Über die Ausstellung »Mothering« in Berlin

Mutterrollen

Die Ausstellung »Beyond Re/Production: Mothering« verhandelt das Thema Mutterschaft im Neoliberalismus.

Angelina Jolie schwebt als Madonnengestalt im göttlichen Licht auf Wolken, im Arm propere Engelskinder, schwarze und weiße. Im unteren Drittel des Bildes: eine schwarz-weiße, realistische Zeichnung gealterter, übergewichtiger Frauen vor Toi­lettenräumen und im Supermarkt. Kate Kretz eröffnet mit dieser Arbeit die Ausstellung »Beyond Re/Production: Mothering« im Kunstraum Kreuzberg. Neben Madonna war Jolie eine der ersten Celebrities, die sich als Supermutter inszenierten. Sie präsentierte der Öffentlichkeit nicht nur ihre biologischen Kinder, sondern als Charity-Aktivistin vor allem die adoptierten. Die biologische Mutterschaft spielt in dieser Inszenierung kaum mehr eine Rolle, im Vordergrund steht die Wandlung von der aufgepumpten Sex- und Actionheldin zur fürsorglichen, dennoch attraktiven und selbstverständlich erfolgreichen Frau und Mutter. In jedem Fall ist sie vor allem eines: eine entmaterialisierte Überfrau, Erfüllung und Synthese typisch weiblicher Rollenmuster und Wunschbilder.
Die Ausstellung »Mothering« verhandelt die Forderungen einer modernen Leistungsgesellschaft, in der Männer, Frauen und Transgender ökonomisch selbständig, jung, leistungsfähig- und willig, unabhängig und zielgerichtet sein sollen und in der sich zugleich der Ruf nach Fürsorge doch immer wieder an Frauen richtet.
Der Begriff »Mothering« fokussiert nicht die leibliche Mutterschaft, er betont vielmehr die traditionell der Frau zugeschriebenen Tätigkeiten – von der Kinderbetreuung bis zur Haus- und Pflegearbeit – und macht ihre Umverteilung sichtbar. Es sind Tätigkeiten, die sich nur schwer mit dem Selbstbild einer Leistungsgesellschaft vereinbaren lassen und die unter den Bedingungen neoliberaler Arbeitsverhältnisse kaum mehr von den Individuen ausgefüllt werden können.
Bereits Simone de Beauvoir hat die in das Private abgedrängte Hausarbeit ans Licht der Öffentlichkeit gebracht und die Befreiung der Frau aus der Sklaverei der unbezahlten, repetitiven Hausarbeit gefordert. Noch immer ist die Reproduktion eine vom Staat regulierte private Aufgabe, die mehrheitlich den Frauen zufällt und ihnen als originäre Bestimmung zugeschrieben wird. Für ihre Leistungen in der freien Arbeitswelt werden Frauen noch immer schlechter bezahlt oder prekär beschäftigt. Doch zugleich hat das Modell des männlichen Alleinernährers ausgedient, auch die Bundesregierung setzt auf flexibilisierte Familienmodelle. Hauptsache, es wird gearbeitet. Wo Mütter und Väter berufstätig sind oder sein müssen, gar Karriere machen, zieht eine neue Form der Arbeitsteilung in das Private ein. Frauen, die es sich leisten können, kaufen sich frei. Man mag biologisch Mutter sein, die Reproduktionsarbeiten aber, the dirty work, werden zunehmend delegiert. Wieder fallen diese Arbeiten mehrheitlich den Frauen zu. Häufig kommen diese aus Billiglohnländern, verlassen für viele Jahre ihre Familie und schicken das Geld nach Hause. Dort übernehmen zumeist Schwestern, Tanten oder Großmütter die Kinderbetreuung, selten die Männer.
Wie einst die Hausfrau werden diese Frauen in die Unsichtbarkeit des Privaten zurückgestoßen. Doch hier ist das »Private« nun ein Arbeitsverhältnis ohne privaten Rückzugsort, in dem die Frauen nicht selten wie unter feudalen Verhältnissen leben. Neben der harten körperlichen Arbeit wird von ihnen ein Maximum an emotionalem und sozialem Engagement gefordert. Sie müssen genau wissen, was die Arbeitgeber-Eltern in ihrem Rückzugsort »Privatsphäre« wünschen, und zugleich den Bedürfnissen der Kinder oder der Alten nachkommen. Ein 14-stündiger Arbeitstag ist keine Seltenheit.
Diese Arbeitsverhältnisse sind trotz der vom Postoperaismsus angestoßenen populären Analyse der »affektiven« Arbeit bisher kaum in den Blick gerückt worden. Denn die bekannte These von der Feminisierung der Arbeit hat wenig mit Feminismus zu tun. Sie kritisierte gerade nicht die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sondern war ausgerichtet auf Veränderungen der Arbeitsweisen in der etablierten Lohnarbeit.
Die Künstlerin Moira Zoitl dokumentiert Versammlungen von Hausarbeiterinnen in Hong Kong, die aus der Unsichtbarkeit heraustreten und sich mitten im Shopping- und Bankenviertel der Stadt versammeln, dort Karten spielen, kochen und über ihre Arbeitsverhältnisse sprechen. Zoitl hat dem Video ein Architekturmodell hinzugefügt, das die hierarchischen Verhältnisse von Privatem und Öffentlichem, von kaum ge­währter Freizeit und Lohnarbeit in den Arbeitgeberwohnungen veranschaulicht. Dass sich westliche Frauen gegenüber den Arbeiterinnen, die flammende Reden auf dem Exchange Square halten, solidarisch zeigen, ist nicht überraschend. Doch täuschen solche Emotionen über die Kluft hinweg, die die feministische Politik in einer globalisierten Welt durchzieht. Wenn gerührte Zuschauerinnen vor der Videodokumentation der Künstlerinnen Ditte Berg und Filippa Berglund stehen, die private Skype-Kontakte migrantischer Arbeiterinnen der Öffentlichkeit zeigen, werden die migrantischen Arbeitskräfte einmal mehr ihrer Privatheit enteignet.
Komplizenschaft, Herrschaft oder Solidarität? Wer ist wer? Diese Frage provoziert auch die karge und klare Porträtserie von Natalia Iguinez, die Hausangestellte und Kindermädchen gemeinsam mit ihren Arbeitgeberinnen und deren Kindern zeigt. Auf manchen Bildern werden die Herrschaftsverhältnisse offen zur Schau gestellt, auf anderen Bildern bleiben die Machtverhältnisse unsichtbar, so dass es schwer fällt zu unterscheiden, die Rollen zuzuordnen.
Ähnliche produktive Unterscheidungsschwierigkeiten bereiten die Arbeiten von Dulce Pinzon und Elzbieta Jablonska, die Mütter und Haushälterinnen in Superheldenkostümen im privaten Wohnzimmer aufgenommen haben. Im Katalog erfährt man, in welchem Re/Produktionsverhältnis diese Frauen stehen. »Cat Woman« ist eine Hausangestellte, wahrscheinlich ohne Papiere, mit schützender Maske. Die Kos­tümierung, die im Katalog auch als ironischer Kommentar und symbolische Anerkennung der höchst weltlichen Superkräfte interpretiert wird, springt zugleich als beunruhigende Verei­telung von Individualität ins Auge: Das Interieur macht es schwer, zwischen Kinder- und Erwachsenenzimmer zu unterscheiden; die müde Mutter im Superman-Kostüm, mit roten Plateaustiefeln, erscheint als überdimensioniertes, derangiertes Spielzeug, nicht als Held.
Es fällt auf, dass in den dokumentarischen Arbeiten keine Arbeitgeberinnen zu Wort kommen. Vielleicht aber hätte genau dieser Perspektivwechsel auch etwas über die Stellung der Künstlerinnen in der Reproduktions- und Produktionskette verraten. Sie treten jedoch meist als diejenigen auf, die den Migrantinnen eine Stimme leihen. Die künstlerischen Arbeiten kreisen mehrheitlich um das Bild der Mütterlichkeit, auch um die gescheiterte, gewalttätige und die grausame Mutter. Eine Undine landet am Strand, konnte ihre Flosse nicht abschlagen und schiebt mit ihr einen Kinderwagen: Muttersein als Handicap.
Heterosexuelle Männer kommen in den Arbeiten nicht vor, sie sind weder als Künstler noch als Dargestellte präsent. Das ist realistisch, insofern überwiegend Frauen die Arbeit des »Mothering« übernehmen, doch zugleich verfestigt dies den Eindruck, es handle sich tatsächlich um eine explizit weibliche Tätigkeit. Wie selbstverständlich beziehen denn auch die meisten Künstlerinnen die Forderungen der Mütterlichkeit auf sich als Frau, statt sie abzuweisen. Christine Lohr zeigt in ihren reduzierten, tristen und illusionslosen Zeichnungen Momentaufnahmen aus dem alltäglichen Leben als Elternteil. Hier werden auch die Putzfrau, der Mann und das Kind erwähnt. Die Künstlerin skizziert das Unscharfwerden der Grenzen von Individu­alität und Fürsorge, von gesellschaftlichem Anspruch und privatem Bedürfnis, von Artiku­lation und Stummheit. Jeder Wunsch ist Phrase, jede Phrase verwünscht.
»Mothering« zeigt keine Utopien, die die Reproduktionsketten sprengen und der Alltags­tristesse entkommen. Die Ausstellung aktualisiert keine historischen Bewegungen, etwa die der Sowjetunion in den zwanziger und dreißiger Jahren oder die Kinderladenbewegungen der siebziger Jahre. Vielmehr lotet sie aus, wohin sich die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse im Neoliberalismus verschoben haben und welche Konsequenzen dies für die in sie verwickelten Subjekte hat. »Es geht darum, auf der Höhe der Zeit zu reflektieren, was das Poli­tische am Privaten ist«, so die Kuratorin Felicita Reuschling.

Beyond Re/Production: Mothering. Kunstraum Kreuzberg. Bis 25. April
Vortragsreihe zur Ausstellung: