Über die Kosmetikfirma Lush und einen antiisraelischen Popsong

Schaumparty für Gaza

»Freedom for Palestine« fordert ein britischer Popsong, der Stimmung gegen die Politik Israels machen will.

Was haben Desmond Tutu, Alice Walker, Coldplay, Roger Waters, Ken Loach, Julie Christie, Massive Attack, Benjamin Zephaniah und die Kosmetikfirma Lush gemeinsam?« wurde in einem Online-Artikel der Mediengruppe al-Arabiya aus Dubai Ende Juni gefragt. Eigentlich ahnt man es schon, denn einige der Genannten sind bereits durch ihre Unterstützung der Gaza-Flottille oder durch antiisraelische Boykottaufrufe aufgefallen. Im aktuellen Fall geht es darum, dass sie den Anfang Juli in Großbritannien vorgestellten Song »Freedom for Palestine« bewerben, der von al-Arabiya ­gelobt wird. Aber was bitte hat die Kosmetikfirma Lush in diesem Kreis zu suchen?
Die auch in Deutschland mit zahlreichen Filialen vertretene internationale Kette »Lush Fresh Handmade Cosmetics« ist nicht irgendeine Kosmetikfirma. Ihre Badekugeln, Shampoos, Bodylotions und Seifen sollen weitgehend vegan und aus natürlichen Inhaltsstoffen produziert werden. Das Unternehmen gibt sich ökologisch und politically correct und umwirbt mit dem Versprechen des »Handgemachten« und Authentischen sowie mit der Beteiligung an »ethischen« Kampagnen eine ökologiebewusste, globalisierungskritische und links fühlen­de Klientel. Von der durch Gewerkschaften und Beschäftigte vorgebrachten Kritik an den Arbeitsbedingungen im Unternehmen ließ sich die Kundschaft bisher allerdings nicht abschrecken. So berichtete die Financial Times Deutschschland über den vom Unternehmen ausgerufenen »Go naked Day«, an dem die Beschäftigten aufgefordert wurden, an einer Demonstration gegen Verpackungsmüll in München teilzunehmen. Lediglich mit einer Schürze bekleidet, marschierten die Mitarbeiter im Auftrag von Lush durch die Straßen.
Lush-Produkte gelten als »kultig«. Entsprechend trendbewusst ist auch das Design der Website des britischen Stammhauses gehalten: Neben Werbebildchen für Produkte mit so exotisch klingenden Namen wie »Gorilla Perfume« fällt einem ein Videoclip mit dem Titel »Free West Papua« auf. Noch bis Anfang Juni konnte man an dieser Stelle den Clip zum Song »Freedom for Palestine« finden. Das Lied wurde von dem Musikerkollektiv Oneworld aufgenommen, geschrieben hat es der Ex-Faithless-Gitarrist Dave Randall mit Unterstützung von Jerry Dammers, der als Schöpfer der Anti-Apartheidshymne »Free Nelson Mandela« berühmt wurde. An der Produktion beteiligt war auch Jamie Catto, Produzent des Weltmusikprojektes 1 Giant Leap. Man will das Liedchen in die Charts pushen und den popkulturellen Mainstream erreichen. Mit einer weiteren Kampagne zur Deligitimierung Israels soll nicht nur symbolpolitisch, sondern auch poptauglich an das Niveau der damaligen Anti-Apartheidsbewegung angeknüpft werden.
Der als gefälliger Soulpop daherkommende Song, den Randall unter dem Eindruck seiner eigenen Reisen nach Gaza und in die Westbank geschrieben haben will, steigt gleich mit der Behauptung ein: »So viele Jahre der Katastrophe, sechs Millionen Flüchtlinge, es könnte deine Familie sein«. Sechs Millionen? Das UN-Flüchtlingshilfswerk für Palästina UNRWA spricht von 4,8 Millionen, die Palästinenser sprechen von etwas mehr als fünf Millionen. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass mit der plakativen Nennung von »sechs Millionen« der Zahl der Holocaust-Opfer Konkurrenz gemacht werden soll. Ob beabsichtigt oder nicht, damit wird ein revisionistisches Geschichtsnarrativ bedient. In diesem Stil geht es dann weiter: Die Palästinenser sind nicht nur aus ihrer Heimat, sondern gleich noch aus ihrer Geschichte vertrieben worden. Gaza ist ein Gefängnis, die Westbank von einem »Apartheid Wall«« zerteilt, gar von »Rassentrennung« ist die Rede, und alles zusammen ergibt ein einziges crime against humanity. In wenigen Songzeilen werden alle gängigen antiisraelischen Stereotype zum antisemitischen Gerücht über den jüdischen Staat verdichtet.
Dazu gibt es Kamerafahrten entlang des israelischen Sicherheitswalls, der aus der Untersicht riesig wirkt, man sieht Elendsbilder aus Flüchtlingslagern und Tricksequenzen im Stil einer Kinderzeichnung. Dargestellt werden israelische Soldaten, die brutale Gewalt gegen unschuldige palästinensische Zivilisten ausüben, vorzugsweise gegen Mütter. Gegengeschnitten werden Studioaufnahmen der beteiligten Musiker, zu denen neben dem Faithless-Rapper Maxi Jazz auch der Durban Gospel Choir und der London Community Gospel Choir gehören. Dazwischen werden lächelnde Menschen eingeblendet, wobei natürlich auch ein orthodoxer Jude nicht fehlen darf, vermutlich von der an­tizionistischen Sekte Neturei Karta. Die Ästhetik des Clips lehnt sich stark an die des berühmten »We are the World«-Videos an.
Die Palästinenser kommen in dem Clip als handelnde Subjekte gar nicht vor, sondern nur als Opfer. Der britische Schriftsteller und Musiker Benjamin Zephaniah bewirbt das Stück auf der Website von Oneworld denn auch mit der Aussage, das »palästinensische Volk« brauche »uns«, um »Lobbyarbeit bei Parlamentariern zu betreiben, auf die Straße zu gehen und sogar in Boote zu steigen, um ihnen Hilfe zu bringen«. Angesichts dieses Paternalismus ist die Bewerbung durch eine »Alternativ«-Kosmetik­firma nur konsequent. Die Kampagne zielt auf einen ähnlich gedankenfreien moralischen Narzissmus wie die Marketingstrategie des Öko-Kosmetikkonzerns. Der antiisraelische Song zum Downloaden soll der Kundschaft ebenso wie das Bio-Gel von Lush das Wohlfühl-Erlebnis verschaffen, etwas Gutes und Richtiges zu tun.
Nach zahlreichen Protesten hat die Kosmetikfirma den Videolclip inzwischen zwar von der Titelseite ihrer Webseite entfernt, er ist aber unter der Rubrik »Our Ethical Campaigns« unter »Oneworld« immer noch leicht zu finden. Dort ist auch die Website des Oneworld-Kollektivs verlinkt, wo zahlreiche mehr oder weniger prominente Unterstützer zum Kauf des Songs auffordern. So setzt der greise südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu in einer emphatischen Videobotschaft die antiisrealischen Kampagnen mit der Anti-Apartheidsbewegung gleich und unterstreicht die Bedeutung von Musik für diesen Kampf.
Der Erlös aus dem Verkauf des Songs geht an die für ihre Beteiligung an antiisraelischen Boykottkampagnen bekannte Hilfsorganisation »War on Want«, die auch eine demonstrative Bootsfahrt auf der Themse zur Unterstützung der Gaza-Flottille organisierte. Die Bootsfahrt, die zum britischen Parlament führen sollte und schließlich freundlich, aber bestimmt von der britischen Polizei beendet wurde, diente auch der Popularisierung des Songs. Dave Randall bezeichnete das Lied als Beitrag zur Unterstützung der Flotille.
Zu den Unterstützern des Songs gehörte auch die Band Coldplay, die einen Link zum Vorverkauf des Songs auf ihre Facebook-Seite setzte. Nach Protesten bei Facebook wurde der Link wieder entfernt. Das Trip-Hop-Duo Massive Attack bewirbt das Stück dagegen weiterhin. Auch auf dem großen jährlich stattfindenden Open-Air-Festival von Glastonbury wurde ein von Oneworld eigens für dieses Event gefertigter Werbeclip für den Song als Pausenfüller auf der Hauptbühne gezeigt. Die BBC weigert sich zwar, das Lied zu spielen, aber dem Ziel, den Song in die Charts zu bringen, ist man bereits näher gekommen: Am 10. Juli meldete Oneworld auf seiner Website, dass man Platz 10 der britischen Indie-Charts und Platz 78 der offiziellen Charts erreicht habe. Der Videoclip wurde auf Youtube inzwischen rund 300 000 mal abgerufen.
Die Karriere des Songs zeigt nicht nur, wie sich vermittels der Mechanismen der Kulturindustrie antiisraelische und antisemitische Stereotype verbreiten lassen. Das Stück ist auch Teil des »Culture War«, der im Pop-Mainstream um das Verhältnis zu Israel tobt. Prominente Künstler und Bands werden immer wieder bedrängt, Auftritte in Israel abzusagen, während von Pop-Prominenz musikalisch verpackte antiisraelische Propaganda nun auch über die Vermarktungsstrategien von Lifestyle-Firmen wie dem »Alternativ«-Kosmetikkonzern Lush verbreitet wird. »Let’s make this song the soundtrack of the summer!« fordern Oneworld vollmundig auf ihrer Website. Es steht zu befürchten, dass wir von diesem Lied noch mehr zu hören bekommen.