, ist erst recht nicht zu denken. Das war mal anders: Dem Mitbegründer des »Sportstudios«, Harry Valérien, der im Laufe eines Vierteljahrhunderts 283 Mal moderierte, gelang es 1977, drei Doping-Sondersendungen im Programm unterzubringen. Möglicherweise gab es sogar mal eine Phase, als »zu viel Politik« drin war in der Sendung. Mit dieser Begründung kündigte jedenfalls 1971 der Moderator Rainer Günzler, der jenes berühmte »Sport­studio«-Interview geführt hatte, in dem der Boxer Norbert Grupe kein Wort sagte.
Verantwortlich für die Qualität des »Sportstudios« sind nicht allein die Macher der ­Sendung, sondern zumindest zu einem kleinen Teil auch die Strategen des Sportbetriebs. ­Darauf hat vor einigen Wochen Michael Steinbrecher hingewiesen, als er in einem Interview mit der FAZ begründete, warum er Ende ­August als Moderator der Sendung aufhört. »Solche kontroversen Sendungen wie mit Heynckes, Hoeneß, Daum und Lattek würden wir heute sehr gern machen. Wir laden auch regelmäßig, wenn es Konfrontationen gibt, beide Parteien ein. Aber die Vereine lassen sich auf solche Konfrontationen nicht mehr ein«, sagt Steinbrecher dort unter anderem. Er bezieht sich dabei auf jene legendäre Diskussionsrunde aus dem Jahr 1989, als der 1. FC Köln und der FC Bayern um den Titel kämpften und sich der damalige Kölner Trainer Christoph Daum als Maulheld profilierte – wofür er unter anderem das »Sportstudio« als Bühne nutzte.
Dass die hiesigen Clubs dazu neigen, Konflikte nicht offen auszutragen, weil man glaubt, dies sei dem Image nicht zuträglich, trifft wohl zu. Redakteure sollten trotzdem in der Lage sein, solche Konflikte auf eine fürs Publikum gewinnbringende Weise abzubilden.