Das »bedingungslose Grundeinkommen«

Alles kann, nichts muss

Während sich eine neue Generation von Arbeitenden angeblich faul zurücklehnt, zieht das bedingungslose Grundeinkommen Hass auf sich. Wieso eigentlich?

Mal ehrlich, wovon sollen wir denn leben, wenn keiner mehr arbeiten gehen muss?« Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens verleitet selbst vernünftige Leute dazu, solche Fragen zu stellen. Was versteckt sich hinter der weit verbreiteten Angst, durch allgemeine finanzielle Absicherung würde die Arbeitsmoral untergraben, die Wirtschaft stagnieren, das Wachstum schwinden, Verwahrlosung um sich greifen und schließlich die Zivilisation in Trümmer fallen?
Zahlen, Fakten und Finanzierungsmodelle spielen keine größere Rolle. Die werden diskutiert, sind teils überzeugend, teils nicht; aber sie beeinflussen die Angst vor dem Zerfall nicht merklich. Es scheint um ein moralisches Problem zu gehen, im Doppelsinn von Moral: als ethische Regel und als die Aufrechterhaltung von persönlichem Mut und Willenskraft.
Mit Schrecken erfüllt viele eben jener Aspekt: Das bedingungslose Grundeinkommen ist an keinen Zwang gebunden. Und genau da droht der Untergang. Denn faul sind sie leider, die Leute. Nennen wir es beim Namen, wie schon Gerhard Schröder, der die Lehrer als faule Säcke bezeichnete. Warum faul? Weil sie so lange Ferien hätten, genau gesagt Zeit, ganz genau gesagt: freie Zeit. Und wer zu viel freie Zeit hat, so scheint Herr Schröder zu vermuten und mit ihm viele seiner Mitmenschen, der wird faul. Zu Ende gedacht impliziert diese Unterstellung, dass sich nur durch Androhung von Hunger, Diskriminierung und Tod überhaupt irgendjemand zu nützlichem Tun bewegen lässt. Nur wenn es gar nicht anders geht, wird das faule Pack einen Finger rühren. Anderenfalls hängt es vor dem Fernseher.
Und gammelt dort vor sich hin. Wie faule Früchte, die irgendwann anfangen zu stinken. Als soziale Ursünde stammt die Faulheit aus der Großfamilie der Agrargesellschaft, wie auch der Begriff Arbeit ursprünglich von der Feldarbeit. Wenn da einer auf dem Sofa oder der Ofenbank abhängt, aber trotzdem etwas verzehren möchte, dann lässt er im wörtlichen Sinn die anderen für sich arbeiten. Natürlich ist das in der bürgerlichen Gesellschaft mitnichten der Fall. Der Staat organisiert Ausgaben für Schlossbauprojekte, Bankenrettungen und auch für Hartz IV und Co., ohne dass dabei ein direkter Kausalzusammenhang zur Arbeitsleistung des Steuerzahlers bestünde, weswegen dieser ja auch – eigentlich ganz folgerichtig – nicht nach seiner Meinung gefragt wird. Den Generalverdacht gibt es trotzdem: »Ich verdiene mit meiner Arbeit das, was die da verbrauchen!« Für verantwortlich halten die meisten Menschen dabei nicht die Budgetverteiler, sondern die Budgetverzehrer. Über O2-World und Bauprojekte kann der einzelne nur am Stammtisch schimpfen und ist machtlos; dem Schloss kann man keine Schuld zuweisen. Wohl aber dem »Hartzer«. In diesem Sinn gilt ganz im Sinne des Apostels Paulus: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.
Einer neueren, protestantischen Wurzel entstammt dagegen die Vorstellung, dass es demütigend ist, etwas ohne Gegenleistung zu bekommen. Es ist eine Kombination dieser beiden Überzeugungen, die das Einfordern des Rechts auf Wohlstand, wo Wohlstand möglich ist, untergräbt. Die Gegner des Sozialstaats in den USA lehnen charity oft stolz als entmenschlichend ab, als faule Brocken, die man faulen Hunden hinwirft. Das urchristliche Bild der agape ist überschrieben worden vom protestantischen Begriff des arbeitenden Individuums. Agape oder caritas war die Liebe, die die Form von Solidarität in der Gemeinschaft annimmt und die David Graeber Basiskommunismus nennt. In der, wie Graeber schreibt, prinzipiell auf der Verschuldung des Einzelnen aufgebauten Gesellschaft wird diese Solidarität ersetzt durch die Schuldenmoral. Wer seine Schulden nicht zahlt, ist kein ehrenwerter Mensch. Wenigstens müsste man sich bemühen! Schließlich schulden wir der Gesellschaft ja erstmal unsere Existenz. Dafür müssen wir ihr etwas zurückgeben: Arbeit.
Arbeit ist ein Prozess der Selbstformung, weil der Mensch sich in der Welt, die er selbst schafft, auch selbst versteht. Darum der Fluch der entfremdeten Arbeit, in der der einzelne Arbeitende nicht mehr vorkommt. Von vielen, allzu mechanischen Aufgaben sind Menschen hierzulande heute frei. Doch durch Mechanisierung wurden sie ersatzlos befreit. Denn Arbeit hat noch eine andere Seite: Identitätsstiftung. Bei Hegel konnte das Subjekt durch Arbeit Anerkennung gewinnen, weil es sich im Gegenständlichen realisiert. Anerkennung ist das Mittel zur Identitätsstiftung, der Arbeitsplatz in der bürgerlichen Gesellschaft ihr Ort. Und wenn dieser wegfällt? Dann ergibt sich eine Gesellschaft, die Positionen über Arbeitsplätze vergibt, aber keine Plätze zum Arbeiten bereithält.
Depression und Burn-out sind nie so verbreitet gewesen wie heute. Denn die wahre Trägheit liegt nicht darin, freie Zeit zu haben, von der wir in Wahrheit alle nicht viel haben. Schließlich ist der »Hartzer« eher durch Grabenkämpfe mit »dem Amt« und die Bewältigung von Existenzangst ausgelastet, als auf einer Insel der Seligen sorgenfrei vor dem durch »meine« Arbeit finanzierten Flachbildschirm zu lagern. Die wahre Trägheit, das heißt der wahre Verlust der Eigenbewegung, besteht darin, keinen Raum zum Handeln zu finden.
Menschen ohne Arbeitsplatz sind als faule Schnorrer der Verachtung anheim gegeben. Menschen mit Arbeitsplatz wird suggeriert, sie könnten handeln, die Gesellschaft und ihre Regeln mitgestalten. Schließlich bezahlen sie ihre Schulden und die der stinkigen Schnorrer gleich mit. Was sie jedoch zu spüren bekommen: Sie können nicht die Umstände gestalten, sondern nur noch sich selbst. Die entfremdete Arbeit hat sich zur kreativen Selbstausbeutung entwickelt. Das ist die wahre Faulheit, die Trägheit des Getriebenseins.
»Faul und schlau« titelte die Zeit vor kurzem, und sie meint das im Gegensatz zu Herrn Schröder auch noch als Kompliment. Die Generation Y – gesprochen why, wie in »Warum nur?« – trickse den Arbeitsmarkt geschickt aus und fröne dabei, wie Pippi Langstrumpf, der Faulheit. In Wahrheit beschreibt dieser Artikel mit einem Enthusiasmus, der einen schaudern lässt, den »neuen Geist des Kapitalismus«, wie Luc Boltanski und Ève Chiapello ihn in ihrem gleichnamigen Buch beschrieben haben. Das heißt: Netzwerken (Kollegen als BFFs in die Arme schließen und mit ihnen Schuhe kaufen gehen, dabei auf dem Smartphone Kundenmails beantworten); Kreativität (die eigene Individualität in Form von Projekten, Innovation und Enthusiasmus durch ständige Mutation zum Vermarktungsmaterial machen); Selbstverwaltung (die eigenen Ressourcen, Zeit und Kraft, selbst organisieren, sprich mit maximaler Effizienz ausbeuten). Die Künstlermetapher wird dabei zur Trickstermetapher umgedeutet, um zu suggerieren, hier ziehe eine Generation endlich mal ihren Nutzen aus dem Kapitalismus. Doch mit dem faulen und schlauen Trickster, der jenseits von kollektiver Moral zu seinem eigenen Vorteil täuscht, hat das nichts zu tun. Schon eher mit einer aus sich selbst gebastelten Marionette.
Letztlich ist es also wenig verwunderlich, wenn aus dieser Selbstausbeutung der »Lebenskraft als Ressource« ein Hass auf diejenigen entsteht, die mit ihrer Zeit noch etwas anzufangen wissen, ihre eigenen Bewegungen machen und sich nicht einfach verwerten lassen. Die Angst, die das Thema Grundeinkommen hervorruft, ist eine Angst vor der Bedingungslosigkeit. Statt einer Verlockung der Freiheit spüren wir den Verlust der Logik des Verwertens und Vernetzens, die wir gerade erst vollständig verinnerlicht haben. Ohne den Zug der Fläche droht der Druck der Tiefe: die Leere der eigenen Lebenszeit.