Das 3. Arabische Filmfestival in Berlin

Nach dem Abspann

Der »arabische Frühling« ist im Kino angekommen. Über das 3. Arabische Filmfestival in Berlin. Von

Das Medium, das am ehesten in der Lage ist, revolutionäre Prozesse künstlerisch adäquat zu reflektieren, ist immer noch das Kino. Dass sich daran seit Sergej Eisenstein nicht viel geändert hat, dürfte vor allem daran liegen, dass im Film kollektive gesellschaftliche Prozesse für ein Massenpublikum aufbereitet werden und dass er wie kein anderes Medium von den Träumen seiner Zuschauer lebt.
Auch der arabische Frühling ist bereits im Kino angekomen, wie das 3. Arabische Filmfestival in Berlin »Alfilm 11« bewiesen hat. Das vom Verein »Freunde der arabischen Kinemathek Berlin« mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Hauptstadtkulturfonds ausgerichtete Festival legte in diesem Jahr den Schwerpunkt seines Programms auf die revolutionären Entwicklungen in den arabischen Ländern, vor allem aber in Ägypten.
Die Filme sind kurz vor oder während der 18 Tage andauernden Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz entstanden, die zum Sturz Mubaraks führten. So auch der Eröffnungsfilm des Festivals, »18 Days«, eine Kompilation von zehn Kurzfilmen, die Einblicke in Familien, Kaffeehäuser und die Folterzellen der Geheimpolizei gewähren und festhalten, wie sich die ägyptische Gesellschaft während der 18 Tage verändert hat und wie aus Zuschauern der Revolte Aktivisten wurden. Dem Ausbruch vor allem junger Menschen aus vorgegebenen Verhaltensmustern, dem Bruch mit überkommenen Regeln, der Selbstermächtigung der Individuen, dem Überwinden der Angst vor dem allmächtigen Repressions­apparat steht im Film eine panisch agierende Staatsmacht gegenüber, die mit Verleumdungen und Ausgangssperren, Folter und blinder Gewalt auf den Aufstand reagiert, ohne zu verstehen, was tatsächlich gerade passiert.
Der herausragende Film dieses Festivals dürfte die Dokumentation »Forbidden« der jungen ägyptischen Regisseurin und Aktivistin Amal Ramsis gewesen sein. Als die 1973 geborene Filmemacherin im Sommer 2010 mit den Interviews begann, plante sie noch, den Film an der Zensur vorbei in politischen Zirkeln der Opposition, auf illegalen Parties und Versammlungen zu zeigen. Nach dem Sturz Mubaraks reichte sie die Dokumentation bei der Filmzensur ein und erhielt die Genehmigung für eine einzige Vorführung in Ägypten, die dann im überfüllten Kino des Ministeriums für Bildung und Kultur stattfand. Die Zensur besteht weiterhin. Das Militär ist bemüht, die Strukturen des Regimes zu erhalten.
In »Forbidden« diskutiert Ramsis mit verschiedenen Menschen, vor allem Journalisten, Bloggern und politischen Aktivisten, über die Vielzahl offizieller Verbote in Ägypten, wie zum Beispiel Küssen in der Öffentlichkeit, sowie über die in den Familien durchgesetzten moralischen Zwänge. Es geht um die Auswirkungen der Diktatur auf die Gesellschaft, aber auch um die nachlassenden Bindungskräfte des Regimes und dessen brutale Gewaltausübung. Der Film zeigt die Vorgeschichte des Aufstandes auf dem Tahrir-Platz. Im Abspann heißt es, dass am Tag der Fertigstellung des Films der Aufstand begonnen habe, der das Ende des Regimes bedeutete. Inzwischen sieht die Regisseurin die Umwälzungen weniger optimistisch. In einem Gespräch im Anschluss an die Vorführung sagte sie, dass sie den Abspann am liebsten ändern würde. Das Regime sei nicht gestürzt worden, nur die Gesichter seien andere, der Kampf gegen die Diktatur in Ägypten müsse nun gegen das Militär fortgeführt werden.
Der Film gibt auch Aufschluss darüber, welche Rolle der Antizionismus für den Aufstand in Ägypten gespielt hat. Viele der Befragten vergleichen das Mubarak-Regime mit Israel, etwa wenn die Anzahl der Checkpoints im Westjordanland mit denen in Kairo verglichen wird. Das Regime Mubaraks erscheint den Interviewten als ein Besatzungsregime und als Erfüllungsgehilfe Israels, sie sehen das ägyptische und das »zionistische« Regime als zwei Seiten einer Medaille an. Die Regisseurin begleitet die Aktivisten während einer Solidaritätsaktion gegen die Blockade des Gaza-Streifens durch Ägypten. Diese skandieren »Um Jerusalem zu befreien, müssen wir Ägypten befreien.« Mit Bezug auf den palästinensischen Kampf gegen Israel bekennen sie: »We are all resistance.« Wenn man bedenkt, dass diese Aktivisten den progressiveren Teil der Opposition gegen das Regime repräsentieren, ahnt man, welchen Einfluss der Antizionismus in Ägypten hat. Die Zurückhaltung Israels gegenüber dem arabischen Frühling wird somit wesentlich plausibler.
Auch bei den Organisatoren und Besuchern des Festivals schien die Vorstellung, dass Israel und der Nahost-Konflikt die Ursache für Gewalt und Diktatur im arabischen Raum seien, auf Zustimmung zu stoßen. In seiner Eröffnungsansprache begrüßte der Leiter des Festivals, Issam Haddad, unter großem Applaus die Aufnahme Palästinas in die Unesco mit den Worten, dies sei ein Schritt auf dem Weg zu einem gerechten Frieden in Palästina und ganz Arabien, der das Ende der Kriege und Bürgerkriege bedeute. Damit werde der Nahe Osten zum Schauplatz des Wiederaufbaus statt des Todes und der Zerstörung.
Der einzige Beitrag des Festivals, der die verheerende Rolle des Antizionismus für eine sich als progressiv verstehende Bewegung ausdrücklich reflektierte, war der Film »We were Communists« von Maher Abi Samra. Der in Frankreich lebende, libanesische Filmemacher war einst Mitglied der kommunistischen Partei des Libanon und Kämpfer im libanesischen Bürgerkrieg. Für seine Dokumentation kehrte er nach Beirut zurück und sprach mit ehemaligen Genossen und seinem früheren Kommandeur über die Beweggründe, in die KP einzutreten, und über die Entwicklung der Partei im Bürgerkrieg. Für alle war die Positionierung der Partei gegen die Spaltung der Gesellschaft entlang religiöser Bekenntnisse und der Aufruf, einen national, nicht religiös begründeten Kampf gegen den Einmarsch Israels in den Libanon zu führen, ausschlaggebend für den Parteieintritt. Bald fanden sie sich in einer Partei wieder, die während des Bürgerkriegs immer mehr zum Anhängsel der Hizbollah wurde, was schließlich zu ihrem politischen Ende führte. Der Film zeigt, wie das Scheitern einer organisierten säkularen Opposition den Aufstieg islamistischer Massenorganisationen in der Region begünstigt.
Insgesamt setzten Filme aus und über den Libanon einen klug gewählten Kontrapunkt zu den aktuellen Filmen über die arabischen Aufstände. Die Retrospektive war den beiden libanesischen Filmemachern Maroun Bagdadi und Borhan Alaouié gewidmet. Beide setzten mit ihren auch heute noch verstörenden Filmen, die die Zerstörung Beiruts und das dortige Abgleiten in die Barbarei dokumentieren, ein Zeichen gegen religiösen Fundamentalismus, Dogmatismus und Gewalt.