Eine Kölner Ausstellung über afrikanische Metropolen

Und täglich wächst der Moloch

Nirgends wachsen die Städte schneller als in Afrika. Die Ausstellung »Afropolis« in Köln zeigt, was diese Städte erst zu Metropolen macht.

Lagos sieht aus wie eine Flechte. Wie ein in allen nur denkbaren Lila-­Tönen schillerndes, pilzartiges Gewächs, das unkontrolliert, kontur- und formlos eine grellgrüne Fläche überwuchert und seine scharf gezogene Grenzlinie nur am unteren, tiefblau gefärbten Bildrand findet. Und natürlich an den Rändern der Lagune, der die Millionen-Metropole ihren Namen verdankt.
Entfremdung hilft häufig dabei, klarer zu sehen: Betrachtet man die in surrealen Farben gehaltene Satellitenaufnahme von Lagos, einer Stadt, die zu den weltweit am rasantesten wachsenden gehört, dann leuchtet unmittelbar ein, warum die Kuratoren der Ausstellung »Afropolis« die Stadt als eine sich »rhizomartig« ausbreitende Megacity beschreiben.
Eine Stadt als Rhizom – das bedeutet auch, dass es unter der Oberfläche erst richtig in­teressant wird. Einen Blick unter diese Oberfläche wirft die klug konzipierte und aus einer kritisch-kulturwissenschaftlichen Perspektive anspruchsvoll kuratierte, manchmal aber etwas zu materialreich gestaltete Ausstellung im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum. In fünf Stationen widmet sie sich fünf dieser afrikanischen Metropolen: Kairo, Lagos, Nairobi, Kinshasa und Johannesburg.
Einen roten Faden, der die Städte miteinander verbindet, sucht man vergeblich – und das ist gerade die konzeptuelle Stärke dieses Projekts. Eine große Erzählung über die Entwicklung der afrikanischen Metropole ginge nicht nur in die Falle des zum Klischee erstarrten westlichen Narrativs von Dritte-Welt-Metropolen, sie könnte den völlig disparaten Entwicklungsgeschichten der Städte auch überhaupt nicht gerecht werden. Dementsprechend füllt die Ausstellung den Begriff der ­Urbanität ganz anders als durch den bloßen Bezug auf demographische, infrastrukturelle und im klassischen Sinne sozioökonomische Zugänge. Was Urbanität bedeutet, bringen die teilweise grandiosen Fotografien, die Video­installationen, Literaturzeitschriften, Comics, Skulpturen und die dokumentarischen Abschnitte zur Anschauung: Urbanität ist nichts Gegebenes, sondern wird tagtäglich neu erzeugt durch die widerstreitenden kulturellen Praktiken ihrer Bewohnerinnen und Bewohner.
Der Neologismus »Afropolis« formuliert zum einen ziemlich präzise, dass die Städte etwas mit dem klassischen Begriff der Metropole zu tun haben, weil jede Stadt erst durch urbane Praktiken hervorgebracht wird – und zum anderen eben auch, dass sie völlig eigenständige Phänomene sind. Und die Kuratoren der Ausstellung, Larissa Förster, Christian Hanussek und Kerstin Pinther, formulieren ebenso klar, dass sich die (sub-)kulturelle, mediale und auch po­litische Dynamik dieser Städte einem euroamerikanisch justierten Blick versperren. »Wie sich einer Stadt wie Kinshasa nähern, die trotz ihrer enormen Größe kaum noch angeflogen wird und deren Flughafen die Anmutung eines Provinzbahnhofs bekommen hat? (…) Wie Lagos denken, eine 15-Millionen-Stadt, die nachts beinahe in totaler Finsternis versinkt und in der – in Abwesenheit eines funktionierenden Elektrizitätsnetzes – das Dröhnen der Generatoren zur alltäglichen soundscape gehört?« fragen sie in der Einleitung des Ausstellungskatalogs.
Es sind die kleinen Erzählungen der fünf Megacities, denen die Ausstellung sich widmet: etwa den Gesprächen innerhalb des Matatus, der kenianischen Version des gepimpten Mini­vans, dem in Nairobi eine wichtige Funktion im Verkehrsnetz zukommt, in dem aber darüber hinaus (und viel wichtiger) Genderverhältnisse und städtische Mythen über das Verhältnis von Stadt und Land, Armut und Reichtum oder den Einfluss von Geistern auf Unfälle erzeugt und verhandelt werden. Ein junger Mann erzählt begeistert, dass manche Matatus vor allen Dingen aus dem Fahrer, einer Musikanlage, riesigen LCD-Fernsehern, Lichteffekten und einem HipHop-DJ bestehen. Und ja, es gibt sogar auch ein paar Frauen, die Matatus fahren.
Lässt man sich, angeregt von solchen eigentlich marginalen Schnipseln des Alltäglichen, durch die Ausstellung treiben, dann stößt man beispielsweise auf eine Literaturzeitschrift aus Nairobi. Kwani? heißt sie, was so viel wie Na und? bedeutet, und man kann sie ohne Zweifel als ein Medium der fiktionalen wie nichtfiktionalen Popliteratur bezeichnen, in ihr publizieren Autorinnen und Autoren, die im etablierten kenianischen Literaturbetrieb nicht beachtet werden. Um einen weiblichen MC geht es in einer der ausliegenden Ausgaben, der sich gera­de dazu aufschwingt, eine Größe in der kenianischen HipHop-Szene zu werden. Oder um einen Mann, dessen einzige Hoffnung, nicht im Gefängnis zu landen, das Boxen ist. In dieser Polyphonie entsteht die Kultur einer Megacity wie Nairobi.
An jeder Ecke, in jeder Bar treffe man Menschen, die einem eine Geschichte erzählten, erklärt einer der Herausgeber des Magazins, und das Verrückte sei, dass jede dieser Geschichten eine Version der Wahrheit über nationale und lokale Angelegenheiten formuliere. Das klingt nach emphatischer Postmoderne. Ist es auch.

Afropolis. Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln.
Bis zum 13. Februar