Berlin Beatet Bestes. Folge 198

Istanbul ist die Hölle

Berlin Beatet Bestes. Folge 198. Rashit: Taksim’de Bangyjumping (2001).

Viele Leute haben in den vergangenen Jahren Istanbul besucht und die jungen, gebildeten, westlich orientierten Istanbuler kennengelernt, denen der türkische Ministerpräsident Erdoğan vor kurzem den Krieg erklärt hat. Dieses Istanbul zu erleben hat das Bild der Türkei bei vielen stärker verändert als das jahrzehntelange Zusammenleben mit den in Deutschland lebenden Türken. Aber auch hierzulande scheint sich etwas zu tun. Die modernen Deutschtürken werden durch ihre Solidarität mit der Protestbewegung in der Türkei in Deutschland stärker wahrgenommen.
Meine Vorstellung von der Türkei hat sich 2005 verändert, als ich mit der Jungle World in Istanbul war. In kürzester Zeit lernte ich die junge Fanzine-Macherin Erinç Güzel kennen und durch sie die Istanbuler Punk- und Underground-Szene. Es kam mir vor, als würde ich »Crossing the Bridge« von Fatih Akın nachspielen, bloß von unten. Später interviewte ich noch Metin Üstündağ, den Herausgeber der Comic-Zeitung Penguen. Als »Bezahlung« wurde sogar ein Comicstrip von mir in der Zeitung gedruckt.
Besonders interessierte mich damals die bekannteste türkische Punk-Band Rashit. Zufälligerweise entpuppte sich der Besitzer eines Plattenladens in der Nähe unseres Hauptquartiers als Bruder des Bassisten von Rashit. Nach einigen Bemühungen besuchte uns die Band dann Tage später auf der Dachterrasse unseres Appartements. Ich erinnere mich noch, dass ich ein Interview mit der Band geführt habe, aber nicht mehr daran, warum es nicht in der Auslandsausgabe erschien. War wohl kein Platz mehr frei. Die Leute von Rashit waren jedenfalls ausgesprochen kluge, politisch engagierte Typen, die dennoch kurz vor ihrem kommerziellen Durchbruch zu stehen schienen. Sie wirkten auf mich wie die türkischen Fugazi, Die Goldenen Zitronen und Bad Religion zusammengenommen. So ähnlich klingt auch ihre Musik. In derselben Woche sahen wir sie auf dem großen Istanbuler Rock-Festival »Rock’n’Coke« wieder. Ihr Auftritt dort und ihre ein Jahr spä­­ter veröffentlichte, Indie-rockige LP »Herşeyin Bir Bedeli Var« (Alles hat seinen Preis) kostete sie dann leider einige Punk-Credibility-Punkte. Das Leben in der Metropole beschrieben sie treffend in ihrem Song »Istanbul«:
»Istanbul ist die Hölle/Die Straßenlampen sind wie Scheiße, sammeln die Fliegen/Viele verlassen ihre Dörfer, kommen nach Istanbul/Magisches Neon-Gift zerstört sie alle/Es ist schwer, ein Brot zu kaufen/Glaubt nie an die Lüge über diese Stadt/Istanbul – Erdbebenwarnung/Istanbul – Der Müll explodiert/Aber wir sind noch glücklich in unserem explodierenden Mülleimer/Unser Wahnsinn lässt uns lachen und vergessen/Istanbul – voller Psychos/Istanbul – endet mit Traurigkeit/Keine Kommunikation zwischen elf Millionen, außer Hass/Istanbul ist die Hölle – überall Beton/Wie soll man glücklich sein, wenn man so viel Stress hat?/Istanbul ist die Hölle/Istanbul bringt uns um.«