Das Prosagedicht »Fackelzüge« von Sigurbjörg Thrastardóttir

So weit, so eng

Sigurbjörg Thrastardóttir schildert in ihrem Prosagedicht »Fackelzüge« die Probleme einer Fernbeziehung zwischen Berlin und Reykjavík.

Es ist eine heikle Angelegenheit, über die Liebe zu schreiben. Der Versuch, Gefühle in Sprache zu verwandeln, endet oft in einer klebrigen Innerlichkeit, der die klärende Distanz zum Thema fehlt. In der zeitgenössischen Literatur geht es bedauerlicherweise sehr oft um die Befindlichkeiten der Autoren. Besonders junge Autoren schreiben mit Vorliebe über ihre eigenen Gefühle. Es geht meistens nur um ihr Innenleben, seltener um das, was um sie herum passiert und was es erleichtern könnte, ihre Gefühle besser zu verstehen.
Auch die isländische Autorin Sigurbjörg Thrastardóttir schreibt über Emotionen. »Ein Trip zwischen Reykjavík und Berlin. Eine Liebe zwischen Abgrund und Obsession«, bewirbt der Blumenbar-Verlag die deutsche Übersetzung von »Fackelzüge«, und man ist geneigt, das Buch gleich wieder wegzulegen, weil es solche Geschichten in den letzten zehn, fünfzehn Jahren schon so oft gegeben hat und weil sie selten funktionieren. Die Ankündigung des Verlags geht noch weiter: »Eine Geschichte zwischen Roman und Gedicht« steht dort außerdem, fast wie ein Warnhinweis, denn Poesie bedeutet oft noch mehr Innerlichkeit, noch weniger Distanz.
Bei Sigurbjörg Thrastardóttir ist das Gegenteil der Fall: Ihre fast schon zackige Sprache nimmt dem Liebesthema den großen, pathetischen Gestus. Und auch die Befürchtung, man werde hier in eine Art Sprachlabor geführt oder, noch schlimmer: zurück in den Deutschunterricht, bewahrheitet sich nicht.
Die Erzählerin und ihr Freund führen eine Beziehung auf Distanz, einerseits ist es eine räum­liche Distanz, aber sie bleiben andererseits auch distanziert in ihrem tagtäglichen Miteinander. Der Band »Fackelzüge« zeichnet das Bild einer kaputten, selbstzerstörerischen, aber deswegen nicht unbedingt instabilen Beziehung. Die Erzählerin möchte geliebt werden, sie möchte lieben, aber so einfach ist es eben nicht. Manchmal stellen sich ihr die eigenen Ängste in den Weg, ein anderes Mal ist das Verhalten des Freunds so ignorant, so abstoßend, dass das eben noch empfundene Glück in Unsicherheit oder Hass umschlägt. Manchmal sagt sie das Falsche und behält die Dinge, die sie hätte sagen müssen, für sich. Die beiden schlafen miteinander, sie nehmen Drogen, sie verreisen, sie essen, sie trennen sich wieder. Es sind auch die Alltäglichkeiten, die Reibereien zu Hause in der Wohnung in Berlin, die Missstimmungen erzeugen.
Doch das emotionale Miteinander wird überschattet von seinen Depressionen und seiner Heroinsucht. Sie sagt ihm, dass sie ihn nicht heilen will. Ihre Abwehrhaltung ist eine Taktik, um ihn nicht zu verlieren: »ich werde selten wütend; dies ist/einer meiner tricks«. Dennoch will sie ihn retten, und die Stabilität der Beziehung beruht, wie so oft, darauf, dass er seine Distanz wahren kann, weil er sich ihrer Fürsorge sicher ist. Denn sie wünscht sich eine Symbiose, vor der es ihm graut.
Die Krisen des alltäglichen Lebens und die Umstände, unter denen irgendeine Normalität möglich sein könnte, sind die Themen von Sigurbjörg Thrastardóttir. Die 1973 in der isländischen Kleinstadt Akranes geborene Autorin lebt mittlerweile in Grafarvogur, einem Vorort von Reykjavík, wenn sie nicht gerade unterwegs ist und die Welt bereist. Die Mischung aus Weite und Enge, die man auch in ihren anderen Texten spürt, ist charakteristisch für die Atmosphäre von »Fackelzüge«.
Thrastardóttir, die Literaturwissenschaften und Journalismus studiert hat, arbeitet für die größte isländische Tageszeitung Morgunbladid. In »Fackelzüge« zeigt sie sich als kühle Beobachterin und wahrt angenehmen Abstand zu ihrer erzählenden Figur. Ihr geht es um die genaue Darstellung einer Gefühlswelt. Der Leser schaut durch die Augen der Erzählerin auf die verschiedenen Phasen dieser Beziehung, die, obwohl sie teilweise nur angedeutet werden, deutlich erkennbar sind. Dem Fragmentarischen des Denkens und Fühlens verleiht Thrastardóttir eine schlüssige Form. »Fackelzüge« bedient sich einer modernen, gegenwärtigen Sprache und biedert sich trotzdem nicht an die Popliteratur an.

Sigurbjörg Thrastardóttir: Fackelzüge. Blumenbar, Berlin 2011, 144 Seiten, 15,90 Euro