Ihr Leben ist Arbeit. Die Wanderausstellung »Zwangsarbeit«

Ihr Leben ist Arbeit

Die Wanderausstellung »Zwangsarbeit« macht im Jüdischen Museum in Berlin Station.

Vor der Zwangsarbeit kommt die Arbeit, die deutsche Arbeit. Sie ist selbst ein Zwang, wenn auch ein idealisierter. Am Anfang steht also der Zwang, der gewollte, gewünschte, gefeierte Zwang. Der erste Raum der Wanderausstellung »Zwangs­arbeit« führt deshalb zurück zum 1. Mai 1933.
Den ersten nazistischen Tag der Arbeit muss berücksichtigen, wer das Phänomen Zwangsarbeit verstehen will. Es geht weder im Zusammenhang der Vernichtung noch in dem der Kriegsökonomie ganz auf. Nur, wer es auch vor dem Hintergrund der deutschen Ideologie betrachtet, kann sein ganzes Ausmaß erfassen. Allein die Ideologie der Arbeit erklärt, weshalb in das System Zwangsarbeit die Deutschen in ihrer Gesamtheit einbezogen werden konnten. Die Produktion von Leichen vollzog sich fast ausschließlich weit draußen, irgendwo in Polen, nicht so die Zwangsarbeit. Jeder kannte die Zwangsarbeiter, die aus den Minderheiten der Gesellschaft rekrutiert oder ins Reich verschleppt worden waren, viele, sogar Privatleute, nutzten sie als Sklaven. In dieses Verbrechen waren so gut wie alle verstrickt, deshalb wird es erst zuletzt aufgeklärt.
Eine Ideologie der Arbeit gab es lange vor den Nazis und nicht allein in Deutschland. Aber sie hat sich hier doch auf besonders unfrohe Weise entwickelt. »Sein/ihr Leben war Arbeit« liest man auf deutschen Grabsteinen; das soll keine Klage sein, aber klingt doch untröstlich. Weder höfisches noch mönchisches Leben waren in den deutschen Ländern so prägend, dass sie Nicht-Arbeit, ob als Genuss oder als Kontemplation, hätten kultivieren und vermitteln können. Die Vorstellung, dass Leben einzig und allein sinnvoll werde mit Arbeit, erscheint dann auch in vielen sozialistischen Theorien des 19. Jahrhunderts, mit der bemerkenswerten Ausnahme von Paul Lafargue. Aspekte des Materialismus verschmolzen mit kleinbürgerlichem Eifer, und um 1933 mag das Ideal Arbeit tatsächlich der kleinste gemeinsame Nenner gewesen sein.
Deshalb schafften die Nazis den 1. Mai, bis heute der Tag der Gewerkschaften, nicht ab, sondern besetzten ihn. Eine von Albert Speer geschickt designte Zentralveranstaltung auf dem Tempelhofer Feld war die erste Manifestation der »Volksgemeinschaft«. Damit war der Unterschied zu der gewerkschaftlichen Auffassung von Arbeit markiert: Arbeit sollte nicht in die Geschichte des Klassenkampfes gehören, sondern wurde als ein alle Klassengrenzen überwindendes harmonisches Prinzip gesehen. – Eine Harmonie, der deutsche Gesellschaften, ob vor dem Ersten Weltkrieg, in der »Nationalen Front« der DDR oder in den Großen Koalitionen der BRD, stets zugeneigt waren. »Wir bleiben Kameraden« steht auf einem Plakat der Deutschen Arbeits-Front, auf dem sich Arbeiter und Ingenieur, brekerhaft stilisiert, die Hand reichen. Im Hintergrund die bedrohliche Silhouette zweier Landser.
Am 1. Mai wurde die Arbeit gefeiert, am 2. Mai waren die Gewerkschaften bereits verboten. Den Preis der Harmonie sollten wieder einmal die Anderen zahlen, nicht allein die erklärten Antifaschisten. Wenn wirklich alles Arbeit ist, sich alle in der Arbeit finden und zu Arbeitskameraden werden, dann müssen diejenigen, die nicht arbeiten können oder wollen, Feinde sein. Der Begriff des Menschen zeugt den des Unmenschen, der Begriff des schaffenden Arbeiters den des faulen Parasiten. Die große Austreibung konnte beginnen.
Die Ausstellung, konzipiert im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, überzeugt nicht zuletzt damit, dass sie die Zwangsarbeit mit der Arbeit beginnen lässt. Denn rassistische Motive verbanden sich mit denen eines feierlichen Arbeitsethos – »Arbeit adelt« –, aus dem sich, bis heute, das Ressentiment gegen Faulenzer ergibt. Einen auszugrenzen, von dem alle glauben, er arbeite nicht, war und ist in Deutschland ein Kinderspiel. Damals wie heute richtete sich der Zorn der Tüchtigen bevorzugt gegen solche, die ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand stehen, gegen »Asoziale«. Die revolutionären Franzosen stürmten die Schlösser, die revolutionären Deutschen die Ghettos. Es fiel den Nazis nicht schwer, den Volkszorn auf die imaginären Parasiten antisemitisch zu orchestrieren.
»Wir holten uns die bekannt großmäuligen Juden und solche welche nachweislich dem Wahlfond Schuschniggs beigesteuert haben zu einer produktiven Arbeitsleistung heran um ihnen den Vorgeschmack auf zukünftige Arbeit beizubringen«, schrieb ein begeisterter Wiener dem Stürmer (Orthografie im Original). Der Aktion aus dem Jahr 1938, bei der verschiedene Wiener Juden gezwungen wurden, unter dem Gejohl der Menge, Graffiti von Mauern zu schrubben, waren etliche ähnliche im Reich vorausgegangen. Die öffentliche Demütigung von angeblich Arbeitsscheuen war die unmittelbare Vorbereitung auf das immer engmaschiger werdende Netz der KZ, in denen eine »Erziehung durch Arbeit« stattfinden sollte. Die Parole »Arbeit macht frei« an den Portalen zu den KZ Dachau, Sachsenhausen und Flossenbürg hält diese Propaganda fest. Dass diese in der Bevölkerung weit verbreitete Ressentiments bediente, kann die Ausstellung belegen, müsste sie aber gar nicht, denn sie werden ja noch heute täglich geschürt. Oder wird der Ein-Euro-Job etwa nicht von vielen als erzieherische Arbeit gesehen?
Die »Erziehung« in den Lagern, aber auch bei »geschlossenen Arbeitseinsätzen« machte auf unheimliche Weise deutlich, was deutsche Arbeit ist. Sie ist eben kein pursuit of happiness, nicht einmal, oder nicht in erster Linie, Anhäufung und Gewinnstreben, sie ist sicherlich auch nicht Aneignung der Welt oder gar Emanzipation. Sie ist ein Zwang, der einem sonst toten Leben ein Gerüst, einen Zeitplan gibt. Und genauso wurde Arbeit an den ersten Opfern des Regimes exe­kutiert. Sie mussten sich in absurder Plackerei aufreiben, Gruben ausheben und wieder zuschippen, oder am Aufbau eines Großdeutschen Reiches mitwirken, das immer phantastischere Ausmaße annahm. Was Arbeit produziert, spielte und spielt eine überraschend geringe Rolle, Hauptsache, es wird gearbeitet.
Manfred Grieger weist im Katalog darauf hin, dass die in den achtziger Jahren geprägte Formel »Vernichtung durch Arbeit« nicht alle Facetten der Zwangsarbeit erfasst. Zwar starben allein 3,3 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener an der Zwangsarbeit und bei sie begleitenden Massenexekutionen; auch die Zahl der Juden, die bei der Zwangsarbeit starben, geht in die Millionen. Doch war Mord nicht überall das oberste Ziel, die insgesamt 20 Millionen Zwangsarbeiter sollten immerhin den Rüstungsapparat in Gang halten. Ihr Tod war nicht immer beabsichtigt, wenn er auch immer in Kauf genommen wurde. Franzosen und (nach 1943) Italienern erging es besser als Polen oder Russen. Der Sklave, schrieb Hannah Arendt, sei der Feind, den man nicht tötet. Hier besaß die Sklavenarbeit selbst etwas Tödliches.
In der Zwangsarbeit zeigte sich, was Arbeit auch sonst für den Deutschen war: eine Weise, sein Leben zu opfern. Nach den Zielen wurde wenig gefragt. In welchem Umfang die Industrie, darunter viele noch heute tätige Unternehmen, von der Zwangsarbeit profitiert hat, ist, im zähen Ringen um Entschädigung, allgemein bekannt geworden. Dass Zwangsarbeit auch ein Massenphänomen war, zeigt die Ausstellung an vielen Dokumenten und Zeugenaussagen. Nicht nur in Fabriken – besonders drastisch waren die Verhältnisse im Ruhrbergbau –, auch in der Landwirtschaft und in kleinen Betrieben, ja sogar in Privathaushalten wurden Sklavenarbeiter geschunden. Sie zu behandeln wie Tiere, war vorgeschrieben, die Vorschrift wurde fast immer erfüllt. Die Neugeborenen von russischen Zwangsarbeiterinnen ließ man in »Entbindungsheimen« absichtlich verhungern. Bei Fehlverhalten kümmerte sich die örtliche Exekutive um die Unbotmäßigen.
Dass es auch zu Selbstorganisierung der Arbeiter, zu Sabotage und Flucht gekommen ist, soll nicht vergessen sein. Doch war es leider die Ausnahme. 13 Millionen Zwangsarbeiter allein auf dem Reichsgebiet – die Zahl ist fast unglaublich. Nur vereinzelt ist diese Geschichte in Gesprächen mit Älteren aufgetaucht, wenn der »Iwan« ausnahmsweise gut behandelt worden sein soll. In vielen Fällen werden sich die deutschen Miniatur-Tyrannen ihrer Schuld gar nicht bewusst gewesen sein. Sie haben den Andern nur angetan, was sie sich selbst antun.

»Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg.« Wanderausstellung, noch bis 30. Januar im Jüdischen Museum, Berlin. Der gleichnamige Katalog, herausgegeben von Volkhard Knigge, Rikola-Gunnar Lüttgenau und Jens-Christian Wagner, kostet 19,80 Euro.