Die Friedensbewegung und der Krieg in Libyen

Krieg dem Krieg?

Die sogenannte Friedensbewegung ist aufgewacht. Sie demonstriert allerdings gar nicht gegen Gaddafis Krieg.
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Wenn in Dänemark ein autonomes Kulturzentrum oder in Berlin-Friedrichshain ein bunt bemaltes Haus geräumt wird, dann darf man sicher sein, dass sich kurz darauf deutsche Rebellen ihre Hassmasken überstülpen, die Lederhandschuhe in die Hosentaschen stopfen und auf die Straße strömen. Sie drohen Glasbruch an und hohen Sachschaden, machen eine fetzige Demons­tration mit ausgesprochen wütender Musik und liefern sich womöglich gar eine Straßenschlacht mit den Bullen. Zumindest aber treten sie einen Mülleimer um, denn sie sind wirklich richtig sauer und Wandeln ihre »Wut in Widerstand«.
Den libyschen Rebellen antwortete der Staat auf ihre Dissidenz nicht mit einem ausgedehnten Polizeikessel oder der Räumung einer Vokü, sondern er ließ kurzerhand mit Kampfflugzeugen ihre Demonstrationen beschießen. Doch der schwarze Block in Hamburg und Berlin mochte sich nicht so recht empören. Immerhin: Auf der Internetseite Indymedia findet sich ein Eintrag vom 23. Februar, der von einem »Soli-Flashmob« von 30 bis 40 Autonomen in Bochum berichtet, die ihre »Solidarität mit den Aufständischen in Libyen« bekundet haben sollen. Zwar gab es auch in anderen Städten kleine Kundgebungen, aber dort waren fast nur Exil-Libyer zugegen. Linke suchte man vergebens.

Die wachten erst Tage später auf, als der Krieg des Regimes gegen die Opposition bereits völlig eskaliert war. Doch hoppla! Nicht Solidarität mit den Revoluzzern stand auf dem Programm, sondern Solidarität mit der Staatsmacht. Nicht ganz so direkt natürlich, denn mit dem offensichtlich wahnsinnigen Muammar Gaddafi möchte man sich dann doch nicht ganz gemein machen. Indirekt aber schon. Denn der Krieg, gegen den die deutsche Friedensbewegung und die Partei »Die Linke« plötzlich aufstand, war nicht jener, den Gaddafi führt, sondern die militärische Intervention verschiedener Staaten, die auf Grundlage eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrates und auf Bitten der Arabischen Liga den Aufständischen zu Hilfe kam, um eben jenen Krieg zu beenden. Anders gesagt: Die Amis waren im Rennen, und plötzlich wussten die deutschen Linken wieder, wo sie zu stehen und was sie von dem Konflikt zu denken haben.
Wie immer an vorderster antiimperialistischer Front kämpft die als marxistisch firmierende Junge Welt. Die »imperialistische Bestie« und ihre »High-Tech-Hunnen« führen ihr zufolge, erfasst von blinder »Zerstörungswut«, einen »Kreuzzug gegen ein arabisches Land«. Der »Bombenterror der Westalliierten« diene nur dem amerikanischen Zugriff aufs Öl, die Aufständischen wurden als »die reaktionären Banden von Bengasi« bezeichnet.
Mit etwas weniger Schaum vor dem Mund und zurückgehaltener Empathie für Gaddafi reihte sich auch die Partei »Die Linke« in die vermeintliche Antikriegsfront ein. Von einem »Krieg gegen Libyen«, den es zu stoppen gelte, faselte sie in einem Beschluss des Parteivorstands. Vor rund 100 Teilnehmern einer »Mahnwache« der Linkspartei, die, weshalb auch immer, vor dem Brandenburger Tor stattfand, erklärte die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch: »Wir wollen keinen Krieg für Öl, wir wollen kein zweites Afghanistan.« Von welchem afghanischen Öl sie da phantasierte, ist nicht überliefert. Vielleicht meinte sie den Irak. Dort ist sieben Jahre nach der US-Invasion allerdings festzuhalten, dass hauptsächlich China, das nicht im Krieg involviert war, von dem neuen Ölverträgen profitiert hat.

Aber die Realität spielt keine Rolle, wo der linke Bauch zum Frieden mahnt. Das Bremer Friedensforum und die »Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg« hatten ohnehin besseres zu tun, während Gaddafi Söldner auf libysche Opposi­tionelle hetzte. Sie standen mit Pappschildern mit der Aufschrift »Boykottiert israelische Früchte!« vor Geschäften, in denen israelische Waren angeboten werden. Zu Libyen fiel ihnen dann aber auch noch etwas ein. Am 8. März, also zu einer Zeit, als gerade Gaddafis Luftwaffe die Aufständischen bombardierte und jene immer wieder das Ausland um Hilfe anflehten, machten die Friedensbewegten eine Beobachtung: »Das Bremer Friedensforum beobachtet mit Besorgnis Planungen und Vorbereitungen für einen militärischen Eingriff in Libyen seitens der Nato.« So hat jeder seine Sorgen. Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat noch ganz anderes beobachtet, nämlich nicht nur einen »militärischen Eingriff«, sondern gar einen »Angriff von Nato-Staaten auf Libyen«. Das Ziel der »Massenbombardements« sei ein »Regime Change«, und der wiederum habe nur einen Zweck: »Dem Westen« den »uneingeschränkten Zugriff auf die Erdöl- und Erdgasressourcen Libyens« zu ermöglichen.
Dass eigentlich auch Deutschland zu jenem immer diffuser werdenden Gebilde namens »Westen« gehört, hat bei den Friedensfreunden offenbar keinerlei Zweifel an ihrer Deutung aufkommen lassen. Oder vielleicht sehen sie es ja auch wie die Bundesregierung. Die hat vermutlich deshalb im UN-Sicherheitsrat der Intervention nicht zugestimmt, weil sie damit rechnet, dass die »arabische Straße« sich früher oder später gegen den Militäreinsatz wenden wird und man dann besonders gut in der arabischen Welt dastünde, beziehungsweise sich sein Image jedenfalls nicht versaut hätte, wie Dirk Niebel (FDP) bei einem Talkshow-Auftritt relativ klar hat durchblicken lassen (»Wir sind in der Region in Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur so gut vernetzt wie kein anderes Land«).
Wenn die Deutschen derart einig sind, wenn die Stimmung stimmt und die Massen nur darauf warten, abgeholt zu werden, darf natürlich auch die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) nicht fehlen. »Kein Krieg gegen Libyen!« fordern die Antifas, die sich immer mehr in eine Jugendabteilung der Linkspartei transformieren: »Erneut erreichen uns Bilder von aufsteigenden Jagdbombern, einschlagenden Lenkraketen und zerstörten Gebäuden. Nach dem Irak-Krieg führen westliche Nationen, jetzt insbesondere die USA, Großbritannien und Frankreich, wieder Krieg gegen ein arabisches Land.« Eine derart die Geschichte des Konflikts verdrehende Darstellung, die völlig ignoriert, dass es Gaddafi ist, der einen Krieg führt und als erster Jagdbomber aufsteigen ließ – gegen Zivilisten –, kann schwerlich dem Unwissen der Autoren dieser Zeilen zugeschrieben werden. Es ist eine offene Parteinahme.
Der »Dachverband«, dem die ALB zusammen mit vielen anderen linken Gruppen angehört, die »Interventionistische Linke« (die nicht etwa so heißt, weil sie militärische Interventionen gutheißt, sondern weil sie dort mitmischen möchte, wo sich gesellschaftliche Proteste regen) war anfangs noch ganz begeistert: »Solidarität mit den Aufständen gegen die arabischen Diktaturen!« forderte sie, als es um Tunesien und dann um Ägypten ging. Doch als die Aufstände auf Libyen übergriffen, verstummte die »Interventionistische Linke« plötzlich. Denn die Helden dieser Linken, Hugo Chávez, Evo Morales und Daniel Ortega, sendeten ihre »solidarischen Grüße« (Ortega) an Gaddafi, nicht an die Aufständischen. Das musste ihre Gefolgsleute in Deutschland verunsichern. Man darf gespannt sein, wie die Szene reagieren wird, nun, da der arabische Aufstand in einer der Bastionen des nationalistischen Antiimperialismus, in Syrien nämlich, angekommen ist. Die Junge Welt kolportiert bereits, eine israelische Verschwörung stecke hinter den Protesten.

Es ist absehbar, dass es unter den antiimperialistischen Linken zu Zerwürfnissen kommen wird. Die Widersprüche sind zu groß. Nur die eifrigsten, jene vermutlich, die bisher auch schon die Hizbollah und die Hamas als Bündnispartner angesehen haben und Geld für den »irakischen Widerstand« – sprich Terrorismus – gesammelt haben, werden sich dauerhaft hinter Despoten wie Gaddafi, Assad oder womöglich sogar Ahmadinejad stellen. Schon jetzt erleben wir pittoreske Situationen, etwa, wenn der ansonsten von dieser Szene gefeierte israelische Friedensaktivist Uri Avnery sich nun mit großer Verve für die Militärintervention in Libyen ausspricht. Im Standard schrieb er: »›Nicht-Einmischung‹ lieferte das spanische Volk auf Gedeih und Verderb an Franco aus und schützte Hitler in der taktilsten Phase seiner Kriegsvorbereitung.« Avnery bekräftigt: »Es ist mir egal, wer Gaddafis mörderischem Krieg gegen sein eigenes Volk ein Ende setzt: UN, Nato oder die USA im Alleingang – wer auch immer es tut: Gott segne sie.«
Man sollte meinen, dass es auch in der Linkspartei zu Verwerfungen kommen müsste, doch bislang herrscht gespenstische Ruhe an der Wahlkampffront. In diesem »Superwahljahr« will man mit aller Kraft vermeiden, dass sich die Partei internen Streitereien hingibt – oder man ist sich tatsächlich einig. Nicht eine Stimme wurde bisher laut, die sich gegen die Position des Bundesvorstands und der Bundestagsfraktion richtet, auch nicht von denen in der Partei, die sich ansonsten gegen antiamerikanische Reflexe und plumpen Antiimperialismus zur Wehr setzen.
Selbstverständlich sind nicht alle linken Gegner der Intervention von antiimperialistischem Eifer und der Liebe zu Gaddafis »grünem Sozialismus« getrieben. Oskar Lafontaine argumentierte in der Talkshow »Maybrit Illner« vor allem damit, dass unklar sei, wie man aus dem militärischen Konflikt wieder aussteigen könne und dass man ja nicht wisse, wer diese Rebellen seien, wie die tatsächlich ticken, was die wollen.
Tatsächlich ist das alles offen, tatsächlich gibt es gute Argumente, den Konflikt auch mit Sorge zu betrachten. Doch das kann ja wohl nicht rechtfertigen, gegen die internationale Intervention auf die Straße zu gehen und zugleich über das Blutvergießen Gaddafis zu schweigen. Dies jedoch war die Politik der Linken in den vergangenen Tagen. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte man ein absehbares Massaker in der Stadt Bengasi, die kurz vor der Einnahme durch Gaddafis Truppen stand, einfach geschehen lassen.
Aber wehe, die »Köpi« wird geräumt!