Ein Nachruf auf die italienische Schauspielerin Franca Rame

Geweint wird nicht

Zum Tod der italienischen Schauspielerin und Regisseurin Franca Rame.

Wenn ich sterbe, will ich keine Pfaffen, keine Ordensbrüder und keine Vaterunser«, heißt es in einem alten antiklerikalen Volkslied. Franca Rame dürfte die Verse seit ihrer frühen Kindheit gekannt haben. Damals tingelte sie mit ihrem Vater, einem Wanderschauspieler und überzeugten Sozialisten, durch die norditalienische Provinz. Nachdem sie im vergangenen Jahr einen Schlaganfall erlitten hatte, verfügte sie testamentarisch, dass auf ihrer Beerdigung rot gekleidete Frauen für sie das Partisanenlied »Bella Ciao« singen sollen. Am 29. Mai ist Franca Rame im Alter von 83 Jahren gestorben. Ihren letzten Wunsch hat man ihr erfüllt. Angeführt von der linksradikalen Straßenkappelle Banda degli Ottoni, zog der rot gewandete Trauerzug am Freitag vergangener Woche in Mailands berühmtes Piccolo Teatro ein. Dort geriet die Trauerfeier zu einer großen Abschiedsvorstellung für die Schauspielerin und Regisseurin. Dario Fo rezitierte für seine verstorbene Ehefrau, Co-Autorin, Hauptdarstellerin und politische Mitstreiterin einen von ihr verfassten Text. Erzählt wird darin von dem paradiesischen Liebesglück der biblischen Eva, die sich entscheidet, vom Baum der verbotenen Früchte zu essen: »Um der Erkenntnis und des Bewusstseins willen, um Zweifel und Liebe zu erfahren (… ) Danach kann der Tod ruhig kommen!«
Neugierig und unerschrocken hat Franca Rame sich immer neue Rollen angeeignet. Schon als Kind trat sie in den Theaterproduktionen ihrer Familie auf. In den ersten Nachkriegsjahren avancierte sie zu einem der ersten Cover-Girls und war als Soubrette erfolgreich. Anfang der fünfziger Jahre verliebte sie sich bei Theaterproben in den Regisseur und Dramatiker Dario Fo. Die beiden heirateten und gründeten bald ihre eigene Theaterkompanie. Jahrzehnte später brachten sie die Konflikte einer Künstlerehe in dem Stück »Offene Zweierbeziehung« (1983) auf die Bühne. Es sollte mit weltweit mehr als 700 Inszenierungen ihr erfolgreichstes Stück werden. Rame war Muse, Mutter, Sekretärin und Tourneemanagerin, aber sie war nicht, wie sie einmal selbstironisch behauptete, der »Sockel für das lebende Denkmal« des späteren Literaturnobelpreisträgers Dario Fo. »Ohne sie hätte ich nichts gewonnen«, sagte er bereits 1997 bei der Entgegennahme des Preises und wiederholte diesen Satz noch einmal auf der Trauerfeier.
Gemeinsam leiteten sie das Theaterkollektiv La Comune, spielten in Gewerkschaftshäusern, an der Universität und in der besetzten Palazzina Liberty in Mailand. Rame wurde Mitbegründerin des Soccorso Rosso, der Roten Hilfe in Italien. In den Komödien »Zufälliger Tod eines Anarchisten« (1970) und »Bezahlt wird nicht« (1974) solidarisierten sie sich mit den Kämpfen der Neuen Linken. In den siebziger Jahren stand Rame immer wieder allein auf der Bühne; in ihren Einaktern und Stegreifstücken spielten Männer höchstens Nebenrollen. Rame sprach in langen Monologen über die Arbeitsbedingungen von Frauen in der Fabrik, ihrem alltäglichen Familienunglück, ihrer gegängelten Sexualität. Diese von der Frauenbewegung gefeierten Einpersonenstücke erschienen in Deutschland im Rotbuch-Verlag in der Übersetzung von Renate Chotjewitz-Häfner. In einem schönen Vorwort zu einem 1998 erschienenen Sammelband beschreibt sie, wie die Übersetzungen im Laufe der Jahrzehnte mehrmals bearbeitet wurden, da die Autorin immer wieder Änderungen an ihren Arbeiten vornahm und auf aktuelle Ereignisse reagierte. Rames Frauen nahmen den berühmten Slogan der Frauenbewegung »Das Private ist politisch« ernst. »Nur Kinder, Küche, Kirche« wurde 1977 uraufgeführt. Der Monolog einer verheirateten Frau klingt auch heute noch authentisch. »Aber ich bin doch kein Flipper, in den du bloß eine Münze einwerfen musst, und gleich leuchten die Lämpchen auf: Kling klang klack … Kläng! Du brauchst nur ordentlich rütteln und schütteln! Ich bin kein Flipper!«
Mit ihrer Parteinahme für die außerparlamentarische Bewegung und ihrem Eintreten für eine Befreiung der Sexualität erregte sie den Zorn der Herrschenden. Immer wieder mussten sich Rame und Fo wegen Verleumdung und Verunglimpfung von Kirche und Staat vor Gericht verantworten. Die neofaschistische Rechte beließ es nicht bei juristischen Schikanen: Im Frühjahr 1973 wurde Rame von vier Männern überfallen, in einen Kleinlaster gezerrt, misshandelt und mehrfach vergewaltigt. In dem Monolog »Die Vergewaltigung« berichtete sie einige Jahre später in einer populären TV-Unterhaltungssendung einem Millionenpublikum von dem Angriff. Es war ihre Art, dazu aufzufordern, Übergriffe und Gewalttaten zur Anzeige zu bringen. »Immer noch ist diese blödsinnige Auffassung verbreitet: Einer Frau wird nur dann geglaubt, dass sie körperliche Gewalt erlitten hat, wenn sie das Glück hat, sich den zuständigen Behörden geschändet und blutend präsentieren zu können. Der Idealfall ist immer noch, wenn sie als Tote daherkommt.« Diesen Gefallen hat Rame den Mailänder Carabinieri, die die Meldung von ihrer Vergewaltigung in der Kaserne mit Jubel aufgenommen hatten, nicht getan. 25 Jahre nach der Tat bestätigte ein Gericht den Anfangsverdacht: Der neofaschistische Überfall war von Einheiten der Polizei und des Geheimdienstes in Auftrag gegeben und von diesen gedeckt worden. Doch die Täter kamen ungestraft davon. 1998 war das Verbrechen verjährt und die ehemals konspirative Rechte unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi zur offiziellen Regierungsmacht geworden.
»Wir glauben, dass Klagen falsch ist. Du weinst, gehst traurig nach Hause, sagst: ›Wie schön hab ich geweint‹, und schläfst erleichtert ein.« Mit diesem viel zitierten Satz leitet Rame ihre Erklärung ein, warum sie ihr Publikum mit ihren Komödien zum Lachen bringen will: »Es öffnet sich nicht nur der Mund beim Lachen, sondern auch das Gehirn.«
In jüngerer Zeit unterstützte Rame eine Anti-Berlusconi-Bewegung, die stets nur Empörung und Wut mobilisiert. 2006 ließ sie sich für die Protestpartei Italia dei Valori (Italien der Werte) sogar in den Senat wählen. Für die anti­institutionelle Propaganda ihres Freundes Beppe Grillo war es damals noch zu früh, für ihren Kampf für eine gerechte Justiz fanden sich dagegen keine Genossen. Desillusioniert reichte sie ihren Rücktritt ein, nur einige Wochen bevor die Linkskoalition ohnehin auseinanderbrach.
Auf ihrer Beerdigung schlossen sich die Vertreter der zersplitterten Linken noch einmal zusammen. Doch das gemeinsam gesungene Partisanenlied klang eher verhalten. Hinterbliebene trugen rote Accessoires wie Anstecknadeln zur Erinnerung an eine vergangene Zeit. Vereint in der Trauer um Franca Rame nahm die Mailänder Linke Abschied von ih­rer eigenen Geschichte.