Arjun Appadurai im Gespräch über neue Geschlechterrollen in der globalisierten Welt

»Obama ist ein Gegenbild zum Rapper«

Mit der Globalisierung werden die Geschlechterrollen neu verteilt. Ein Gespräch mit dem Ethnologen Arjun Appadurai über Gender-Mainstreaming auf dem Tahrir-Platz, die Renaissance kriegerischer Männlichkeit in der Wirtschaft und das Weibliche bei Mahatma Gandhi, Barack Obama und Spike Lee.

Wenn wir uns die Inszenierung von Gender auf der internationalen Bühne ansehen, fällt auf, wie hartnäckig sich traditionelle Männlichkeitsideale behaupten. An den Börsen etwa sind Frauen nach wie vor völlig unterepräsentiert. Verfestigt der globale Kapitalismus tradierte Genderstereotype?
Börsen sind hierarchisch organisierte Schauplätze, die von Männern dominiert werden. Die Banker agieren darin halb wie Soldaten, halb wie Teilnehmer einer Survival-Show, in der Menschen ganz auf sich gestellt sind und wie im Dschungel dem Gesetz »Auge um Auge, Zahn um Zahn« folgen. In dieser kriegerischen, mit Konkurrenz aufgeladenen Atmosphäre, in der »kein Pardon« gegeben wird, kommen all die traditionellen Vorstellungen und Bilder von Männlichkeit zum Zuge. Die interessante Frage ist meines Erachtens die: Wenn wir doch bereits über andere Vorstellungen und Bilder von Männlichkeit verfügen, also offenere, beweglichere und fortschrittlichere Konzepte entwickelt haben, warum haben diese eine so geringe Wirkungsmacht? Wir müssen wohl leider zunächst einmal zugegeben, dass dies so ist, ganz gleich, ob es nun um den Westen oder andere Weltregionen geht.
Woran machen Sie den mangelnden Einfluss dieser anderen Männlichkeitskonzepte fest?
Dazu müssen wir uns nur die weltweiten Statistiken zur häuslichen Gewalt ansehen. Die Zahlen sind sehr hoch, in den USA ist das so, und in anderen Weltregionen zeigt sich dies natürlich noch deutlicher. Häusliche Gewalt lässt sich schlecht verleugnen oder beschönigen.
Schuld ist die Globalisierung?
Da alles auf exzessiven Konsum, Wettbewerb, Risiko und Wachstum ausgerichtet ist, haben maskuline Werte eine immer stärkerere imperialistische Tendenz. Man könnte sagen, das ist die allem zugrunde liegende Ideologie, die die Aneignung sanfterer Vorstellungen verhindert. Wenn wir insgesamt ganzheitlicher an die Wirtschaft herangehen würden, an Wachstum, Konsum und unsere Bedürfnisse, wären natürlich auch vielfältigere Vorstellungen zu Geschlechter- und Genderfragen möglich. Aber in der heutigen Atmosphäre der Beschleunigung ist Erfolg wieder stärker an die überkommenen Vorstellungen von Männlichkeit gebunden.
Welchen Einfluss haben mediale Vorbilder?
Die Vorstellungen junger schwarzer Männer in den USA und anderer diskriminierter Bevölkerungsgruppen sind stark von der Welt des Rap geprägt, die eng mit der »Straße«, den Gangs etc. verbunden ist. Barack Obama etwa ist ein mächtiges Gegenbeispiel, weil er einerseits außerordentlich sanft erscheint, andererseits aber der mächtigste Mann der Welt ist. Es spricht einiges dafür, dass Obama, Martin Luther King oder auch weniger einflussreiche Persönlichkeiten wie etwa Spike Lee die Imagination des Männlichen verändern können. Aber als Gegenpart dazu gibt es natürlich die mächtige Bilderwelt des Rap, aber auch des Basketball, wo Männer ihre hochgewachsenen Körper und ihre physische Kondition inszenieren. Es ist sicher eine schwierige Aufgabe, aber ich bin mir sicher, dass jemand wie Obama eine gemäßigte Sicht auf Männlichkeit zu verbreiten hilft. Einfach indem er vormacht, dass es möglich ist, als schwarzer Mann enorm einflussreich und erfolgreich zu sein. Das ist wohl einer der Gründe, warum es solch ein gigantisches Interesse für ihn gab, als er gewählt wurde, sowohl bei Schwarzen als auch Weißen. Obama repräsentiert eine ganz andere Art von Männlichkeit als die Bush-Variante oder die Clinton-Variante, die sehr viel stärker dem klassischen Bild mächtiger Männer entsprechen.
Sie sehen also auch positive Entwicklungen?
Richtig ist, dass die Vorstellungen von Gender sowohl im Hinblick auf Männer als auch auf Frauen heute überall in Bewegung sind, was auch zur Erweiterung der Vorstellungen von der Rolle des Mannes führt. Das konnten wir jüngst zum Beispiel sehr gut auf dem Tahrir-Platz in Ägypten beobachten, wo Männer und Frauen in großem Rahmen in öffentlicher Sphäre zusammengekommen sind. Man könnte sagen, dass der demokratische Impuls in Ägypten auch einen demokratisierenden Impuls auf die Vorstellungen von Gender ausübt, so dass alternative Auffassungen davon, was es bedeutet, ein Mann zu sein, sich immer stärker verbreiten. Man sollte auch berücksichtigen, dass Vorstellungen einer anderen Männlichkeit bereits eine längere Geschichte haben. Man denke zum Beispiel an den großen Mahatma Gandhi, der jede Vorstellung davon, was es heißt, ein charismatischer männlicher Führer zu sein, über den Haufen geworfen hat. Er hat sich bewusst verweiblicht. Er hatte sein Leben lang stark mit seiner männlichen Sexualität zu kämpfen, aber seine Selbstdarstellung war alles andere als aggressiv maskulin. Alternative Interpretationen von Männlichkeit existieren also bereits seit längerem.
Sie sind in Mumbai geboren und leben heute in New York. Wie erleben Sie den Umgang mit Geschlechterrollen bei ihren Besuchen in ­Indien?
Mein Eindruck ist, dass es in Indien viel mehr Raum für Androgynität gibt, für Männer, die Frauen sein könnten und in ihrem Verhalten weich sind oder weibliche Züge aufweisen, etwa höhere Stimmen, weichere Körper haben. Und bis heute haben junge indische Männer genauso wenig wie Frauen ein Problem damit, Hand in Hand zu gehen, ohne dass sie ein gleichgeschlechtliches Paar sind. Sie sind nur Freunde. Der Habitus der Leute ist viel weicher in Indien, über alle Klassengrenzen hinweg. Natürlich gibt es Ausnahmen. Härtere Körperbilder haben auch längst Einzug ins indische Kino gehalten. Dort wandelt sich das Bild also. Die harten Körperbilder sind zu den weichen Körperbildern dazu gekommen. Vor 20 Jahren waren indische Kinohelden nicht diese in Stein gemeißelten Charaktere. Jetzt gibt es diese Körperbilder vermehrt. Aber im gewöhnlichen Leben ist der körperliche Habitus indischer Männer nuancierter. Ich bemerke jetzt, nach 40 oder 50 Jahren in den USA, dass mein eigenes Verhalten sich verändert hat. Wenn ich heute in Indien unterwegs bin, werde ich oft als »fremd« angesehen, obgleich Indien inzwischen ausgesprochen global und modern geworden ist. Nicht, weil ich irgendetwas gesagt oder getan hätte, sondern weil mein gesamtes körperliches Auftreten anders ist. Und das hat viel damit zu tun, welche Haltung ein Mann einnimmt und wie er sich gibt.