Über die Ausstellung »The Art of Pop Video« in Köln

Rettung durch Youtube

Wie Reklame zur Kunst wurde: Die Kölner Ausstellung »The Art of Pop Video« zeichnet die Geschichte des Musik-Clips nach.

Einsatzbereit und unbemannt steht ein Schlagzeug der Marke »Pearl« auf einer üppigen grünen Wiese, zu hören sind aus der Ferne das Kläffen von Hunden, aus der Nähe das grelle Gezwitscher von Singvögeln und von überall her ein dumpfes Rauschen, vielleicht eine Autobahn. Das Bild sagt: Gleich wird hier etwas passieren. Metallisches Klicken kündet davon, dass ein Gewehr gespannt wird, dann peitschen für rund zwei Minuten unzählige Schüsse durch das Schlagzeug. Zuletzt verharrt die Kamera lange auf dem Haufen Müll, den der unsichtbare Schütze produziert hat, das Vogelgezwitscher ist vorbei, nur der ferne Straßenlärm noch zu vernehmen.
Ist das ein Musikvideo? Ohne Musik und ohne Musiker? Irgendwie schon, zumindest könne der 2007 vom britischen Künstler Tom Dale produzierte Kurzfilm dabei helfen, die Grenzen dieses Genres auszuloten – sagt Georg Elben, der seit einigen Jahren die Bonner Videonale leitet und der die Ausstellung »The Art of Pop ­Video« mit kuratiert hat, die derzeit im Kölner Museum für Angewandte Kunst (MAKK) zu ­sehen ist. Ein weiterer Kurator ist der Journalist und Filmexperte Daniel Kothenschulte, der in Erinnerung ruft, dass Popvideos früher nicht im Museum, sondern meist an »unwürdigen Orten« konsumiert wurden: in der »Dönerbude« nämlich oder »bei Hertie«, via Hintergrund-TV-Dauerberieselung, die 1981 einsetzte, als MTV mit dem dem Buggles-Clip »Video Killed the Radio Star« auf Sendung ging.
Ungefähr 100 Exponate umfasst die Ausstellung, präsentiert werden sie äußerst sachlich auf 81 Zentimeter großen Flachbildschirmen, die jeweils mit zwei komfortablen Kopfhörern bestückt sind. Zusätzlich gibt es für besondere Attraktionen einige Kabinen mit Großbild – so für Björks »Wanderlust« von 2008, das als erster 3D-Clip für Aufsehen sorgte.
Die Ausstellung möchte das Popvideo in der »Vielfalt seiner Kontexte« als »eigenständige Kunstform« und als »Jungbrunnen der visuellen Kultur« präsentieren; um die »Bilderflut« ein wenig zu ordnen, hat man die Exponate in zwölf Kapitel gegliedert. Eines heißt »History« und zeigt auch Schwarzweiß-Raritäten aus der Frühzeit: Duke Ellingtons »Black and Tan« (1929) etwa, oder Ausschnitte aus Fred Astaires Musicalfilm »Top Hat« (1935). Über die Beatles und etliche andere geht es hier zu Madonnas »Bad Girl« (1993): ein Kurzfilm von David Fincher, der als Miniatur eines Thrillers zu jenen Clips zählte, die sich demonstrativ an das große Kino anlehnten. Gleichzeitig steht die Inszenierung für jene Epoche, in der die großen Musikkonzerne enorme Summen in diese Form der Promo­tion investierten. Eine eigene Sektion der Ausstellung stellt Clips prominenter Filmregisseure wie John Landis oder Wim Wenders vor, eine andere die von Künstlern wie Wolfgang Tillmans, Masha Godovannaya oder Bruce Conner.
In der Sektion »Dancing of Politics« geht es – natürlich – um das viel besprochene Verhältnis von Pop, politischer Repräsentation und staatlicher Gewalt. Versammelt sind hier Ikonen der Clip-Kultur wie Pink Floyds »Another Brick in the Wall« oder das Video zu Marianne Faithfulls »Broken English«, in dem Hitler, Stalin und die Atombombe auftreten. Auch Madonnas »American Pie« ist hier hineingeraten, im Jahr 2000 von Philipp Stölzl produziert: Amerikas Armut und Alltag sowie die arbeitenden Helden der Nation auf gnadenlos ideenarme und affirmative Art ins Bild gesetzt. Der Begleittext zu dieser Sektion verkündet, gegenwärtig seien die von den »Grenzen des TV« und seiner Zensur befreiten Regisseure dabei, »politische Themen und Sozialkritik« neu zu entdecken. Belegt wird diese These allerdings nicht.
Auch in anderen thematischen Abschnitten korrespondieren Schlagzeile und Inhalt nicht immer. Deshalb scheint es ratsam, Überschriften wie »Wilderness Downtown«, »Who wants to live forever« oder »All is full of love« als redundante Doppelung des Präsentierten oder als Echo der Pop-Codes zu lesen – dann erfüllen die kompakt gehaltenen Begleittexte recht ordentlich den Zweck einer exemplarischen Kommentierung der Clip-Historie. Eines nämlich wird beim Besuch der Schau schnell spürbar: Der genussvolle Konsum von Musik und Bildern, zumal diese sorgfältig ausgesucht sind, hat mit anderen kognitiven Arealen zu tun als die kulturhistorische Sortierung der Exponate – wohl auch deshalb ist zu beobachten, dass sich die Besucher ganz unabhängig von Navigationsmarken durch die Flure und Räume des Museums treiben lassen und manche Runde mehrmals drehen. Das von der Museumsdirektion auf der Pressekonferenz genannte Lock­argument, 50 Prozent der Exponate seien nicht auf Youtube zu sehen, ist überflüssig. Die Qua­litäten der Schau liegen nicht in der Präsentation von Kellerfunden und Raritäten, sondern ganz im Gegenteil in der Aussicht, alte Bekannte gleich massenhaft wiederzutreffen und ein paar Neuigkeiten über sie zu erfahren.
Dass die Ausstellung auch die Zukunft thematisiert, ist eine eigene Nachricht. »In den Jahren 2002 bis 2004 hatten wir Angst, dass das Musikvideo aussterben würde«, sagt Michael P. Aust, der als Film- und TV-Produzent ebenfalls zum Team der Kuratoren gehört. Da die Musikbranche einen kommerziellen Niedergang erlebte, wurden Promo-Videos nur noch vereinzelt und mit deutlich reduziertem Aufwand an Ideen produziert. Die Wende kam mit dem Internet, die Kunstform wanderte fast komplett vom Fernsehen hinüber ins Web. Als Zeichen der neuen Ära feiert die Ausstellung u.a. den Clip der Band Radiohead zum Song »House of Cards«: Schemenhaft, immer an der Grenze zur Auflösung, flimmert ein Gesicht über den Monitor, fragile Landschaften zerbröseln zu Pixelstaub – Regisseur James Frost arbeitete ohne Kamera und Licht, nur mit Scannern und 3D-Plottern. Im Internet können Betrachter die Pixelwolken per Mausklick verändern.
Andy Warhol hatte einst nicht nur eine eigene Show bei MTV, sondern auch die Demokratisierung des Ruhms vorhergesagt. Diese gewinnt im Internet nun an Tempo: Das Video zu »We Won’t Break« von Zoot Woman (2007), in dem Figuren der Renaissancemaler Hieronymus Bosch und Pieter Breughel zum Leben erwachen, war eigentlich Mirjam Bakers und Michael Krens Abschlussarbeit an der Fachhochschule St. Pölten. Dann entdeckte der Schlagzeuger der Gruppe den Clip auf Youtube und wenig später war das Werk zum offiziellen Musikvideo avanciert. »Geld gab es für das Arrangement keines, Zoot Woman hatten gerade keinen Plattenvertrag«, berichtet Kren, der mit seinen jungen Kollegen neuerdings »dauernd« Videos macht. Und das auch noch lange tun möchte, allerdings nur, »wenn man davon leben kann«.

The Art of Pop Video. Museum für Angewandte Kunst, Köln. Bis 3. Juli 2011