Mein Kind darf

Schwanger, oh no! Die Schreckensnachricht drückt die Stimmung. Nun ist mein Leben als selbstbestimmtes Wesen zu Ende; ein weiteres Vehikel für Leid und Ausbeutung wird meinetwegen das Licht der Welt erblicken … Wie so viele Frauen zuvor will da manche stracks zur Flasche greifen, die Sorgen in Wein ertränken. Doch nun ist Alkohol, das einzige bekannte Mittel gegen Schwangerschaftsdepression, ins Gerede gekommen. In landesweit ausgestrahlten Fernsehspots säuselt eine Mutter ihrem Bauchhöhlenparasiten Debilitäten zu (»Hallo kleiner Astronaut, bald landest du auf der Erde«) – und gibt ihm ein unerhörtes Versprechen: »Deshalb verzichte ich auf Alkohol, seit ich weiß, dass es dich geben wird.« Hinter dem Spot steckt kein fürsorglicher bayerischer Biobreihersteller, sondern die deutsche Tochter des französischen Spirituosenkonzerns Pernod Ricard, die auf der Website Mein-Kind-will-keinen-Alkohol.de Tipps zum richtigen Umgang mit dem Hochprozentigen geben lässt, und zwar von ausgewiesenen Fachkräften wie Silvana Koch-Mehrin und Bettina Wulff (»Zum Zeitpunkt des Statements Gattin des Ministerpräsidentin von Niedersachsen, Christian Wulff«), die so verbohrt-anklagend in die Testimonial-Kamera blinzeln, als wären sie selbst im Suff gezeugt worden. Man möchte sich manchmal schier die Haare ausreißen aus Verzweiflung über die Energien, die mit der Perpetuierung solcher Binsenweisheiten verschwendet werden. Weil man der Unterschicht mittlerweile wohl jede Gemeinheit zutraut, wächst der Wille zur moralischen Ertüchtigung des Volkes ins freischwebend Närrische: Wir werden sie noch sehen, die Seiten Mein-Kind-will-nicht-an-die-Zigeuner-verkauft-werden.de und Mein-Kind-möchte-keine-Vogelbeeren-in-die-Nase-geschoben-kriegen.de.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.